Hier kommt der Wedding

Serie Die Macher von „4 Blocks” widmen sich in „Para – Wir sind King“ vier Freundinnen am Rande der „Clans“
Ausgabe 16/2021

Vier junge Frauen torkeln in einen Berliner Späti. Mit brennenden Kippen im Mundwinkel und aufeinander gerichteten Smartphones, aus deren Perspektive die Szene gefilmt zu sein scheint, wird die Fragen aller Fragen diskutiert: Korn oder Pfeffi? Bevor sie beantwortet wird, gehen mehrere Bierflaschen zu Bruch. Der entnervte Verkäufer wirft die Teenagerinnen raus, fordert eine von ihnen auf, gefälligst die gegriffene Schnapsflasche hierzulassen. Daraufhin wirft sie ihm diese, die Wahl schien spontan auf Korn gefallen zu sein, direkt ins Gesicht.

Das ist die Eröffnungssequenz der neuen TNT-Original-Serie Para – Wir sind King, für die einige der Macher des Überraschungserfolgs 4 Blocks verantwortlich sind. Das rasante Tempo, mit dem die Dramaserie ihre Zuschauer mitten ins Geschehen katapultiert, das kalkulierte Entsetzen, das sie gleich zu Beginn hervorruft, erweckt zunächst den Eindruck, dass sie ganz ähnlich wie das Gangsterepos funktionieren könnte: Krasse Kriminelle und ihre als Schauwerte verpackten Machenschaften, die die Grenzen zwischen real existierenden Problemen und gefährlichen Schauergeschichten verschwimmen lassen. Nur eben diesmal mit der Spukgestalt der unberechenbar gewaltbereiten Berliner Göre mit Aggressionsproblem statt des einflussreichen Clanchefs mit Drogenring im Zentrum. Wedding statt Neukölln.

Tatsächlich aber tummeln sich in den sechs Folgen viel diversere Figuren, die dementsprechend eine ganz andere Geschichte erzählen. Nach einem sechsmonatigen Zeitsprung werden sie in einer ebenso rasant geschnittenen Sequenz vorgestellt: Fanta (Jobel Mokonzi) hilft nach der Schule in dem Laden aus, in dem ihre Mutter (Dela Dabulamanzi) arbeitet; Rasaq (Roxana Samadi) macht gerade ihren Führerschein; Jazz (Jeanne Goursaud) wirft kurzerhand ihren Job als Stripperin hin, nachdem ihr ein Gast unwidersprochen in den Schritt fotografiert; und Hajra (Soma Pysall), die Flaschenwerferin, kommt gerade aus der Jugendhaft frei.

Die Wiedervereinigung wird ausgelassen zelebriert: An der langen Schlange vorbei geht es direkt in den Club, direkt zu den Toiletten, wo direkt die erste Line gezogen wird. Die dabei entstehenden stylischen Bilder in Hochglanzoptik erinnern unweigerlich an die jüngst diskutierte Serienadaption von Wir Kinder vom Bahnhof Zoo: ihre bestechende Ästhetik ist eine Stärke von Para – Wir sind King, sie entwickelt aber keinen beschönigenden Effekt oder ignoriert die Grenzen dessen, was die Glaubwürdigkeit zulassen würde, wie man es Amazons Version von Christiane F. gerne vorwarf.

Im Gegenteil: Auch Authentizität ist etwas, wodurch sich die von Özgür Yıldırım inszenierte Serie hervortut. Die polierte Bildsprache und der atemlose Erzählstil erinnern zwar durchaus an 4 Blocks, wo Yıldırım zur Mitte der zweiten Staffel die Regie übernahm. Doch während die Figuren dort zwar deutliche Anknüpfungspunkte in der Realität fanden, aber zusehends in genretypische Gangstermythen verfielen, überzeugt Para – Wir sind King, trotz des ein oder anderen Klischees, durch realitätsgesättigte Figuren aus Fleisch und Blut. Das Buch von Luisa Hardenberg, Katharina Sophie Brauer und Hanno Hackforth – letzterer war als Autor ebenfalls an der Clan-Saga beteiligt – zeichnet Protagonistinnen, die gleichermaßen durch Originalität in der Serienwelt wie eine gewisse Gewöhnlichkeit im tatsächlichen Leben auffallen.

