Das BVerfG schafft Klarheit

Vermögensabschöpfung Die jüngst veröffentlichte Entscheidung macht den Weg frei, dass auch bei CumEx-Verfahren trotz Verfolgungsverjährung, den Tätern die Beute wieder abgenommen werden kann.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Das Bundesverfassungsgericht hat mit der Veröffentlichung seiner Entscheidung zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung am 5. März diesen Jahres etwas sehr Wichtiges klargestellt. Gesetze mit echter Rückwirkung sind zwar regelhaft nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, aber der sich aus der Verfassung ergebende Vertrauensschutz bewirke zugleich auch die Grenzen dieses Verbotes. Das heißt in diesem Fall, nur weil die Anwendung der Verjährung die Bestrafung verhindert, kann sich hierauf kein Vertrauen aufbauen, dass der Ertrag der strafrechtlich ungesühnten Tat durch den Staat gegen seine eigenen Interessen zu garantieren ist. „In der hier zur Entscheidung stehenden Konstellation muss der Vertrauensschutz aufgrund überragender Belange des Gemeinwohls zurücktreten, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen“ (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 10. Februar 2021 - 2 BvL 8/19 -, Rn. 138)

Schon etwa vier Jahre zuvor war das auch die Überzeugung der Bundesregierung und der Mehrheit des Bundestages, einschließlich größter Teile der Opposition. Schon seit Jahrzehnten - dazu später - gab es ein klares Bewußtsein darüber, dass die Hemmung der Strafverfolgung nicht auch noch zugleich zwingend den Vermögensvorteil nach sich ziehen sollte. In der Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Bundestages gab es keinerlei Zweifel, dass dies verfassungskonform möglich sei:

Die Übergangsvorschrift kollidiert nicht mit dem verfassungsrechtlich verankerten Rückwirkungsverbot. Artikel 103 Absatz 2 GG findet keine Anwendung, weil die Vermögensabschöpfung keinen Strafcharakter besitzt (vgl. bereits zum geltenden Recht BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2004 – 2 BvR 564/95 – BVerfG 110, 1, Rn. 81 ff.). Auch das in Artikel 20 GG verankerte allgemeine Rückwirkungsverbot steht der Regelung nicht entgegen, da ein etwaiges Vertrauen in den Fortbestand einer strafrechtswidrig geschaffenen Vermögenslage nicht schutzwürdig ist. Die neuen Regelungen des § 76a Absatz 2 und des § 76b StGB-E gelten damit folgerichtig auch für Fälle, in denen nach bisherigem Recht der Verfall auf Grund der Koppelung an die Verjährung der Tat (vgl. § 78 Absatz 1 in Verbindung mit § 76a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 StGB in der bisherigen Fassung) bereits verjährt war. Anders als bei der Verfolgungsverjährung (vgl. dazu Drucksachen 18/2601, S. 23 und 16/13671, S. 24; BGH, Beschluss vom 24. Juni 2004 – 4 StR 165/04 – NStZ 2005, 89) erfasst die Verlängerung der Verjährung für die quasi-bereicherungsrechtliche Vermögensabschöpfung auch Sachverhalte, in denen bei Inkrafttreten der Neuregelung die Verjährung bereits eingetreten war“ (Drucksache 18/11640 vom 22.03.2017, S. 84).

Rückblende: Sommer 2020

Mit dem Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz sollten dem Anschein nach auch in bereits verjährten Fällen Gewinne aus Cum Ex Steuergeschäften bzw. Fällen schwerer Steuerhinterziehung zurückgeholt werden können. Staatsanwaltschaften bekamen auf den ersten Blick mit dem § 375a der Abgabenordnung (AO) die Möglichkeit, rechtswidrig erlangte Erträge u.a. aus den Cum-Ex-Geschäften von Beteiligten auch nach erfolgter Verjährung einzuziehen. Die aus der Tat resultierende Ersatzansprüche des Tatverletzten, sollten nicht mehr durch Verjährung erloschen sein.

Zugleich hatte das Bundesfinanzministerium in § 34 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO) als Teil des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz eine Regelung versteckt, wonach das nur für Steueransprüche gelten sollte, die am 1. Juli 2020 noch nicht verjährt gewesen wären. Begründet wurde das mit dem Gebot des Rechtsstaates und des in ihm verankerten Rückwirkungsverbotes. Vertrauensschutz für die Räuber und das geraubte Gut. Das widersprach sowohl dem Ziel der 2017 erfolgten Neuordnung des Einziehungsrechts, danach sollte gerade, wenn die Tat ungesühnt blieb, zumindest die Beute nicht beim Täter verbleiben, wie auch der Rechtsprechung des BVerfG, die in einem Beschluss vom 14. Januar 2004 (2 BvR 564/95 BVerfG 110, 1, Rn. 81 ff.) festgestellt hatte, dass ein etwaiges Vertrauen in den Fortbestand einer strafrechtswidrig geschaffenen Vermögenslage nicht schutzwürdig sei. Zwar hatte der BGH (Beschluss vom 7. März 2019 - 3 StR 192/18 - LG Oldenburg) dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob die Neuordnung des Einziehungsrecht, sofern eine Rückwirkung vorliegt, mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und in den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar sein würde. Der 3. Strafsenat des BGH hielt dies selbst für nicht gegeben, aber das BVerfG hatte in dieser Causa damals noch nicht entschieden und viele Juristen sahen aus Gründen des Allgemeinwohls hier eine zulässige Ausnahme vom Grundsatz, dass Gesetze nicht rückwirkend die Rechtslage verändern dürfen. So sah das u.a. 2017 die Mehrheit des Deutschen Bundestages und im August 2020 auch der Wissenschaftliche Dienst dieses Parlaments. Der hatte sich im Auftrag von Fabio de Masi mit der Sache beschäftigt. Denn nachdem Grüne und Linke mitbekommen hatten, welche Kuckucksei im Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung versteckt war, war deren Empörung groß genug, sich gegen die Scheinbegründungen des BMF zu stellen und neben Öffentlichkeit für diesen bemerkenswerten Vorgang auch handfeste Argumente beizubringen.

Die Sache war – wohl auch mit Blick auf die in diesem Jahr stattfindende Bundestagswahl – erfolgreich. Mit dem Jahressteuergesetz 2020 (JStG 2020) wurde drei Tage vor Weihnachten die Farce rückgängig gemacht und dafür gesorgt, dass unrechtmäßiges erworbenes Vermögen nicht nur deswegen beim Täter verbleiben kann, weil die Tat nicht mehr strafrechtlich zu ahnden ist.

Die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung

Eine schöne Bestätigung hat nun auch noch einmal das Bundesverfassungsgericht geliefert, dass sich mit einer Vorlage durch den 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zu beschäftigen hatte. In der Pressemitteilung des BVerfG vom 5. März 2021 heißt es u.a.:

„Da der deliktische Erwerbsvorgang durch den Eintritt der Verfolgungsverjährung seitens der staatlich verfassten Gemeinschaft nicht nachträglich gebilligt wird, bleibt auch das auf diese Weise erworbene Vermögen weiterhin mit dem Makel deliktischer Herkunft behaftet. Die fortwährende Bemakelung von Vermögenswerten infolge strafrechtswidrigen Erwerbs stellt eine Ausprägung des allgemeinen Prinzips dar, dass das Vertrauen in den Fortbestand unredlich erworbener Rechte grundsätzlich nicht schutzwürdig ist“.

Warburg & Genossen

Damit wird auch der gesamte Aufwand des Bankhauses M.M. Warburg zur Herbeiführung der Verjährung und die Schaffung von Komplizen in Politik und Verwaltung zur nachträglichen Absurdität (vergl. hierzu u.a.: Die SPD und die Räuberbank). Diesbezüglich dürfte lohnend sein, noch einmal die Ausführungen der Finanzbehörde anzuschauen und vor allen Dingen des Senats. Die Bürgerschaftsdrucksache 21/12088 vom 19.02.18 - Bericht des Haushaltsausschusses über die Selbstbefassungsangelegenheit zum Thema „Steuerprüfungen im Cum-Cum- und Cum-Ex-Bereich“ - lohnt auch heute noch der Lektüre. Vor allen Dingen wenn man sich dabei vergegenwärtigt, dass kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode der Deutsche Bundestag am 13.4.2017 das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung (VermAbschRÄndG) verabschiedet hatte, das zum 1.7.2017 in Kraft trat und eine grundlegende Neuregelung des bisherigen Regelungswerks der Vermögensabschöpfung darstellt und nun vom BVerfG bestätigt wurde.

Im Februar 2018 also tagt in Hamburg der Haushaltsausschuss:

„Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE fragten, ob im Falle einer Verjährung eine strafrechtliche Verfolgung ausgeschlossen sei. Die Senatsvertreterinnen und -vertreter legten dar, die strafrechtliche Verjährung knüpfe an die Entdeckung der Straftat an. Insofern könne die Festsetzungsverjährung von der strafrechtlichen Verfolgung abweichen. Auch eine erfolgreiche Strafverfolgung lasse den Eintritt der steuerrechtlich eingetretenen Verjährung nicht hinfällig werden. Was steuerrechtlich verjährt sei, bleibe verjährt. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle nach einer Verjährung das Verfahren nicht wieder aufgegriffen werden, sondern Rechtsfrieden eintreten“ (ebenda, S.4).

Schon 2016 hatte die Bundesregierung ihren Gesetzesentwurf damit begründet, dass „(n)ach der Neufassung … die selbständige Einziehung von Taterträgen damit künftig auch dann zulässig (sei), wenn einer Verurteilung rechtliche Gründe … entgegenstehen. ... Der Entwurf schafft somit die rechtliche Möglichkeit einer nachträglichen Vermögensabschöpfung“ (Bundesratsdrucksache 418/16 vom 12.08.2016 Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, Seite 61). Diese später (2017) beschlossene Neufassung der Vermögensabschöpfung hat nicht nur die Vermögensabschöpfung bei steuer- sondern auch bei strafrechtlicher Verjährung ermöglichen sollen.

Dass das Problem schon lange bekannt war, belegt eine Bundestagsdrucksache aus den 90ern des letzten Jahrhunderts. Dort führt die Bundesregierung aus:

Zunächst hat der Erweiterte Verfall nach § 73 d StGB-Entwurf ebenso wie der einfache Verfall nach § 73 Abs. 1 StGB keinen Strafcharakter, sondern verfolgt das Ziel, eine strafrechtswid rig zustande gekommene Vermögenszuordnung zu korrigieren …Bereits unter diesem Gesichtspunkt scheint es nicht zwingend, Verfahrenshindernisse, die den Täter vor einer Inanspruchnahme schützen sollen, wie z. B. die Verjährungsregelungen, grundsätzlich auch auf den Verfall des Tatvorteils zu erstrecken. Im Ergebnis bewirkt der geltende § 76a StGB nämlich, daß bei Eintritt eines Verfahrenshindernisses nicht nur die Tat „ungesühnt", sondern auch der materielle Nutzen der Tat beim Täter bleibt. Im Rahmen der Gesamtüberarbeitung der §§ 73 ff. StGB wird daher eine an § 76a Abs. 2 StGB orientierte Lösung auch für den Fall der selbständigen Verfallanordnung zu prüfen sein“ (BT-Drcks.11/6623vom 09.03.1990).

Das was der Senat im Haushaltsausschuss als Rechtsfrieden bezeichnete, ist nichts anderes als die Auffassung, dass wenn der Staat nicht mehr strafen kann, dann soll auch der Ertrag der Straftat beim/bei der Straftäter:in verbleiben. Irgendwie so nach dem Motto: kriminelle Leistung soll sich lohnen können, wenn die kriminelle Tat nur Steuerhinterziehung war. Da sich der Senat in der erwähnten Drucksache ausdrücklich auf die Reform der Vermögensabschöpfung bezog [„Die Zahlungsverjährung bei Steuerhinterziehungen sei im Jahr 2017 von fünf auf zehn Jahre verlängert worden“(Bürgerschafts Drcks. 21/12088, S.3)], darf man davon ausgehen, dass eine nachträgliche Vermögensabschöpfung aus Cum-Ex-Erträgen für eine absurde Idee gehalten wurde. Jedenfalls wurde der Zusammenhang nicht gesehen oder bewusst ausgeblendet. Dass das so ist, hängt mit der Historie des Rechts zusammen, dass es ermöglicht den sog. deliktischen Ertrag dem illegalen Besitzer auch nach Verfolgungsverjährung wieder abzunehmen.

RICHTLINIE 2014/42/EU

Am 3. April 2014 wurde die EU-Richtlinie 2014/42 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Mit Ihr und ihrer Umsetzung in nationale Gesetze, „sollten die zuständigen Behörden die Mittel erhalten, um die aus Straftaten erlangten Erträge ermitteln, sicherstellen, verwalten und einziehen zu können“. Man sah dies als Ansatz an der Wurzel, denn „(d)as Streben nach Profit ist die wichtigste Triebfeder der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität, einschließlich mafiaähnlicher krimineller Organisationen“.

Zwar wird hier etwas leichtfertig das Streben nach Profit ausschließlich mit organisierter Kriminalität assoziiert, aber das ist sicherlich nur den Umstanden geschuldet, wie man das Thema bearbeitet hat. Der Fokus lag sowohl in der Richtlinie, wie später auch der nationalen Umsetzung 2017 immer auf mafiaähnlicher Kriminalität und auf Terrorismus. Insbesondere wurde im „Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität ein neues Abschöpfungsinstrument, mit dem strafrechtswidrig erlangtes Vermögen unklarer Herkunft eingezogen werden kann, ohne dass eine konkrete Straftat nachgewiesen werden muss“ gesehen (18/11640, 77). Zwar werden in der Drucksache einmal Verbrechen gegen die Umwelt und Insiderhandel erwähnt, Steuervergehen aber werden nur im Zusammenhang mit Umsatz- und Verbrauchssteuern erwähnt, die zugleich auch wieder der organisierten Kriminalität zugeordnet wurden und damit waren nicht Banken wie M.M. Warburg usw. gemeint.

Wäre es anders, wäre es womöglich auch nicht zu dieser Reform gekommen.

Einerseits, was die Möglichkeit der „erweiterte(n) Einziehung“ betrifft, „wenn nach Überzeugung des Gerichts die betreffenden Vermögensgegenstände aus Straftaten stammen“ und die EU-Richtlinie dazu explizit im begründenden Teil ausführt: „Dies bedeutet nicht, dass feststehen muss, dass diese Vermögensgegenstände aus Straftaten stammen. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass es beispielsweise ausreichen könnte, dass das Gericht nach einer Wahrscheinlichkeitsabwägung befindet oder vernünftigerweise davon ausgehen kann, dass es wesentlich wahrscheinlicher ist, dass die betreffenden Vermögensgegenstände aus Straftaten stammen, als dass sie durch andere Tätigkeiten erworben wurden“. Das hat Deutschland gemacht, wiewohl die Opposition (Grüne. Die Linke hat dem zugestimmt) hierzu massive Bedenken geäußert hat: „Diese Regelung führt faktisch zu einer Beweislastumkehr zulasten des Betroffenen und verstößt gegen die Unschuldsvermutung. Verfassungsrechtlich ist sie damit nicht haltbar“ (18/11640, 76).

Andererseits, was die Verjährung von Straftaten anbelangt und die Eröffnung der Möglichkeit, die illegal erworbenen Vermögen gleichwohl einzuziehen. Hätten die Abgeordneten damals geahnt, dass dies nicht nur die Mafia, sondern auch Unternehmer trifft, von denen man sich angewöhnt hat, von „der Wirtschaft“ zu sprechen und die allgemein als Stützen der Gesellschaft gelten, vielleicht wäre man dann vorsichtiger gewesen. So ist es dann auch zur Vorlage beim BVerfG nicht gekommen, weil der Mafia Geld weggenommen wurde, wiewohl die zugrunde liegende Straftat nicht mehr zu verfolgen war, sondern weil ein fleischverarbeitendes Unternehmen(!) im großen Umfang illegal Ausländer beschäftigt hatte und damit gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung verstieß. Die Taten waren verjährt, trotzdem hat das LG Oldenburg im Oktober 2017 angeordnet den Ertrag aus der illegalen Beschäftigung in Höhe von 10,5 Mio. Euro dem produzierenden Unternehmen und einen geringeren Betrag beim Personaldienstleister einzuziehen.

Obwohl zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Reform auch schon intensiv über die Illegalität von Cum-Ex-„Geschäften“ diskutiert und seit Anfang 2016 direkt gegen die Warburg Bank ermittelt wurde, reichte es nicht, den Zusammenhang mit denen herzustellen, die man ständig auf Empfängen und bisweilen im Amtszimmern traf.

Das sollte sich schlagartig ändern, als das Landgericht in Bonn (Urteil vom 18.03.2020 – 62 KLs 213 Js 41/19 – 1/19) sein Urteil im ersten Cum-Ex-Strafprozess fällte: „gegenüber der Einziehungsbeteiligten“ M.M. Warburg wurde „nach § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 73c Satz 1, § 73 Abs. 2 StGB in Höhe eines Betrages von 176.574.603 Euro“ die Einziehung angeordnet (Urteil RN 1923). „Anzuwenden waren gemäß Art. 316h Satz 1 EGStGB in sämtlichen Fällen die Regelungen des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.04.2017“ (RN 1924).

Vergeblicher Einsatz für die Cum-Ex-Räuber

Die Konsorten zur Herbeiführung einer Verjährung der Ansprüche des Staates gegen die Täter, die ihn beklauten, gingen fest davon aus, dass dies gelingen würde. Noch im Juli des letzten Jahres wurde mit einem § 34 EGAO, versteckt im Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz versucht, den gerade erst eingeführten § 375a der Abgabenordnung zu verwässern, wonach der nur für Steueransprüche gelten sollte, die am 1. Juli 2020 noch nicht verjährt waren. Zwar war der Gesetzgeber genötigt tätig zu werden, weil er handwerklich nicht ganz sauber gearbeitet hatte. Es gab ein Urteil des Bundesgerichtshofes (1 StR 173/19 vom 24. Oktober 2019), der Feststellung traf, dass eine Einziehung von Erträgen aus Steuerverkürzungen nicht rechtens sei, wenn der Steueranspruch bereits verjährt ist und er bezog sich dabei auf § 47 Abgabenordnung (AO) und § 73e Strafgesetzbuch (StGB). § 47 AO definiert, dass u.a. durch Verjährung Ansprüche erlöschen und § 73e besagt, dass die Einziehung nach den §§ 73 bis 73c ausgeschlossen ist, „soweit der Anspruch, der dem Verletzten aus der Tat auf Rückgewähr des Erlangten oder auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen ist, erloschen ist“. Mit dem Jahressteuergesetz 2020 vom 21.12.2020 wurde mittlerweile das Problem durch Hinzufügung eines zweiten Satzes gelöst: „Dies gilt nicht für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind“.

Ob das ohne Fabio de Masi so schnell (knapp sechs Monate) korrigiert worden wäre, darf man bezweifeln. Festzuhalten bleibt, die Koalition, aber maßgeblich das BMF (Olaf Scholz) haben versucht den ganzen Bundestag hinter die Fichte zu führen und nachdem das herauskam, mit Rechtsstaatbedenken zu blufen. Die Süddeutsche Zeitung schrieb damals am 16.07.2020:

Das Bundesfinanzministerium hält den Stichtag für zwingend erforderlich. Zwar könnten aufgrund des neuen Gesetzes noch nicht verjährte Taterträge länger eingezogen, also im Strafverfahren zurückgeholt werden. Bereits verjährte Fälle aber könnten nicht unter das neue Gesetz fallen. ‚Für bereits verjährte Steueransprüche ist eine Einziehung nicht zulässig‘, hieß es aus dem Ministerium“.

Und Business Insider vom gleichen Tag schrieb:

Das Bundesfinanzministerium (BMF) erklärte … „Für bereits verjährte Steueransprüche ist eine Einziehung nicht zulässig“, ... Der Grund hierfür liege beim Rechtsstaatsprinzip, das in Artikel 20 des Grundgesetzes verankert sei.Für belastende Gesetze gelte ein grundsätzliches Verbot einer Rückwirkung. Das heißt: Diejenigen, die von einem Gesetz betroffen sind, müssen darauf vertrauen können, dass es sich nicht im Nachhinein ändert. Im Normalfall darf der Gesetzgeber deshalb nicht rückwirkend die Regeln ändern“.

Nur dass wir es eben nicht mit dem Normalfall zu tun haben, wenn es um den Schutz unrechtmäßigen Vermögens geht. Das hat das BVerfG nun noch einmal in großer Klarheit aufgeschrieben. Dem regelhaften Einsatz der Vermögenseinziehung auch nach Verjährung der zugrunde liegenden Strafttat steht jetzt nur noch die mangelhafte Ausstattung der Strafjustiz mit genügend Personal und ggf. unwillige Staatsanwälte und Richter gegenüber. Letztere aber werden in große Erklärungsnöte kommen, wenn sie von dem Instrumentarium aus der Reform von 2017 zu wenig Gebrauch machen werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden