Oh, eine lesbische Nonne!

Benedetta Paul Verhoevens neuer Film ist ein kalkulierte Aufreger der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes, doch das Ergebnis bleibt trivial. Dabei böte die tatsächliche Geschichte Stoff für einen cineastischen Paukenschlag
Ausgabe 48/2021

Schönheit ist gefährlich, Intelligenz ist gefährlich. Auf beide Gefahren wird Benedetta (Virginie Efira), zunächst als kindliche Novizin, später als gestandene Nonne, mit Nachdruck hingewiesen. Benedetta ist beides zugleich. Die Mahnungen, gerade an eine junge Frau gerichtet, sind im Italien der Renaissance, das dem ewigen Provokateur Paul Verhoeven (Elle) als Setting seines erotischen Historiendramas dient, wahrlich angebracht.

Der Film war der kalkulierte Aufreger der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes. Wobei die Betonung eindeutig auf kalkuliert liegen muss. Die neueste Schöpfung des Basic-Instinct-Regisseurs bietet zwar entblößte Frauenleiber, bizarre Handlungselemente und ein Übermaß an Pulp. Die Rezeptur ist also noch die gleiche wie bei Showgirls, für den Verhoeven im Jahr 1996 noch den Schmähpreis der „goldenen Himbeere“ bekam. Doch inzwischen ist das alles schon mal da gewesen, nach den Show- kommen die Klostergirls. Und die schocken heute nicht mehr.

Darin liegt das größte Problem von Benedetta: Die Bemühungen, einen Skandal hervorzurufen, sind groß, und doch bleibt das Ergebnis trivial. Das unangenehme Gefühl, das sich angesichts der beinahe verzweifelten Versuche einstellt, ist vergleichbar mit dem, das ausgelöst wird, wenn jemand Witz um Witz erzählt und damit doch keine Lacher provoziert.

Dabei böte die auf tatsächlichen Begebenheiten beruhende Hintergrundgeschichte genügend Anknüpfungspunkte für einen cineastischen Paukenschlag. Die US-amerikanische Historikerin Judith Cora Brown stieß in den 1980ern auf Akten zu Benedetta Carlini (1590 – 1661) und machte mit ihrem Buch Schändliche Leidenschaften auf den Fall der wegen lesbischer Liebschaften verurteilten Nonne, die zuvor mit angeblichen Visionen und Stigmata von sich reden machte, aufmerksam. Die Wunderlichkeit dieser Biografie lässt wenig Spielraum für filmische Übertreibung, was Verhoeven mit Klamauk und Derbheit zu kompensieren versucht.

Chronologisch erzählt, wird Benedetta als kleines Mädchen in die Obhut des Klosters von Pescia gegeben, wo sie sich noch in der ersten Nacht aus ihrer Kammer stiehlt, um vor einer großen hölzernen Madonna zu beten. Die bricht plötzlich vom Sockel, doch statt sie zu erschlagen, fällt sie glücklich. Nämlich genau so, dass ihre blanke Brust vor Benedettas Gesicht landet, die prompt daran leckt. Kaum vorstellbar, dass Coming-outs vor 500 Jahren anders abgelaufen sein könnten.

Später trägt sie plötzlich Jesus’ Wundmale an Händen und Füßen, immer wieder erscheint er ihr in Form von kitschigsten Ikonendarstellungen. Besagte Visionen sind bewusst im Stile eines B-Movies gehalten, heben sich aber angesichts der gewollten Geschmacklosigkeit des restlichen Films nur bedingt ab.

Ist Äbtissin Felicitas (Charlotte Rampling) anfangs noch zögerlich, in Vorfällen wie diesen ein göttliches Wunder zu sehen, weicht ihre Skepsis schließlich der Hoffnung auf lukrative Begleiterscheinungen, die ein solches für ihr Kloster bedeuten würde. Sie verkörpert den Machthunger der katholischen Kirche auf nachvollziehbare Weise, da ihr im Gegensatz zum Rest der Figuren ein Mindestmaß an Introspektive zugestanden wird.

Das weibliche Triumvirat wird schließlich mit Ankunft einer Hirtentochter, die zu Schwester Bartolomea (Daphné Patakia) werden soll, komplettiert. Der Beziehung zwischen Benedetta und ihr widmet sich Verhoeven mit fiebriger Aufmerksamkeit. Benedetta gebiert eine zum Sexspielzeug umgearbeitete Marienstatue. Dass ihr Tun nicht ungesühnt bleiben darf, ist klar. Ebenso, dass Verhoeven diese Sühne mit abgeschmackt-makabrer Lüsternheit inszenieren wird.

Benedetta Paul Verhoeven Frankreich, Belgien Niederlande 2021, 131 Min.

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