Dammbruch im Wahlkampf

Jürgen Trittin Am 22.9. wird gewählt. Jede Stimme wird gebraucht. Um Inhalte geht es nicht und so werden bei der Union die Schlachtenkostüme der Vergangenheit aus dem Schrank geholt.

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"Trittin war Teil des Pädophilie-Kartells bei den Grünen und ist als Frontmann untragbar“, sagt Dobrindt FOCUS Online und fügt hinzu: „Statt sich selbst zu stellen und die Karten auf den Tisch zu legen, hat er gewartet, bis er enttarnt und überführt wurde. Der heuchlerische Umgang mit der Pädophilie-Vergangenheit ist mit ein Grund, warum die Wähler sich von der Grünen abwenden

(focus-online, 16.09.2013).

Katherina Reiche (CDU), Staatssekretärin im Umweltministerium: „Angesichts des Umgangs der Grünen mit Pädophilie in ihren Reihen dreht sich mir der Magen um. Unvorstellbar, dass bis zum heutigen Tag die kriminellen Machenschaften verharmlost, die Verantwortung dafür geleugnet, die Opfer mit einem kaum für möglich gehaltenen Hohn erneut gedemütigt werden.“ Sie forderte Trittin & Co. auf, sich bei den Opfern zu entschuldigen

(bild.de, 16.09.2013)

Jürgen Trittin genehmigte Pädophilie-Passage in Kommunalwahlprogramm

(Zeit-Online, 16.09.2013)

Trittin winkte Pädophilie-Programm durch

(Die Welt, 16.09.2013)

"Der CDU-Politiker Philipp Mißfelder forderte Trittin angesichts der Vorwürfe dazu auf, Konsequenzen zu ziehen. "Herr Trittin soll sich wirklich überlegen, ob er der Richtige ist für diese Führungsaufgabe bei den Grünen", sagte Mißfelder in Berlin. Was 1981 von den Grünen in Göttingen veröffentlicht worden sei, nannte Mißfelder "absolut indiskutabel und abscheulich"

(Die Welt 16.09.2013).

Alles Unsinn. Worum es wirklich geht kann man hier nachlesen: Die Grünen und die Päderasten.

Dieser Wahlkampf wird in die Geschichte eingehen. Befreit von so gut wie jedem Inhalt, stürzen sich die Medien auf alles was irgendwie als „Sensation“ taugt. Der Spitzenkandidat der SPD wird auf eine, so man sie aus dem Kontext reißt obszöne Geste reduziert, die Kandidatin der AfD in Berlin, Beatrix von Storch und ihr Mann werden von der Welt (15.09.2013) ins Zwielicht gezogen. Auf der Basis von Informationen einer gekündigten Mitarbeiterin wird ihnen die Veruntreuung von Geldern ihres Vereins Zivile Koalition e.V. unterstellt und Jürgen Trittin wird mal kurz für den Inhalt eines Parteiprogramms von 1981 verantwortlich gemacht, weil er vor 32 Jahren als presserechtlich Verantwortlicher im Impressum stand.

In dem Programm werden noch mehr Sachen stehen, die er auch damals nicht richtig fand und noch viel mehr, die er mittlerweile falsch findet. Scheinbare Ursache für die Angriffe auf den grünen Vormann, ein Artikel aus der heutigen taz von Walter und Klecha, die im Auftrag der Grünen klären sollen, wie das damals mit den Päderasten und den Grünen so war.

Der Gipfel der Unanständigkeit der Angriffe auf Trittin ist erreicht, wenn Politiker wie Mißfelder davon sprechen, dass das Programm um das es geht „absolut indiskutabel und abscheulich“ ist. Das haben seine CDU-Parteikollegen von damals, als es ihn noch nicht, aber das Programm der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste (AGIL) gab, anders gesehen. Hätte er den Artikel von Walter und Klecha gelesen, so wüsste er auch, dass der Artikel auf den er sich ja indirekt bezieht, gerade dieses Verhalten der Tabuisierung und Nichtäußerung kritisiert. Aber darum geht es Mißfelder nicht. Er will bar jedes Wissens und Anstandes Jürgen Trittin in die Nähe des Missbrauchs von Kindern rücken. Ebenso Katherina Reiche. Sie benutzt den Anlass um ihre absolute Bestürzung gegenüber Bild zu Protokoll zu geben. Die Art, wie sie sich aufplustert, um sich mit dem Leid von gedemütigten und geschändeten Kindern moralisch zu beleihen und aus dieser Selbstüberhöhung auf Trittin einzuschlagen, ist einfach nur noch widerlich, aber noch steigerbar: „Trittin war Teil des Pädophilie-Kartells bei den Grünen und ist als Frontmann untragbar“, sagt Dobrindt Focus Online (16.09.2013) und fügt hinzu: „Statt sich selbst zu stellen und die Karten auf den Tisch zu legen, hat er gewartet, bis er enttarnt und überführt wurde.

Auch wenn man von Dobrindt nichts anderes erwarten darf, als dass ihm Tatsachen häufig nur Anlass sind, sie zu drehen und zu biegen und als Lüge wieder in die Welt zu lassen, so ist doch die Idee eines Pädophilie-Kartells, dass es bei den Grünen gab und womöglich noch gibt, der Versuch mit Satire der PARTEI zu konkurrieren. Damit bekommt seine Äußerung, ungewollt neben der absoluten Abwesenheit von Aufrichtigkeit auch etwas Aufklärerisches. Die Hetze bemüht sich nicht um Tarnung, sondern zelebriert sich.

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Allerdings wird dieser Wahlkampf nachhaltige und böse Folgen zeigen. Die Ersetzung wirklicher Differenz, durch willkürliches hochjazzen von am Wegesrand auftauchenden Nichtthemen, erzeugt tiefe Wunden und könnte auch stilbilden wirken. Wenn sich jetzt schon Wolfgang Bosbach dazu hin reißen lässt in den unkenden CDU-Chor einzustimmen, so lässt das nichts Gutes befürchten: „Wenn ein führender Unionspolitiker für einen derartigen Text Verantwortung übernommen hätte, würden alle Grünen über ihn herfallen und lautstark seinen Rücktritt fordern“ (Focus online, 16.09.2013). Hier irrt Bosbach. Grüne sind zwar so ähnlich wie Bosbach sie beschreibt, aber sie können zwischen Programmen und Positionspapieren unterscheiden. Alle. Naja, zumindestens die Meisten.

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