Die Perspektive der Frauen

Film Die israelische Regisseurin Elite Zexer hat einen Film über Beduinen in Israel gemacht. Auf Arabisch. Der Palästinenserkonflikt steht jedoch bewusst nicht im Vordergrund

Manchmal braucht es nicht mehr als das entfernte Rauschen der Schnellstraße oder einen genauen Blick auf die Landkarte, um einem Film eine politische Dimension zu geben. „Unrecognized Villages“ steht dort geschrieben, die Beduinendörfer im Süden Israels, in der Wüste Negev, haben keine Namen und die Menschen, die in ihren Autos Tag um Tag an den Dörfern vorbeiziehen, keine Vorstellung von dem Leben in den Hütten. Auf einer Größe, die in etwa dem Bundesland Hessen entspricht, hat Israel eine Vielzahl von Parallelwelten geschaffen, die für die einen leicht zu durchfahren sind und für andere undurchdringbar bleiben.

Sand Storm (im hebräischen Original Sufat Chol), das Filmdebüt der israelischen Regisseurin Elite Zexer, handelt nicht von den Checkpoints zwischen Gaza und Israel, nicht von der Geisterstadt Hebron oder der aggressiven Siedlungspolitik der Ultraorthodoxen, sondern von einer Bevölkerungsgruppe, die abseits der großen, schwellenden Konflikte im Land, ein leises Dasein fristet. Über 180.000 Beduinen leben im Süden Israels in Stammesverbänden und eng verbunden mit der kargen Landschaft der Negev Wüste. Die Dörfer versorgen sich oftmals autark von Viehzucht und Landwirtschaft. Der Kontakt zur israelischen Gesellschaft ist gering.

Elite Zexer hat Zugang gefunden zu dieser eingeschworenen Gemeinschaft und Einblick erhalten in das Leben von Familien und Stämmen, ihre Sprache gelernt und Freundschaften geschlossen. Es waren vor allem die Frauen, die sie herzlich aufgenommen haben. Ihre Mutter, eine Fotografin, die seit über 10 Jahren Frauen in den Beduinendörfern porträtiert, hat sie mit der Kultur bekannt gemacht. Anlass zum dem Film gab jedoch ein konkretes Ereignis. Als Elite Zexer eine junge Beduinin zu ihrer Hochzeit mit einem ihr unbekannten Mann begleitet und sich diese kurz vor ihrer Vermählung zu ihr umdreht und sagt „Meiner Tochter wird es mal anders gehen“, da weiß Elite Zexer, dass sie diesen Film machen wird.

Über acht Jahre hat die Regisseurin immer wieder Beduinenstämme besucht, über vier Jahre hat sie an dem Drehbuch geschrieben: „Ich wollte die richtige Perspektive bekommen, die Perspektive der Frauen von dort, und nicht meine Perspektive, die einer Fremden, die von Außen darauf schaut.“

Im Zentrum der Geschichte stehen Layla und ihre Familie. Das Gleichgewicht der Familie wird gestört, als der Vater sich eine zweite Frau nimmt und erfährt, dass Layla sich in den Jungen eines anderen Stammes verliebt hat. Der Vater, der Layla erlaubt zu studieren und Spaß daran hat, seiner Tochter das Autofahren beizubringen, wird auf die Probe gestellt. Die Liebe zu seiner Tochter, die sich einst darin zeigte ihr ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen schlägt nun um, in eine Liebe die nur Enge und Bevormundung kennt. Als dann auch noch seine erste Frau Jalila aufbegehrt, sieht er sich gezwungen, Jalila zu verbannen und Layla zu verheiraten – trotz oder wegen seiner Liebe für sie.

Ein Film also, in dem sich Frauen für Freiheit und Selbstbestimmung gegen das patriarchalische Moralsystem von Ehre, Respekt und Verantwortung behaupten müssen, ein Film in dem die Frauen schwach sind, weil sie ihrer Grundrechte beraubt sind? Ja und Nein. Die Frauen, die uns in Sand Storm begegnen, sind allesamt stark. Was stark im Kontext der beduinischen Gesellschaft und ihres komplexen Regelwerkes bedeutet, zeigt sich in der langsamen Entwicklung der Figuren und in der Möglichkeit, die uns der Film gibt, diese zu verstehen. Die Regeln des Stammes, die befolgt werden müssen, die Frauen, die dagegen aufbegehren und am Ende doch verlieren. Das ist die Perspektive von Außen, die uns Elite Zexer sehr behutsam abzunehmen versucht. Die Möglichkeiten, die Layla und Jalila haben, sind begrenzt, und die Freiheit, für die sie kämpfen, ist weit entfernt von einem Leben in Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Aber ihre Mühen sind nicht umsonst. Sie verändern etwas, diese kleinen Schritte, wenn auch nicht für Layla, dann doch für ihre drei kleinen Schwestern.

Die Beduinen selbst sind seit Jahrzehnten immer wieder Zwangsumsiedlungen ausgesetzt, erst im Januar gab die UN einen erneuten Aufruf heraus, der vor der Zwangsumsiedlungen palästinensischer Beduinen im Raum Jerusalem warnt. Aber auch in der karg besiedelten Negev Region im Süden des Landes kommt es immer wieder dazu, dass Häuser und Dörfer abgerissen werden. Es fehlt an Wasser, Elektrizität und Infrastruktur, da für Beduinen kaum eine Möglichkeit besteht, rechtmäßig zu bauen und zu siedeln. Statt die Dörfer durch Infrastrukturprojekte besser an das öffentliche Netz anzubinden und so zum Beispiel die Schulbildung der Kinder voranzutreiben, sollen die Menschen ihres Lebensraumes verwiesen und in staatlich kontrollierte Gemeinden umgesiedelt werden. Israel hat viele Parallelwelten. Wenn das Land die Beduinen nicht als Gefahr, sondern als Bereicherung empfinden würde, wäre ein großer Schritt getan.

Elite Zexer hat nun einen Film über starke beduinische Frauen gemacht, über die Macht der Liebe und die Macht der Tradition, ohne dabei ein Urteil zu fällen. Und so kann man von diesem Film vor allem eines lernen: dass es manchmal wichtig ist zuzuhören, Themen in unser Bewusstsein zu rücken, statt sie zu be- oder verurteilen.

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