Da ist wieder eines dieser „harten Bilder“, von denen wir derzeit nun mal ein „paar aushalten“ müssen, wie Innenminister de Maiziere vor einigen Wochen sagte. Ein Bild mit Kinderaugen, von denen wir uns, so AfD-Mitglied Gauland, nicht „erpressen“ lassen dürfen. Schreckliche Worte, die angesichts des aktuellsten Bildes eine noch viel grausamere Wirkung entfalten.
Das Bild zeigt ein Kind mit geschlossenen Augen – doch es schläft nicht ruhig auf dem Arm eines Seawatch-Helfers. Es ist tot. Es ist ein Kind, welches sein Leben bei der Flucht über das Mittelmeer verloren hat – ein Kind, das noch lebendig wäre, hätten wir in Deutschland und Europa weniger Menschen die Bilder wie dieses „aushalten“ können oder sich von ihnen gar „erpresst“ fühlen. All diesen de Maizieres und Gaulands, von denen es in Deutschland derzeit leider viel zu viele gibt, wünsche ich, dass sie gestern oder heute versuchen mussten ihren Kindern die Ursachen für dieses Bild zu erklären.
Kinder sollten solche Bilder eigentlich gar nicht sehen – wenn sie es aber doch getan haben, können sie zumindest ihren Eltern aufzeigen, wie „antrainiert“ ihre nationalistischen Gefühle, ihre menschenfeindliche Ignoranz und kapitalistische Gier in Wahrheit sind. Kinder können diese Bilder nicht begreifen, die Ursachen nicht verstehen, weil ihnen das „gesellschaftliche Training“, die vollständige Sozialisation fehlt, welche erst dazu führt, dass ein Mensch all diese Gefühle des nationalen Stolzes und der egoistischen Gier empfindet und daraus resultierend solche Bilder „aushalten“ kann.
Doch vermutlich würden selbst diese Gespräche nicht dazu führen, dass sich etwas an der europäischen sowie der nationalen Politik der EU-Mitgliedstaaten ändert – auf die einzig wirkungsvolle Ursachenbekämpfung, legale und sichere Zugangswege nach Europa, werden wir angesichts der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Stimmung noch lange warten müssen. Innenminister de Maiziere hat das Bild sicherlich schon problemlos „ausgehalten“ – einfach nicht mehr daran denken: „Was ich nicht sehe, gibt es nicht.“ In diesem Kontext eine erschütternde Logik.
Mit „christlichen Werten“, auf welche sich all diese Menschen gerne berufen, hat all das nichts zu tun. Wer meint, bei solch schrecklichen Bildern müsse man die Gefühle ausschalten und das Gesehene „aushalten“, der verlässt bereits den Boden der zentralen christlichen Werte wie Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Beide Eigenschaften kommen ohne Gefühle nicht aus – sie sind viel mehr das zentrale Element dieser Eigenschaften.
So schrecklich es auch ist, das Bild des toten geflüchteten Kindes wird vermutlich nichts verändern, nicht zu einem Umdenken bei Europas regierenden PolitikerInnen führen. Es werden auch weiterhin Menschen im Mittelmeer sterben und ebenso werden weiterhin nationale und egoistische Interessen über anderer Menschen Leben gestellt. Wir werden auch in Zukunft noch Bilder sehen müssen, die Herr de Maiziere „aushält“ – Bilder, die für viele Millionen von uns jedoch nicht auszuhalten sind. Sie sind grausam und zutiefst bedrückend. In der Schule dachte ich, solche Bilder gäbe es nur in den Geschichtsbüchern, in weniger zivilisierten Gesellschaften und autoritären Verhältnissen. Inzwischen wurde ich eines „besseren“ belehrt – es gibt sie auch in „freiheitlichen Demokratien“.
Es ist erschütternd.
Ich habe das Bild hier bewusst nich direkt sichtbar eingefügt – wer es noch nicht gesehen hat, jedoch wissen will worum es geht, findet es in diesem Artikel von Spiegel Online.
