Die SPD hat richtig gehandelt

EU-Kommissionsspitze Wenn man sich die Kommentare anschaut, ist die Sache völlig klar. Die Sozialdemokraten machen, was sie immer tun: Verlieren

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Die SPD hat den Kontakt zu den europabegeisterten Wähler*innen gehalten
Die SPD hat den Kontakt zu den europabegeisterten Wähler*innen gehalten

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Die professionellen Welt- und Politikerklärer sind sich überwiegend einig. „Die SPD nimmt aber auch jede Niederlage mit. Wenn gerade nicht in Deutschland gewählt wird, dann gibt sie eben in Europa den Verlierer“, meint zum Beispiel Jens Meyer-Wellmann vom Hamburger Abendblatt auf Facebook. Der der SPD durchaus zugetane Journalist formuliert damit, was viele seiner Kollegen denken. Einig sind sich fast alle, dass die SPD sich nicht gegen die vom Rat vorgeschlagene Personalie hätte positionieren sollen.

Die Haltung fällt insofern nicht schwer, als sich von der Leyen mit neun Stimmen über der absoluten Mehrheit im EP durchgesetzt hat. Hätte die SPD zur Verhinderung von Deutschlands glückloser Verteidigungsministerin als künftiger Kommissionspräsidentin beigetragen, so sähe die Sache schon wieder anders aus. Zwar hätte auch dann der ewige „Vaterlandslose Gesellen“-Vorwurf kurzzeitig einen weiteren konjunkturellen Aufschwung bekommen, um dann schnell zu verebben und die Absehbarkeit dieses Ergebnisses in den Vordergrund zu stellen. In der nachfolgenden Debatte über die demokratischen Defizite der EU hätte dann wiederum die SPD gut ausgesehen – und ihr diesmaliger Mangel an Deutschtümelei wäre dann auf die politische Habenseite der SPD umgeschichtet worden.

Hätte, hätte. Es ist anders gekommen, und die Kanzlerin darf sich zu recht freuen. Sie hat wieder einmal eine politische Nase bewiesen, um die sie von vielen beneidet wird. Allen Zittrigkeiten zum Trotz, hat sie in turbulenten Zeiten Ruhe bewahrt und ihre Führungsrolle im Rat der Europäischen Union unter Beweis gestellt. Dabei hat sie mit Macron eng kooperiert, obwohl dieser den Kandidaten der Europäischen Volksparteien auflaufen ließ. Sie hat symbolisch eine Verbeugung gegenüber den Sozialdemokraten gemacht und anschließend die Visegrád-Gruppe in den Entscheidungsprozess über die Besetzung europäischer Spitzenpositionen integriert, indem sie Macron die Personalie von der Leyen vorschlagen und damit zugleich ein hauseigenes Kabinettproblem abräumen ließ.

Nun darf man bei alledem nicht übersehen, dass hier die deutsche Kanzlerin handelte, die im Rahmen des funktionalen Dreiecks aus Rat, Kommission und Parlament immer und zuvorderst die Funktionalität und Interessen des Rates im Blick haben muss. Und da sie auch nicht mehr in sich den Interessenausgleich mit der CDU-Vorsitzenden herbeizuführen hatte, konnte sie sich hierauf vollständig konzentrieren. Zumindest, nachdem Söder dem Manfred Weber die Präsidentschaft des EP für eine halbe Wahlperiode erfolgreich als Teilkompensation für den Kommissionsvorsitz verkauft hatte.

Eine Schwächung des Europäischen Parlaments, als demonstrativer Akt des Rates, ist zugleich auch ein Zeichen an die Länder gewesen, die mit der EU fremdeln. Realpolitisch übersetzt heißt das: Wir haben verstanden und müssen den Prozess der Bundesstaatswerdung abschwächen, indem wir den Nationalstaaten der EU zeigen, dass sie den Takt der politischen Entwicklung angeben – und nicht ein Parlament, das als originäre europäische Institution eine Eigendynamik entwickelt hat, die die EU-Europäisierung stärker befördert, als das in nationalen Institutionen naturgemäß der Fall sein kann. So gesehen ist es dann auch kein Nachteil, dass Frau von der Leyen keine europäischen Erfahrungen – außer ihrer Teilsozialisation in Belgien – aufweisen kann. Sie symbolisiert geradezu den gewollten Grad an Europäisierung. Insofern sind dann auch die nationalen Töne, vorgetragen von den Vorsitzenden der beiden Unionsparteien, durchaus flankierend und nicht konterkarierend zu verstehen.

Dies beschreibt die institutionelle Seite der EU, mit einem Schwerpunkt auf dem Rat und einer geringeren Gewichtung von Kommission und Parlament, als dauerhaft in Brüssel (und Strasbourg) beheimatet. Die Entscheidung des Rates als falsch zu bezeichnen wäre verwegen, weil sich die EU einen weiteren Austritt aus der EU – beispielsweise von Italien – überhaupt nicht leisten könnte. Italien und die Visegrád-Staaten müssen mit ihrer EU-Skepsis ernst- und wahrgenommen und in die Kompromissbildung einbezogen werden, selbst wenn sie mit qualifizierter Mehrheit überstimmbar wären. Insofern hat der Rat richtig gehandelt, als er das Parlament brüskierte.

Auch das Parlament hat als kollektiver Akteur richtig gehandelt, als es auf eine Machtprobe mit dem Rat verzichtete. Und die SPD hat als Partei ebenfalls richtig gehandelt, als es sich als Anwalt einer im EP abgesprochenen Demokratisierung verhielt. Das Spitzenkandidatenmodell ist nach dem Verständnis des Parlaments ein Besitzstand seit 2014, der bislang nur informell abgesichert, gleichwohl aber zuvor von niemanden –jedenfalls nicht so explizit wie jetzt vom Rat – infrage gestellt worden war.

Bekanntlich gibt es – hinsichtlich der Entwicklung der Europäischen Union – in den einzelnen Nationalstaaten recht unterschiedliche Geschwindigkeiten. Und dass sich die SPD – und übrigens auch die Grünen – auf die Seite der Institution schlug, die die Europäisierung am stärksten verkörpert, darf weder verwundern, noch ernsthaft kritisiert werden. Zwar kann man sicher sein, dass wenn die SPD den Kanzler gestellt hätte, das Ergebnis im Rat ähnlich ausgefallen wäre – aber vielleicht hätte es durch die Union weniger Protest hiergegen gegeben.

Damit wären wir beim sozialdemokratischen Verdienst. Man kann nicht mit Pulse of Europe-Demonstrationen aller Arten den Leuten im Land suggerieren, dass Nationalstaaten in Europa aus der Zeit gefallene Organisationsformen für einzeln nicht existenzfähige Staaten wären und Europa und die Europäische Union als State of the Art abfeiern, um dann umstandslos in ein scheinbares Gegenteil zu verfallen.

Die SPD dafür zu kritisieren, dass sie ihr Argument bei der Wahl 2014 – „Nur wenn Sie Martin Schulz und die SPD wählen, kann ein Deutscher Präsident der EU-Kommission werden“ – vergessen haben, ist so naheliegend wie falsch. Die Instrumentalisierung übertriebener, nationaler Gefühle für etwas, das faktisch in eine andere Richtung läuft, ist ja gerade notwendiger Teil einer Politik der EU-Europäisierung. Wobei man sicherlich geteilter Meinung sein darf, wie gut das jeweils gelingt. Zurück zur aktuellen Positionierung der SPD, die maßgeblich durch die Europa-Politiker dieser Partei bestimmt war: Diese war richtig. SPD und Grüne haben damit den Kontakt zu den europabegeisterten Wähler*innen gehalten, die eine Verlagerung des Machtzentrums vom Rat ins Parlament wünschen und deswegen dafür gesorgt haben, dass erstmals seit 1979 die Wahlbeteiligung bei einer Wahl zum EP wieder zunahm.

Ein Fehler der SPD lag sicherlich darin, dass sie es sich nicht verkneifen konnte, die Frage zu simplifizieren, indem sie sie personalisierte und Mängel in der Person von der Leyen – die ja in großer Zahl zu benennen sind und auch offen zutage liegen – begierig aufgriff und damit den Kern wieder vernebelte. Die Person ist relativ unwichtig, wenn man das Verfahren angreifen möchte. Gerade weil die Person so angreifbar ist, hätte die SPD hier besser auf das Naheliegende verzichtet.

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