Aushalten? Das geht nicht!

Die Toten des Mittelmeers Vor wenigen Tagen ging ein Bild durch die Medien, es zeigt ein totes Kind, im Mittelmeer ertrunken. Innenminister de Maiziere meint, diese Bilder müssen wir aushalten ...

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„Was ich nicht sehe, gibt es nicht.“
„Was ich nicht sehe, gibt es nicht.“

Bild: Carl Court/Getty Images

Da ist wieder eines dieser „harten Bilder“, von denen wir derzeit nun mal ein „paar aushalten“ müssen, wie Innenminister de Maiziere vor einigen Wochen sagte. Ein Bild mit Kinderaugen, von denen wir uns, so AfD-Mitglied Gauland, nicht „erpressen“ lassen dürfen. Schreckliche Worte, die angesichts des aktuellsten Bildes eine noch viel grausamere Wirkung entfalten.

Das Bild zeigt ein Kind mit geschlossenen Augen – doch es schläft nicht ruhig auf dem Arm eines Seawatch-Helfers. Es ist tot. Es ist ein Kind, welches sein Leben bei der Flucht über das Mittelmeer verloren hat – ein Kind, das noch lebendig wäre, hätten wir in Deutschland und Europa weniger Menschen die Bilder wie dieses „aushalten“ können oder sich von ihnen gar „erpresst“ fühlen. All diesen de Maizieres und Gaulands, von denen es in Deutschland derzeit leider viel zu viele gibt, wünsche ich, dass sie gestern oder heute versuchen mussten ihren Kindern die Ursachen für dieses Bild zu erklären.

Kinder sollten solche Bilder eigentlich gar nicht sehen – wenn sie es aber doch getan haben, können sie zumindest ihren Eltern aufzeigen, wie „antrainiert“ ihre nationalistischen Gefühle, ihre menschenfeindliche Ignoranz und kapitalistische Gier in Wahrheit sind. Kinder können diese Bilder nicht begreifen, die Ursachen nicht verstehen, weil ihnen das „gesellschaftliche Training“, die vollständige Sozialisation fehlt, welche erst dazu führt, dass ein Mensch all diese Gefühle des nationalen Stolzes und der egoistischen Gier empfindet und daraus resultierend solche Bilder „aushalten“ kann.

Doch vermutlich würden selbst diese Gespräche nicht dazu führen, dass sich etwas an der europäischen sowie der nationalen Politik der EU-Mitgliedstaaten ändert – auf die einzig wirkungsvolle Ursachenbekämpfung, legale und sichere Zugangswege nach Europa, werden wir angesichts der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Stimmung noch lange warten müssen. Innenminister de Maiziere hat das Bild sicherlich schon problemlos „ausgehalten“ – einfach nicht mehr daran denken: „Was ich nicht sehe, gibt es nicht.“ In diesem Kontext eine erschütternde Logik.

Mit „christlichen Werten“, auf welche sich all diese Menschen gerne berufen, hat all das nichts zu tun. Wer meint, bei solch schrecklichen Bildern müsse man die Gefühle ausschalten und das Gesehene „aushalten“, der verlässt bereits den Boden der zentralen christlichen Werte wie Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Beide Eigenschaften kommen ohne Gefühle nicht aus – sie sind viel mehr das zentrale Element dieser Eigenschaften.

So schrecklich es auch ist, das Bild des toten geflüchteten Kindes wird vermutlich nichts verändern, nicht zu einem Umdenken bei Europas regierenden PolitikerInnen führen. Es werden auch weiterhin Menschen im Mittelmeer sterben und ebenso werden weiterhin nationale und egoistische Interessen über anderer Menschen Leben gestellt. Wir werden auch in Zukunft noch Bilder sehen müssen, die Herr de Maiziere „aushält“ – Bilder, die für viele Millionen von uns jedoch nicht auszuhalten sind. Sie sind grausam und zutiefst bedrückend. In der Schule dachte ich, solche Bilder gäbe es nur in den Geschichtsbüchern, in weniger zivilisierten Gesellschaften und autoritären Verhältnissen. Inzwischen wurde ich eines „besseren“ belehrt – es gibt sie auch in „freiheitlichen Demokratien“.

Es ist erschütternd.

Ich habe das Bild hier bewusst nich direkt sichtbar eingefügt – wer es noch nicht gesehen hat, jedoch wissen will worum es geht, findet es in diesem Artikel von Spiegel Online.

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