Sie tragen Wut in sich

Teenagerinnen wie Jazz, die eigentlich von der Tanzkarriere träumen und für schnelles Geld an der Stange enden, gibt es viele. Junge Muslima wie Rasaq, die zwischen dem gefährlichen Lebensstil ihrer Clique, religiösen Traditionen und eigenen Ambitionen schwanken, ebenfalls. Mädchen wie Hajra, die ob des Gefühls, dass man wegen der deutsch-libanesischen Herkunft ihrer Eltern auf sie herabblickt, eine undefinierbare Wut in sich tragen, und solche wie Fanta, die sich aufgrund der prekären Lage ihrer Familie doppelt so sehr anstrengen müssen, um das Abitur machen zu können, sowieso. Ihre Geschichten werden bislang nur nicht ausreichend erzählt, gerade nicht in der deutschen Serienlandschaft.

Wo sich 4 Blocks viel auf seine taffe „street credibility“ einbildete und oft haarscharf an der Glorifizierung vorbeischrammte, außerdem mit Rapper Veysel Gelin den hitzköpfigen Bruder des Clanchefs Toni Hamady (Kida Khodr Ramadan) mit jemandem besetzte, der selbst wegen Körperverletzung mit Todesfolge über drei Jahre im Gefängnis saß, während Marvin Kren, Regisseur der ersten Staffel, offen damit prahlte, dass ihm Ramadan „die wirklichen Schlüsselspieler, die echten Toni Hamadys“ vorstellte, ist Para – Wir sind King wesentlich unprätentiöser.

Als Jazz am Ende der Partynacht gegen sechs Uhr anmerkt, dass sie nachher ein Bewerbungsgespräch habe, aber „noch voll drauf sei“, führt die Mädchen ihr Weg erst einmal zum Stammdealer Pascal (Florian Renner), wo die Clique jedoch nur eine völlig verwüstete Wohnung vorfindet – und im Chaos einen von den Einbrechern scheinbar übersehenen großen Beutel mit Kokain entdeckt. Rasaq hält sich raus, die anderen fassen jedoch schnell den Entschluss: Wir machen Para (türkisch für „Geld“)! Als sie den Stoff eigenständig zu verkaufen beginnen, kommt ihnen Pascal bald auf die Schliche. Die russische Mafia, von der er den Stoff bezieht, sitzt ihm bereits im Nacken.

In der so in Gang gesetzten Odyssee verliert Para – Wir sind King allerdings (zumindest während der ersten drei vorab verfügbaren Episoden) nicht die Nebenschauplätze, die alltäglichen Verstrickungen, aus dem Blick: Rasaq lernt erstmals ihren Verlobten kennen, Jazz versucht sich im neuen Job als Barkeeperin durchzuschlagen, Hajra bekommt eine Zusage in einer Klempnerei. Dabei setzt die Serie aufschlussreiche Zwischentöne: Bevor ihr Diebstahl auffliegt, werden Hajra, Fanta und Jazz beim Bummel in der Luxus-Boutique mit einem Naserümpfen wieder hinauskomplimentiert, später erntet Letztere beim Versuch, bei der Bank einen Kredit zu organisieren, ein mitleidiges Lächeln. Klasse ist Thema, und wie die ihnen ständig entgegenschwappende Geringschätzung die jungen Frauen erst zu zweifelhaften Mitteln greifen lässt, ebenfalls.

Während 4 Blocks also mit seiner ersten Staffel im Frühjahr 2017 passend zur Berichterstattung nach dem spektakulären Goldmünzenraub aus dem Berliner Bode-Museum erschien und den Medienhype um „Clans“ – eine mit Kriminalität assoziierte Begrifflichkeit, die beinahe zum Synonym für arabische Großfamilien avanciert ist – befeuerte, erweist sich Para – Wir sind King bislang als differenziertere Milieustudie mit unterhaltsamen Neuigkeitswert, die glücklicherweise auf ein abgeschmacktes Spiel mit dem Grusel von „den Fremden“ verzichtet und eher Verständnis schafft als es zu stören.

Info

Para – Wir sind King Hanno Hackfort, Bob Konrad, Richard Kropf, Özgür Yıldırım Deutschland 2021; 6 Folgen. Anbieter: TNT

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden