Programmiert auch!

Gender Die IT-Branche ist nichts für Frauen? Immer mehr Netzwerke treten den Gegenbeweis an
Ausgabe 07/2020
Hallo? Computer!
Hallo? Computer!

Collage: Ira Bolsinger; Foto [M.]: Edwin Levick/Getty Images

Es gibt ein sicheres Indiz dafür, dass eine Berufsgruppe ein Problem mit Parität hat. Nämlich dann, wenn einem sofort der Name genau einer Frau einfällt, die beweisen soll, dass es um die Frauenquote nicht so schlecht bestellt ist. Frauen über 60 auf der Leinwand? Meryl Streep! CEOs im Silicon Valley? Sheryl Sandberg! Digitalpolitikerinnen? Dorothee Bär!

In der Informatik wird es besonders absurd. Denn der Name, der immer wieder herangezogen wird, gehört einer Frau, die seit 168 Jahren tot ist: Ada Lovelace. Seit Lovelace in den 1840er Jahren, während der Blüte des viktorianischen Zeitalters, ihre Vision einer Programmiersprache formulierte, ist viel Zeit vergangen. Programmieren hat sich von einer einst mechanischen, repetitiven Tätigkeit zu einer angesehenen und heiß umworbenen Disziplin entwickelt. Mit der Aufwertung des Berufsbildes wurde die Informatik aber zur männlichen Domäne und Programmieren zu einer Superkraft stilisiert, die nur genialsten und verschrobensten (fast immer männlichen) Köpfen gegeben ist. Besonders vehement hält sich dieses Narrativ im technikverliebten Deutschland. Schenkt man aber den Worten einer weiteren gern zitierten Ausnahmefrau Gehör, ist die Erzählung vom männlichen Programmierer-Genie dabei, dem Land auf die Füße zu fallen. Die Prognose von Joanne Hannaford, IT-Chefin von Goldman Sachs, lautet: Wenn Deutschland weiterhin 50 Prozent der Bevölkerung aus der Branche ausschließe, könne das Land nicht länger wettbewerbsfähig bleiben.

Hinter Indien

Die Zahl der Frauen, die ein Informatikstudium abschließen, liegt seit Jahren bei unter 20 Prozent. Zum Vergleich: In Indien liegt die Quote bei 65 Prozent. Optimistischer stimmt eher der Blick auf das, was sich außerhalb der Universitäten in den letzten Jahren getan hat. Dort gibt es sie längst: Netzwerke für Programmiererinnen und Workshops, die Frauen den Quereinstieg in den Beruf ermöglichen sollen. Als Mihriban Minaz 2014 nach Berlin kam, war für sie schnell klar, dass sie gar keine andere Wahl hat, als Teil eines Netzwerks für Frauen in der IT-Branche zu werden. Minaz, die in Istanbul bereits fünf Jahre lang als Programmiererin gearbeitet hatte, war in ihrem neuen Job unter 45 Entwicklern die einzige Frau: „Klar ist es praktisch, wenn die Frauentoilette immer leer ist, aber da hört es mit den Vorteilen auch schon auf.“ Das Netzwerk war für sie ein Ersatz für das, was der Job nicht leisten konnte – sich mit Frauen aus der Tech-Branche austauschen, Kontakt zu Berufseinsteigerinnen knüpfen.

Netzwerke für Frauen in der IT-Branche sind nicht nur die logische Reaktion auf eine Branche, die männlich geprägt ist, sondern auch ein Gegenentwurf zum Bild des genialen Eigenbrötlers. Die Netzwerke tragen Namen wie „Women Techmakers“, „Women Who Code“ oder „PyLadies“ – „Py“ als Abkürzung für die Programmiersprache Python. Hinter einigen stecken große Unternehmen wie Google, die meisten sind aber dezentral organisiert. Ein Aspekt, den sie alle gemeinsam haben: wachsende Mitgliederzahlen. Eines dieser Netzwerke heißt „Django Girls“. 2014 von zwei polnischen Programmiererinnen gegründet, hat es mittlerweile Ableger in über 500 Städten. Eine Besonderheit: die eintägigen Programmier-Workshops, für die keine Vorkenntnisse nötig sind. „Das Ziel ist es, ein Aha-Erlebnis zu schaffen und zu zeigen, was man an einem Tag alles programmieren kann“, erklärt Magdalena Noffke. Sie ist Software-Entwicklerin bei der Berliner NGO Liquid Democracy, die digitale Bürgerbeteiligungsportale entwickelt. Sie arbeitet ehrenamtlich als Coach für die Django Girls. In den Workshops lernen die Teilnehmerinnen an einem Tag, wie sie mit der Programmiersprache Python eine Webseite bauen.

Durch den schnellen Erfolg entsteht ein Gegenentwurf zur „Superkompliziert“-Erzählung. Im Idealfall verlassen die Teilnehmerinnen den Workshop mit dem Gefühl, dass Programmieren etwas ist, das sich recht schnell lernen lässt. Wozu so ein „Aha-Effekt“ führen kann, zeigt Noffkes Team. Zwei ihrer aktuellen Mitarbeiterinnen bei Liquid Democracy sind durch den Workshop zum Programmieren gekommen. Phillippa Morland ist eine von ihnen. Ursprünglich hat sie Kriminaltechnik studiert, Computer waren für sie schon immer ein Hobby. Der Weg in den Job sei trotz anfänglichem Erfolgserlebnis steinig gewesen. Morland war Quereinsteigerin, hat als Praktikantin angefangen. Auch jetzt, wo sie fest als Programmiererin arbeitet, müsse sie noch jeden Tag dazulernen. Ihrer Kollegin Katharina Albers ging es ähnlich. Es sei daher wichtig, eine Atmosphäre zu schaffen, die das Lernen möglich macht: „Ich muss fragen dürfen: ‚Ich weiß nicht, wie das geht, können wir zusammen eine Lösung erarbeiten?‘“

Nichts ist zu kompliziert

Dass es für solche Fragen Raum gibt, darauf achtet Magdalena Noffke. Sie studierte erst Politikwissenschaften, dann Informatik. Dabei war eine Erfahrung prägend: Das Gefühl, den männlichen Kommilitonen immer einen Schritt hinterherzuhinken. Weil die bereits seit ihrer Jugend darin bekräftigt worden sind, sich mit Software zu beschäftigen. Etwas, das den meisten Frauen in ihrem Studienjahrgang fremd war.

Dass eine inklusivere Kultur in Unternehmen entstehen kann, hat Mihriban Minaz bei ihrem jetzigen Job erlebt. Ihr neuer Arbeitgeber, ein Start-up für E-Roller, erfüllte alle Stereotype: offene Loft-Etagen, Macbooks, Frauen im Marketing und Männer im Softwarebereich. Minaz war wieder die einzige Frau unter 20 Männern. Das änderte sich schnell, weil es jemanden gab, der das ändern wollte. In diesem Fall der Software-Chef selbst. „Einfach war es trotzdem nicht“, erzählt Minaz, die gemeinsam mit ihm anfing, gezielt in den Netzwerken nach Programmiererinnen zu suchen. „Es ist nicht so, dass man mit Bewerbungen überhäuft wird. Wenn man die Kultur ändern will, muss man proaktiv sein.“

Der Einstellungsprozess wurde komplett umgestellt. Neben Interviewfragen, die Erfahrung und Wissen abfragen, wurden solche eingebaut, die auf soziale Kompetenz abzielen. Zum Beispiel: „Was hast du zuletzt von einem*r Kollegen*in gelernt?“ Minaz sagt, sie wisse, wie banal sich das anhört. Der Effekt sei aber nicht zu unterschätzen: „Programmierer bekommen ihr Leben lang gesagt, dass sie Genies sind, und das führt dazu, dass viele sich damit schwertun, Wissen zu teilen.“ Die Konsequenz: weniger Teamwork, kaum Revisionen und keine gesunde Fehlerkultur. Mittlerweile sind in Minaz’ Team sieben Frauen. Eine von ihnen ist Leonora Panagiotidou. Sie ist über das Netzwerk „Women Techmakers“ auf den Job aufmerksam geworden. Der Vorteil dabei, in einem gemischten Team zu arbeiten, ist für sie unmittelbar spürbar: „Ich kenne Teams, da geht es darum, den anderen davon zu überzeugen, dass etwas wahnsinnig kompliziert ist. Hier ist es genau umgekehrt.“

Besonders stolz ist Minaz darauf, dass das Softwareteam diese Kultur in andere Unternehmen getragen hat. Sie hat eine eigene kleine Gruppe gegründet, die daran arbeitet, Diversität und Inklusion mit praktischen Mitteln umzusetzen. Eine ihrer Erfindungen: ein Chat-Roboter, der Alarm schlägt, wenn die Mitarbeiterinnen mit einem männlich verallgemeinernden „Hi, guys“ angeschrieben werden. Manchmal löse der noch falschen Alarm aus, etwa wenn jemand fragt, wer zum Mittagessen mit zu der Burger-Kette „Five Guys“ gehen will. Minaz ist aber zuversichtlich, dass er auch das noch lernen wird.

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