Die DDR gibt’s jetzt bei Netflix. Sicherlich entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass der Arbeiter-und-Bauern-Staat nun als Kulisse für eine satirische Hochglanz-Serie dient, die für eines der bedeutendsten US-amerikanischen Unterhaltungsunternehmen produziert wurde. Ausgerechnet beim „Klassenfeind“ läuft sie, würde wahrscheinlich die titelgebende Protagonistin selbst sagen, wenn sie denn jemals existiert hätte. Die Serie Kleo aber eröffnet mit den Worten „Dies ist eine wahre Geschichte. Nichts davon ist wirklich passiert“, und das fasst den ambivalenten Umgang der Produktion mit der historischen Materie recht treffend zusammen.
Einerseits können Nostalgiker, denen das „Aber es war doch nicht alles schlecht“ schon auf der Zunge liegt, aufatmen: Die von Hanno Hackfort, Richard Kropf und Bob Konrad (4 Blocks) erdachte Serie zeigt ja nicht die „richtige“ DDR. Jedenfalls nicht die, die man aus Geschichtsbüchern kennt. Sondern eine überdrehte, grellbunte Version, in der eine vom Ministerium für Staatssicherheit zur Killermaschine ausgebildete Genossin auf Rachefeldzug geht. Andererseits wird die Heldin dabei mit der Doppelzüngigkeit eines Systems konfrontiert, das stets das Wohl seiner Einwohner betont, sie aber unaufhörlich als potenzielle Bedrohung behandelt, überwacht, notfalls „unschädlich“ macht. Und das passt wiederum doch ganz gut in das DDR-Bild, das sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat.
Aber der Reihe nach: Zunächst steigt Kleo (Jella Haase) im Jahr 1987 unweit der Berliner Mauer aus einem Trabbi, dreht sich kurz zum Fahrer des Wagens um und ruft mit breitem Grinsen auf den Lippen das „Immer bereit!“ der Jungpioniere aus. Im blauen Trainingsanzug schlendert sie dann in einen dunklen Tunnel. Auf dem Weg grüßt sie eine Ratte („Genosse Lenin“) und füttert sie mit einem Stückchen Käse – selbstredend mit einer DDR-Flagge darin. In einem als Stromkasten getarnten Versteck findet sie schließlich Kleidung, Perücke, West-Mark und Rasiermesser. „Ick staune, ick staune“, kommentiert sie nüchtern, ehe sie zu ihrer Mission aufbricht.
Jella Haase (Fack ju Göhte) legt all ihr Charisma in die außergewöhnliche Rolle. Ihr betont saloppes Auftreten ist für das Gelingen der Serie unerlässlich, geht der Reiz der Erzählung doch vor allem von der verschroben-liebenswerten Heldin aus, die sich beim Begehen selbst schlimmer Gräueltaten immer eine Aura des Kindlichen bewahrt.
Im Namen der Arbeiterklasse
So gönnt sie sich, nachdem sie im Westen einen Geschäftsmann im Club Big Eden zunächst angeflirtet und ihn danach mit einer als Kokain getarnten Substanz umgebracht hat, ruhig noch eine Currywurst, ehe sie seelenruhig in ihr farbenfrohes Ein-Zimmer-Apartment in Ostberlin zurückkehrt, wo sie sich noch das Sandmännchen im Fernsehen ansieht. Ja, die actionlastige Dramedy-Serie arbeitet genüsslich mit DDR-Klischees.
Vor allem die Borniertheit ihrer Führungselite wird durch den Kontrast zur abgeklärten Kleo karikiert. Wie ein Fremdkörper wirkt sie neben hochrangigen Apparatschiks, die nicht müde werden, sich auf den Geist der Arbeiterklasse und den Kampf für die gute Sache zu berufen, gleichzeitig aber keinerlei Skrupel haben, zuallererst auf ihr eigenes Fortkommen zu achten.
Wie gnadenlos das System selbst gegenüber seinen treusten Anhängern auftreten kann, wird ihr vor Augen geführt, als sie kurz nach besagtem Auftrag im Big Eden unter fadenscheinigen Vorwänden festgenommen wird und daraufhin als politische Gefangene in Haft gerät. Drei Jahre bringt sie im Gefängnis zu und erleidet dort nach einer Prügelei eine Fehlgeburt, ehe sie nach dem Mauerfall im Jahr 1990 freigelassen wird.
Hier beginnt ihre Suche nach Antworten. Bei Großvater Otto (Jürgen Heinrich) – wichtiger Offizier, der maßgeblich an ihrer Ausbildung mitwirkte, und ihre einzige verbliebene Familie – sowie Ex-Freund Andi (Vladimir Burlakov), der ebenfalls für die Stasi tätig war, sucht sie zunächst nach Gründen für den Verrat, der offensichtlich an ihr begangen wurde und ihre Verurteilung erst möglich gemacht hat.
Als diese ihr die Gründe nicht liefern können, startet sie ihre mindestens so kreative wie blutige Vendetta, bei der sie, stets in anderer Verkleidung, Name um Name auf ihrer Todesliste abarbeitet. Und auf der findet sich sogar Erich Mielke wieder.
Kleo erinnert immer wieder an Kill Bill, der hier ganz offensichtlich als Inspiration diente. Die Serie wartet in ähnlicher Weise mit überspitzten Kampfszenen und spektakulären Toden auf und unterhält mit absurden Dialogen – ja, kommt fast unverkrampfter und humoristischer daher als Quentin Tarantinos Action-Klassiker.
Das liegt unter anderem auch an den skurrilen Figuren, die Kleo zur Seite gestellt werden. Thilo (Julius Feldmeier) wird ihr als ständig zugedröhnter Techno-Jünger aus dem Westen zum unerwarteten seelischen Beistand. Polizist Sven (Dimitrij Schaad), der damals Zeuge ihrer Tat im Big Eden gewesen ist und sein Wissen dazu nutzen möchte, endlich in die Mordkommission versetzt zu werden, ist zunächst ihr Rivale, unterstützt sie aber später bei ihren Ermittlungen, als nach und nach klar wird, dass die Ereignisse im Jahr 1987 Teil eines Komplotts waren, das weit über die Grenzen der DDR hinausreicht.
Kleo ist überaus gelungene und von den Regisseuren Viviane Andereggen und Jano Ben Chaabane immer wieder überraschend inszenierte Unterhaltung, die zugleich mit einnehmender Leichtherzigkeit mit den Verletzungen und Kränkungen der deutschen Wiedervereinigung spielt, ohne sich achtlos darüber lustig zu machen. Selbst das Ende, das etwas zu harmoniebedürftig auf die symbolische Versöhnung zwischen Ost und West setzt, kann man verzeihen.
Kleo Hanno Hackfort, Bob Konrad, Richard Kropf Deutschland 2022, 8 Folgen, Netflix
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