Der Mythos galoppiert mit

Neowestern „Concrete Cowboy“ zeigt, dass es auch Schwarze Cowboys gab – und verkommt zum Feelgood-Movie
Ausgabe 13/2021

Mit dem Bild des schweigsamen, heterosexuellen Cowboys hat die Filmwelt schon vor Längerem gebrochen. Spätestens seit Brokeback Mountain kann sich das Kinopublikum auch Schwule als Viehtreiber vorstellen. Und nachdem Doris Day bereits 1953 in die Rolle der „Calamity Jane“ geschlüpft ist, kennen gerade jüngere Produktionen wie die Miniserie Godless oder der Film The Nightingale vermehrt Westernheldinnen. Bei Quentin Tarantino (Django Unchained; The Hateful Eight) sowie im Remake der Glorreichen Sieben gab es zuletzt auch Schwarze Cowboys zu sehen. Angesichts der Tatsache, dass man heute davon ausgeht, dass sie nach dem Bürgerkrieg rund ein Viertel der Rinderhirten im US-amerikanischen Westen ausmachten, eine überfällige und noch zu zaghafte Korrektur.

Auch Ricky Staubs Stadtwestern Concrete Cowboy möchte dem Whitewashing Hollywoods dezidiert etwas entgegensetzen und taucht dafür in eine spezielle urbane Subkultur im Norden Philadelphias ein. Der Film erzählt vom 15-jährigen Cole (Caleb McLaughlin) aus Detroit, der von der Schule fliegt, woraufhin ihn seine Mutter zum entfremdeten Vater Harp (Idris Elba) nach Philadelphia abschiebt. Dort hat Harp sich eine spartanische Existenz als moderner Stadt-Cowboy im Milieu des – tatsächlich existierenden – „Fletcher Street Urban Riding Club“ aufgebaut.

Die Handlung will zwar eine Coming-of-Age-Geschichte erzählen, doch Cole macht kaum eine erkennbare Entwicklung durch. Über die fast zweistündige Laufzeit wird er mal als notorisch genervter Teenager gezeichnet, mal als verlorenes Kind. Umso deplatzierter erscheint die Härte, mit der der Vater seinen Sohn empfängt: Einsilbig, streng, starrköpfig – ein echter Cowboy eben, der seinem Mythos entspricht. Einer, der Menschen misstraut, aber seine Pferde liebt. Mit Klischeevorstellungen einer solchen „Harte-Schale-weicher-Kern“-Männlichkeit überzieht der Film zahlreiche Charaktere und bringt sie damit frühzeitig um Originalität.

Dabei möchte Concrete Cowboy so gerne Authentizität für sich reklamieren. Nicht nur mittels der vielfach eingesetzten wackligen Handkamera. Der Haupthandlungsort ist mit den „Fletcher Street Stables“ ein realer. Den Club, der sie betreibt, gibt es bereits seit über 100 Jahren. Einige der Nebendarsteller sind echte Mitglieder, die im Abspann die Relevanz des Projekts als Alternative für Jugendliche in einem schwierigen Viertel betonen. Weshalb Staub und Dan Wasler, deren Drehbuch auf Greg Neris Roman Ghetto Cowboy basiert, eine inspirierende Geschichte über den Zusammenhalt einer exzeptionellen Gemeinschaft erzählen wollten.

Um von der familiären Verbundenheit, die jeden Abend um das Tonnenfeuer herum mit Bier zelebriert wird, etwas zu spüren, müsste sich Cole jedoch erst Respekt verdienen. Ähnlich wie sein Vater begegnet ihm nämlich auch der Großteil der Reiter im Stall mit misstrauischer Distanz, die der Film unterschwellig als das Ergebnis unzähliger Erfahrungen mit anderen Jugendlichen, die in die Gang-Kriminalität abgerutscht sind, rechtfertigt. Den Stall als echte Alternative dazu zu zeigen, gelingt dem Film gerade dadurch nicht. Zum Neuanfang wird er erst, als Coles erste Option wegbricht: Smush (Jharrel Jerome), der ältere Freund aus Kindheitstagen, der ihm als Drogendealer nicht nur teure Geschenke macht, sondern auch zuhört – anders als sein restliches Umfeld, das blind dafür scheint, dass gerade das Isoliertsein und die Einsamkeit Cole in Smushs Arme treibt.

Dass Harp selbst eine ganz ähnliche Vergangenheit hat, ist der leicht vorhersehbare Grund für seine Härte, dennoch wird sie in einem hochtrabenden Vater-Sohn-Moment im letzten Drittel melodramatisch aufgeblasen. Ab da verkommt Concrete Cowboy immer mehr zum formelhaften Feelgood-Movie: Cole darf ein widerspenstiges Pferd einfangen, das nur ihm gehorcht, es gibt ein Barbecue, ein Wettrennen im Sonnenschein. Nicht einmal der absehbare Tod Smushs, die Gentrifizierung oder das Veterinäramt, das über Hinweise vermeintlicher Mangelernährung kurzzeitig alle Pferde einsammelt, können am feststehenden Happy End etwas ändern. Derartige Zwischenfälle bieten nur Steilvorlagen für abgedroschenen Pathos („Zuhause ist kein Ort, sondern eine Familie“) und Western-Poesie. Wie es weitergehen soll? Egal: Cowboys will be Cowboys.

Info

Concrete Cowboy Ricky Staub USA 2020; 111 Minuten. Anbieter: Netflix

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden