Ihr Herz ist am Brennen

Trap-Rap Haiyti durchwandert die Welt wie die Heldin eines Fauser-Romans. Sie gibt es allen
Ausgabe 31/2019
Kiezkönigin Haiyti
Kiezkönigin Haiyti

Foto: Imago Images/Future Image

Eigentlich nur konsequent: Die Königin der DIY-Trashvideo-Ästhetik wählt als Drehort für ihr Musikvideo den trashigsten Ort des Sommers. Und so flimmerte Anfang Juni eine bekannte anthrazitfarbene Sofalandschaft samt Red Bull-Dosen- und Wodkaflaschen-Staffage über die Bildschirme. Da, wo man kürzlich dem österreichischen Vizekanzler dabei zusehen konnte, wie ihm bei der vorgesetellten Demontage der Demokratie ganz warm ums Herz wurde, fläzte sich jetzt eine junge Frau und rappte Zeilen, die runtergehen wie ein Wodka Tonic.

Die Cappy tief ins Gesicht gezogen, in übergroßer südkoreanischer Streetwear, so mäanderte die gebürtige Hamburgerin Haiyti durch die Strache-Villa und bewies en passant, dass die Straßen ihrer Heimatstadt immer noch guten Rap produzieren.

Dabei will sich Haiyti auf diese Straßen nicht festlegen. Wie sie im Interview mit Arte sagte: „Haiyti will ja Hollywood, hat es aber nicht.“ Das ist gut so, weil, so macht Haiyti auf ihrem neuen Album Perroquet eben weiter das, was sie sehr gut kann: die Welten, die sie umgeben, geschmeidig durchwandern wie die Protagonistin eines Fauser-Romans. Eine Rumtreiberin, aber nur im allerbesten Sinne.

Haiyti ist – wenn es um Rap geht doppelt wichtig – in einem Sozialbau aufgewachsen und irgendwie an der Kunstuni gelandet. Die Nummer mit der Kiezkönigin in viel Viskose und Fluppe im Mundwinkel nimmt man ihr genauso ab wie die zerstreute Studentin, die stundenlang an ihrem Marmorblock rumklopft. Auf Instagram manifestiert sich dieses Weltenwandern in einem regelrechten Kabinett der Identitäten. Hinzu kommt, dass alles – von Outfit bis Musik – mit einem Improvisationsfilter überzogen wird. Dass hinter diesem Halbfertigen jede Menge Inszenierung steckt, ist egal. Was zählt, ist, dass Haiyti damit ihre eigene exzentrische Trap-Bubble geschaffen hat, in der sie sich als Rapperin frei austobt, ohne groß Gedanken an Spielregeln zu verschwenden, die irgendwann irgendein höchstwahrscheinlich männlicher Rapper aufgestellt hat.

Löst sich mit einem „Huh“ auf

Perroquet ist weniger kratzig und anstrengend als ihr Durchbruch Montenegro Zero (2018). Das Intro von Coco Chanel klingt kurz nach Radiohead, ein Gefühl, was sich spätestens mit dem ersten Haiyti-Laut („Huh“) in Luft auflöst. Dass Haiyti nicht nur krachigen Autotune kann, beweist sie auf Perroquet mehrfach. Tracks wie Barkash muss man nur einmal hören, um zu wissen, dass ihr Flow einen durch den ganzen schwülen Sommer tragen kann. Ganz frei von den Gepflogenheiten der Rap-Welt ist Haiyti natürlich nicht. Auch Perroquet kommt nicht ohne die typischen Schimären aus: „Zehn Kilometer, Sky ohne Limit / Und das Geld wird immer mehr in mein’n Taschen / Trage so viel Cash mit mir, dass es irgendwann zur Last fällt.“

Dass nach jedem High auch ein Low kommt, die Erfahrung scheint auch Haiyti gemacht zu haben. Letzte Woche legte sie mit der EP Sansibar fünf neue Songs nach. Die hören sich stark nach Come-down und Katerstimmung an. Als seien die Nächte davor zu viele süße Aniscocktails (die titelgebenden Perroquets) die Kehle runtergerauscht. Schöner aber kann man die Liebe in diesem verwirrend heißen Sommer nicht zusammenfassen: „Mein Herz ist am brennen, Bruder, Pyro / Scheinwerfer an, fahr’ durch die Straßen ziellos / Mein Kopf so voll, da hilft kein Ibu, gib ihm.“

Info

Perroquet Haiyti Vertigo Berlin/Universal

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