Kommentare 10
ich hab mir das verpixelte foto des kindes im spiegel angesehen, um zu sehen, wie alt das tote kind ist. das wollte ich wissen, um der rede vom flüchtenden kind auf den verlogenheitsgehalt zu kommen. denn ein so kleines kind flüchtet nicht. das tun vielleicht seine eltern oder andere erwachsene. deren verantwortung ist zunächst in frage zu stellen, wenn es um anklage für den tod des kindes geht.
dass minister abgehärtet sind im aushalten aller möglichen fotos, ist gar keine frage. kabinettsmitglieder müssen hart im nehmen sein.
aber dabei spielt noch eine gesetzmäßigkeit eine entscheidende rolle. das ist die äußere und innere distanz zum geschehen, wo die herrschaften wie in einem kommandobunker leben, so weit weg vom realen leben, dass kein blutstropfen bis in den bunker spritzt, dass kein schmerzensschrei sie akustisch erreichen kann.
das system der herrschaft baut auf solcher distanz auf. darum
kommt fast nichts bei denen an. auch nicht eine winzigkeit von der wahrheit. wir werden von autisten regiert, 100%-autisten.
Vorsicht!
Dies ist nicht das erste Bild eines toten Kindes in der "Fluechtlingskrise". Diese Bilder zu zeigen hat ein "politisches" Ziel, das in Australien bereits in reale "Politik" umgesetzt wurde.
Das funktionierte etwa so. Nachdem Bilder mit toten Fluchtlingen in der Presse hinreichend haeufig gezeigt wurden, kommt die politische "Loesung": Wir muessen das Ertrinken von Fluechtlingen verhindern!. Dafuer muss den Schleusern das Handwerk gelegt werden. (Soweit ist die Debatte auch in Europa.)
Wie? "Stop the boats!" Diese Parole ist politisch aeusserst populaer. Damit habn die Konservativen in Australien eine Wahl gewonnen.
Die Umsetzung.
Um die Boote zu stoppen, wird die Marine eingesetzt. Alles was dann passiert ist militaerisches Geheimnis. Keine Informationen an die Presse.
Was passiert? Durch militaerische Aufklaerung (u.a. mit Drohnen) werden alle Fluechtlingsboote aufgespuert, angehalten und zurueckgeschickt. Die Kriegsschiffe haben Schlauchboote an Bord, auf die Menschen von nicht seefaehigen Schiffen umgeladen und zurueckgeschickt werden. Man kann auch Schleuser bezahlen, sodass sie mit den Schiffen zurueckkehren.
Zusaetzlich wird gesetzlich geregelt, dass jeder der illegal nach Europa einreisen will, niemals mehr legal in Europa leben darf. Nie.
Flankierend werden in moeglichst unangenehmen Gegenden eines Drittlandes primitive Auffanglager fuer Asylsuchende eingerichtet, die von privaten Sicherheitfirmen bewacht werden. Die Bearbeitung von Asylantraegen in den Lagern dauerte Monate.
Auch die Lager gehoeren zur militaerischen Operation, ueber die es keine Informationen gibt.
Dieses brutale Vorgehen wird innenpolitisch damit gerechtfertigt, das nur so das Ertrinken von Fluechtlingen verhindert wird. Grosser Beifall nicht nur an den Stammtischen und in der konservativen Presse.
Proteste sind auf Grund der fehlenden Informationen schwierig und unpopulaer.
Darum Vorsicht mit moralischen Protesten!
Die Veroeffentlichung von Bildern ertrunkener Fluechtlinge hat eine politische Funktion!
„Unmenschlichkeit und Heuchelei zum Flüchtlingsdrama: Es ist unerträglich!“ https://wipokuli.wordpress.com/2015/04/19/unmenschlichkeit-und-heuchelei-zum-fluchtlingsdrama-es-ist-unertraglich/
& “Von Nine Eleven zur Sprengung Europas?” https://wipokuli.wordpress.com/2015/09/30/von-nine-eleven-zur-sprengung-europas/
Andreas Schlüter
Soziologe
Berlin
Der "Sohn vom General" musste schon als Kind, morgens am Frühstückstisch, den Generalvater in Volluniform stumm aushalten. Täglich. Gelernt ist gelernt. Eine solche, frühkindliche Sozialistaion ist die Voraussetzung überhaupt den Job als Innenminister machen zu können. Nur so ist man(n) "born to govern". Da lernt man aushalten, eisern, diszipliniert. Diese emotionalen Krüppel regieren uns zuhauf. Das ist Elite. Sonst nichts. Alternativlos. Und der pervers Clou: Die Masse findet das voll gut. Gelehrt und gelernt seit Jahrhunderten. Doch im Augenblick sieht es so aus, dass die ganze Chose aus Lug & Trug den Bach runter geht. Wir werden uns daran gewöhnen, wir werden es aushalten lernen. Das ist voll die Risikogesellschaft. Titanic en totale. Merde alors, Herr Gauland, pardon, Gauleiter!
"So schrecklich es auch ist, das Bild des toten geflüchteten Kindes wird vermutlich nichts verändern, nicht zu einem Umdenken bei Europas regierenden PolitikerInnen führen."
Die Frage müsste doch sein, ob es nicht zu einem Umdenken bei Organisation wie Sea-Watch kommt.
Sea-Watch und Co.: Lebensretter oder Handlanger eines mörderischen Menschenschmuggels?
|| ... ein Kind, das noch lebendig wäre, hätten wir in Deutschland und Europa weniger Menschen die Bilder wie dieses „aushalten“ können oder sich von ihnen gar „erpresst“ fühlen ||
Ach ja..? Wie das..?
schaut euch den innenminister doch mal genauer an.entdeckt ihr dort menschlichkeit ?
Ich gebe Ihnen vollkommen Recht - diese Gefahr der totalen Abschottung sehe ich auch. Doch dieses Bild wurde nicht mit der Intention veröffentlicht, diese Zustände zu erreichen. Die Gruppe von Sea Watch hilft den Geflüchteten auf dem Mittelmeer.
Die Lösung darf natürlich nicht eine noch umfangreichere Abschottung sein - das ist klar und geht aus dem Artikel hervor. Die von Ihnen beschriebene Forderung kommt so oder so. Österreich will es nun umsetzen bzw. disktutiert intensiv, dass Geflüchtete auf einer Insel interniert werden. Ein schrecklicher Plan - auch wenn er vor "ertrinken" schützt. Das Ziel darf nicht ohne Betrachtung des Weges erreicht werden.
Die Proteste, die ich einlege, richten sich auch nicht gegen das Bild. Sie richten sich gegen das Wegschauen der Politik.
Hätten wir eine andere gesellschaftliche Stimmung in Europa hätten wir ebenfalls eine andere europäische Politik. Doch ist diese unterschwellige Nähe zu zuwanderungsfeindlichen Positionen bereits seit langer Zeit so groß, dass dies nicht möglich ist - weil eben zu viele Menschen das Leid ausblenden können bzw. aus solchen Bildern gar ein Gefühl lesen, durch welches sie sich zum helfen genötigt fühlen...
Wissen Sie, ich habe nicht immer die Zeit und den Platz jeden einzelnen Kontext genau zu erläutern. Natürlich ist es von zentraler Wichtigkeit die Lebenssituationen in den Herkunftsländern deutlich zu verbessern und ein lebenswertes Niveau zu schaffen - mit den Menschen vor Ort. Ich gebe Ihnen Recht, dass die EU auf dem afrikanischen Kontinent viel Unheil angerichtet und unsagbare Armut hervorgerufen hat. Keine Frage - dies ändert jedoch nichts daran, dass zur sofortigen Hilfe legale Zugangswege benötigt werden.
Die Millionen Geflüchteten werden nicht binnen weniger Tage eine sichere und lebenswerte Umgebung im Herkunftsland finden können - also muss man ihnen den Weg in die Sicherheit sicher und legal gestalten. Nur so rettet man kurzfristig leben. Langfristig sind es natürlich andere Dinge, die umgesetzt werden müssen.