Demokratie? Ja, nein, vielleicht.

Z.B. Thüringen Vom schwierigen Umgang der Demokraten mit den Irrläufern der Demokratie. Oder wie Bodo Ramelow einmal sich selbst überholt hat und dann weit hinter sich blieb.

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Ich finde ja, dass Ramelow ein starkes Signal gesetzt hat, einerseits Höcke symbolisch den Handschlag zu verweigern und andererseits Michael Kaufmann von der AfD zum Parlamentsvizepräsidenten zu wählen. Ich muss gestehen, dass ich es erst als albern empfand, diesen Handschlag zu verweigern. Im Kombipaket mit der Mitwahl von Kaufmann durch Ramelow fand ich es verblüffend klug.

Ein kluger Einwand dagegen lautet: „Die AfD erpresst - und es handelt sich wohlgemerkt um die Höcke-AfD- und Ramelow gibt der Erpressung nach. Die nächste Erpressung kommt bestimmt. Und dann? Die AfD ist an einem Funktionieren der parlamentarischen Demokratie nicht interessiert, sondern an ihrer Zerstörung. Sie ist einen Schritt vorangekommen. Ich sehe die Zwickmühle. Aber sich erpressen zu lassen ist auch keine Lösung“. An anderer Stelle wird im gleichen Zusammenhang eher ein Vertrag auf Gegenseitigkeit gesehen: „Da kann man reden wie man will: das war also Deal. Du gibst wir geben. Und deshalb hat er seine eigene bisherige Praxis aufgegeben. Der DGB in Thüringen spricht von einem Schlag ins Gesicht all derer, die dort auf die Straße gegangen sind“.

Es war zwar nicht der DGB, sondern nur der stellvertretende DGB-Vorsitzende von Hessen-Thüringen Sandro Witt – Mitglied der Linken wie Ramelow – der via Twitter von diesem Schlag ins Gesicht derer, die wochenlang für die Demokratie auf die Straße gegangen seien sprach, aber auch bei den Partner:innen innerhalb der Regierungskoalition stieß Ramelows Abstimmungsverhalten auch auf Kritik. Linken-Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow twitterte ihre dessidente Haltung. Die Grüne Stv. Parl. Geschäftsführerin Madeleine Henfling äußerte Enttäuschung und SPD-Fraktionschef Matthias Hey respektiert die Haltung von Bodo Ramelow, teilt sie aber nicht.

Wie es scheint eine einsame Entscheidung und eine umstrittene Haltung. Mittlerweile – am Freitag, 6. März gegen 19:00 Uhr – hat Ramelow seine Haltung auf FB präzisiert:


"Ich habe gestern für Herrn Kaufmann als Vizepräsidenten des Thüringer Landtags gestimmt. Ich habe diese Entscheidung getroffen, weil ich mich als Ministerpräsident in der Pflicht gesehen habe, Verantwortung für die Handlungsfähigkeit des Parlaments zu übernehmen, zu der auch die Wiedererlangung der Handlungsfähigkeit des Richterwahlausschusses gehört. Die AfD hat stets ein Junktim zwischen der Benennung eines Kandidaten für den Richterwahlausschuss und der Wahl eines Vizepräsidenten aus ihren Reihen gesetzt. Ich wollte diese Erpressungssituation durch meine Stimmabgabe und den offenen Umgang damit beenden. Ich nehme die Debatte über mein Abstimmungsverhalten zur Kenntnis. Ich respektiere die Kritik daran. Als Antifaschist und Demokrat habe ich eine Abwägung getroffen. Gleichzeitig fordere ich alle Demokratinnen und Demokraten dazu auf, eine solidarische Debatte darüber zu führen, wie wir in einer parlamentarischen Demokratie den institutionellen Einfluss einer Partei und Fraktion entgegenwirken können, die grundsätzlich destruktiv handelt."

Das gibt vor allem den Kritikern recht, die ich eingangs zitiert habe. Ich finde Ramelows nachgeschobenes Argument schwach. Nicht wegen der Behauptung des durch die AfD gesetzten Junktims, sondern wegen dessen Bewertung als Erpressung.

Eine Erpressungssituation lag nämlich nicht vor, wenn man, wie Ramelow ausführte:

"Ich habe mich sehr grundsätzlich entschieden, auch mit meiner Stimme den Weg frei zu machen für die parlamentarische Teilhabe, die jeder Fraktion zugebilligt werden muss".

Die AfD hat deswegen weder rechtswidrig durch Gewalt oder durch Androhung eines empfindlichen Übels sich unzulässig mit einem stellvertretenden Parlamentspräsidentenamt zu bereichern versucht, noch war es rechtswidrige Nötigung, da bei der Betrachtung der Zweck-Mittel-Relation der angestrebte Nötigungszweck nicht als verwerflich anzusehen ist, da der potentiell Genötigte dies selbst der AfD Fraktion zubilligt und es nicht unter Vorbehalt stellt, denn er spricht davon, dass dies „jeder Fraktion zugebilligt werden muss". Insofern ist es, nimmt man die Aussage ernst, noch nicht einmal ein Deal. Für etwas, was einem leistungslos zusteht, hat man auch nichts zu geben.

Mit seiner jetzigen Stellungnahme entwertet Ramelow die grundsätzliche Überlegung, wonach bestimmte Teilhaberechte für Fraktionen per se bestehen. Das sind u.a. Redezeiten, Ausschussvorsitze, Beantragung von Debatten und eben auch Präsidiumssitze. Entweder verweigert man grundsätzlich diese Rechte oder man hält sie ebenso grundsätzlich aus.

Vielleicht sollte man sich erneut in Erinnerung rufen, warum essentielle Teilhaberechte nicht durch demokratische Bewährung, sondern durch Wahl errungen werden. Es sind nämlich nicht die Konkurrenten, die über die Gewährung entscheiden, sondern die Wähler:innen an der Wahlurne. Die so Gewählten haben – demokratisch betrachtet – gar nicht die Wahl, ob sie diese Rechte der AfD zugestehen. Sie haben nur die Wahl, ob sie sich dem Gedanken der selbst gesetzten Regeln verweigern.

Von da an wird es problematisch. Denn was jetzt noch der AfD verweigert wird, kann künftig auch jeder anderen Fraktion (Abgeordneten) verweigert werden. Das Argument lautet dann: weil wir, die Mehrheit, die gewählten Konkurrenten nicht für Demokraten halten, verweigern wir die Anwendung demokratischer Regeln. Die so um ihre Rechte gebrachten Fraktionen (Abgeordneten), werden selbstverständliche jede Gelegenheit nutzen, da wo ihre Teilnahme essentiell ist, um sich zu verweigern oder die Geschäftsordnung so zur Anwendung bringen, dass das Arbeiten mühsamer wird. Betrachtet man es losgelöst vom konkreten Fall, wird es nicht besonders schwer fallen, das für einen gerechtfertigten Akt von Notwehr zu halten.

Im Übrigen, wenn man die AfD tatsächlich für eine Nachfolgeorganisation der NSDAP hält oder aber für eine Partei, die es darauf abzielt die verfassungsgemäße Ordnung zu beseitigen, dann muss man das Bundesverfassungsgericht anrufen, um deren Ausscheiden aus dem demokratischen Wettbewerb herbeizuführen.

Solange aber Wähler:innen sich durch diese Partei repräsentiert sehen und das durch ihre Stimmenabgabe ins Werk setzten, sollte der Respekt vor dem Souverän es verbieten, grundsätzliche Abgeordneten- und Fraktionsrechte willkürlich mal zu gewähren und mal zu verweigern.

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