Der Pate

Bankgeschäfte Wenn es in Hamburg Probleme gibt, dann geht man zum Bürgermeister. Jedenfalls als Mitglied der (feinen) Hamburgischen Gesellschaft. Dann wartet man entspannt ab.

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In der neuesten Ausgabe der Wirtschaftswoche gibt es auf Seite 34 einen kleinen Artikel über den Bundesfinanzminister. Dieser wird im Inhaltsverzeichnis so beworben: „Das Bild vom neuen Robin Hood entspricht nicht ganz der Wahrheit. Der Finanzminister hat oft genug den Reichen gegeben“(WiWo, 37/2020). In dem Artikel kein Wort zu Wirecard oder Cum Ex und der Hamburgischen Warburg Bank. Es geht um Fiskalpolitik und Herrn Scholzens Verdienste um Menschen, die den Spitzensteuersatz zu entrichten haben.

Wer Olaf Scholz verstehen möchte, der muss wissen, dass er in frühen Jahren von der Idee angetan war, dass diese Gesellschaft der grundsätzlichen Veränderung bedarf. Für ihn stand einst unzweifelhaft fest, dass alle Verhältnisse umzuwerfen seien, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist, wie es der junge Marx in seiner Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie auszudrücken pflegte. Zugleich stand für den jungen Scholz aber auch fest, dass er es in der Politik nach oben bringen möchte. Natürlich um möglichst viele seiner idealistischen Ideen umsetzen zu können. Sehr bald schon entdeckte Scholz, dass die Idee der Bezwingbarkeit der Verhältnisse zwar den Aufstieg in der SPD befördern half, ansonsten aber nur zu einer blutigen Nase führen kann. Fortan wollte er mit der realen Macht kooperieren, statt sich ihr trotzig in den Weg zu stellen.

Das Positive an Leuten wie Scholz ist ihr gnadenloser Pragmatismus. Gleichzeitig aber übertreiben sie diesen genauso, wie sie zuvor den Idealismus übertrieben haben. Erst haben sie zu viel Überzeugungen im Tornister, dann zu wenig. Wenn sie bemerken, dass sie es in ihren Fähigkeiten locker mit denen der Mächtigen aufnehmen können, kommt auch noch Ärger dazu. Unzufriedenheit darüber, dass sie auf Trampelpfaden nach oben ackern müssen, während andere dort mühelos durch Elternhaus und Beziehungen schon längst zuhause sind.

Da der politische Ansatz aber längst nicht mehr andere im Mittelpunkt der Politik sieht, sondern sich selbst und das persönliche Fortkommen, richtet sich die Politik lange Zeit nach innen. Denn wenn Sozialdemokraten – vor allem in Hamburg – eines lernen, dann dass die Partei gibt, aber auch nehmen kann. Bevor man wirkungsvoll nach außen agieren kann, benötigt man Macht innerhalb der Partei. Diese bekommt man aber nicht nur durch begnadetes Strippenziehen. Schließlich sind die gemeinsamen Ziele längst nicht mehr Gerechtigkeit und Wohlstand für alle, sondern in der Hauptsache geht es um politische Wohlständigkeit für die Genoss:innen und politischen Reichtum, also Entscheidungsmacht für einen selbst. Dafür braucht es Verteilungsmasse für das eigene sozialdemokratische Netzwerk, denn nur so schafft man Loyalitäten (auf Zeit). Olaf Scholz hat dieses System perfekt verstanden und es soweit internalisiert, dass er zwischen ihm und sich gar keinen Unterschied mehr ausmachen könnte.

Scholz hat es geschafft, dass die zerstrittene Hamburgische SPD nicht mehr streitet, sondern akzeptiert, dass es zum Bündnis mit der Hamburgischen Wirtschaft ohne wenn und aber keine Alternative gibt. Dafür darf sich jeder einzelne Funktionär dieser Partei einen persönlichen Vorteil ausrechnen. Wenn er sich fleißig und geschickt anstellt, dann rechnet sich das und das ist es, worauf es in modernen Parteien heute ankommt.

Man mag das unmoralisch finden, aber es reflektiert nur die Bedingungen des Systems, in dem sich Parteien zu bewegen haben. Eine SPD, die versuchen würde, an die SPD vor Schröder anzuknüpfen, müsste eine Idee für das Zusammengehen mit Teilen der Grünen und sehr großen Teilen der Linken haben. Dann könnte es wieder eine Mischung aus Machtpositivismus einerseits und Gestaltungswillen in der Umsetzung einer oder mehrerer großer Ideen der Partei geben. Das aber ist nicht in Sicht, weil der Funktionärskörper dazu zu wenig in Panik ist, dass er sich durch den Bauch der Basismitglieder vom tausendfach bewehrtem Modell des Divide et impera abringen ließe.

Gleichzeitig bewirkt diese Verflachung im Inhaltlichen die Abnahme von Gestaltungswillen. Die Idee des Politischen, die vom Primat der Politik ausgeht und hierüber auch einen Interessenausgleich gegenüber den Interessen unterschiedlichster Wirtschaftsakteure schafft und darüber den Wirtschaftsprozess zivilisiert, ist nur noch – im besten Falle - Proklamation und scheitert regelmäßig an mangelndem Erfolgswillen sozialdemokratischer Politiker und starkem Lobbyismus.

Die negativen Folgen, die das für die Wirtschaft hat, kann man überall besichtigen. Sie hält sich nicht mehr an die Regeln. Ob nun die Automobilindustrie, die im Bündnis mit der Politik über einen langen Zeitraum die normierten Abgasgrenzwerte regelhaft und stark überschritt, die Banken, die kein Risiko scheuen mussten, weil der Staat sich nicht leisten konnte, ihrem verdienten Zusammenbruch zuzuschauen. Wohnungsbauunternehmen, die aufgrund mangelnder Regulierung ihre Grundrentenprofite in ungeahnte Höhen schrauben konnten usw. usf. Die nächste und bereits erreichte Stufe ist das abdriften von Wirtschaftsbereichen in die offene Kriminalität. Was früher nur bei leicht anrüchigen Unternehmen vorkam, ist in die Mitte der Gesellschaft vorgerückt. Banken, die zentral sind im Funktionieren der kapitalistischen Wirtschaft, haben sich in nennenswerter Zahl an direkten Raubzügen gegen das Finanzamt, also den Staat beteiligt. Scheinbar abgesichert durch die juristische Expertise von Großkanzleien wie Freshfields etc., die Cum Ex-Verbrechen den Anschein der Legalität verliehen. Vor diesem Hintergrund konnten sie diesen den unsichtbaren Mantel der Korrektheit umhängen und stießen auf willfährige Politiker, die die Schönheit des Kleidungsstückes bestaunten, statt Staatsanwaltschaft und Polizei in Marsch zu setzen.

Olaf Scholz, um den es hier hauptsächlich gehen soll, ging dabei noch einen Schritt weiter. Als es nichts mehr zu beschönigen gab und der Mantel der Legalität sich längst verflüchtigt hatte und die Kriminalität in ihrer ganzen Gewöhnlichkeit und Schäbigkeit offenbar geworden war, ließ er sich mit einem Hauptakteur der kriminellen CumEx-Verbrechen in Hamburg ein, indem er mehrfach Christian Olearius, Miteigentümer der Warburg Bank empfing. Uli Exner meint in der Welt (06.09.2020), dass "keine Bürgermeisterin dieser Welt (..) einfach zusehen (sollte), wenn in seiner Stadt ein traditionsreiches Unternehmen unterzugehen droht. Auch dann nicht, wenn es eine Bank ist. Auch dann nicht, wenn der Verdacht, nicht die Gewissheit, besteht, diese Bank hätte das Land, also uns alle, in den vergangenen Jahren um zig Millionen Euro betrogen"., Er übersieht dabei absichtsvoll einen bedeutenden Umstand. Wäre es um die ggf. Abwendung eines für falsch erachteten Vorgehens gegen Warburg gegeangen, hätte man das zumindest im Rahmen der internen Abläufe transparent gestaltet. An dem Gespräch hätten zumindestens ein bis zwei weitere Personen , naheliegenderweise aus der Senatskanzlei teilgenommen und mindestens hätte es hierüber eine interne Gesprächsnotiz gegeben. Konspiration jedenfalls ist nicht das Gegenteil einer Verhandlung auf dem Marktplatz!

Unter anderem Panorama und Die Zeit haben hierüber mehrfach und ausführlich berichtet. Das Bild des Geschehens liegt offen zutage. Jetzt wurde noch einmal von beiden Medien der Fall aufgegriffen und in jeder relevanten Verästelung dargestellt. U.a. auch, dass Olaf Scholz sich nicht nur einmal, wie nach Überführung eingeräumt, mit Olearius traf, sondern mindestens dreimal und dass anschließend an eines dieser Treffen die zuständige Hamburger Finanzverwaltung eine 47 Mio. Euro-Forderung gegen Warburg in die Verjährung laufen ließ, obwohl ihr die dagegensprechenden Fakten alle bekannt waren.

Fabio de Masi, Linken-MdB meint, dass Olaf Scholz hätte im Bundestag Pinocchio gespielt hätte und die Unwahrheit gesagt hat. "Die Aussage, Scholz habe keinerlei Einfluss auf das Steuerverfahren der Warburg-Bank und die Eintreibung krimineller Cum-Ex Beute in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister genommen, ist nicht glaubhaft." (Fabio De Masi, 04. September 2020).

Aber Scholz hat nicht die Unwahrheit gesagt. Vielleicht hat er dies in nicht öffentlicher Sitzung verlauten lassen, wahrscheinlicher aber ist, dass er tatsächlich nichts gesagt hat. Immer erst, wenn Schweigen nicht mehr zielführend ist, weil etwas durch Schweigen nicht mehr aus der Welt zu bringen ist, erinnert sich Scholz. Nicht im Detail, natürlich nicht, aber grob. Eben so weit, wie etwas beweisbar wurde.

Scholz Gedächnis funktioniert strategisch. Wenn es nützt, brilliert er mit phänomenalen Gedächtnisleistungen - oder aber mit dem Gegenteil.

Natürlich hat sich Scholz mit Warburgs Bank gemein gemacht, aber da er wusste, dass es um organisierte Kriminalität ging, hat er sich auch so verhalten. Keinerlei Aussagen in der Sache. Nur das man jederzeit ansprechbar sei. Mehr war nicht nötig.

Die Stadt Hamburg ist durch und durch sozialdemokratisch verfilzt. Das heißt: Jeder höhere Posten in der Verwaltung und öffentlichen Unternehmen ist durch den Willen der SPD besetzt worden. Nicht zwingend durch Sozialdemokraten.

Für die Ansprache in delikaten Fällen gibt es u.a. die Beratungsgesellschaften ehemaliger Senatoren. Auch Alfons Pawelczyk, der es als Soldat bis zum Major gebracht hatte, unterhielt eine solche. Jedenfalls bis zum 03.11.2014. Danach ward die Alfons Pawelczyk Beratungsgesellschaft mbH, Hamburg, mit Sitz Elbchaussee 215, 22605 Hamburg, später fungierte sie unter Pawelczyks Privatadresse, gelöscht. Das musste aber Christian Olearius nicht hindern, Pawelczyk anzusprechen, den er u.a. als Kuratoriumsmitglied der Stiftung Elbphilharmonie kannte.

Johannes Kahrs, seit 2012 Oberster der Reserve, war auch Mitglied der Studentenverbindung Hamburger Wingolf und war von 1989 bis 1991 Bundessprecher des Wingolfsbundes. Wie es der Zufall will, hat Olearius wie Kahrs Rechtswissenschaften studiert. Allerdings tat er dies in Heidelberg, wo er Mitglied der Studentenverbindung Heidelberger Wingolf wurde, diese wiederum ist der stärkste Verband im Wingolfbund. Jenem, dem Kahrs drei Jahre vorstand.

Naheliegend, dass sich Olearius über Kahrs, der zugleich auch Chef des einflussreichen Seeheimer Kreises war, an die SPD wendete und darauf vertrauen konnte, dass Scholz Zuhören ausreichend sein würde, sein Problem bestmöglichst zu lösen. Das erklärt ggf. auch, warum am 10. November 2017 nach dritten Treffen zwischen dem Hamburger Scholz und Olearius letzterer notiert: "Ich meine, sein zurückhaltendes Verhalten so auslegen zu können, dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen."

Warburg/Olearius erwartete nicht, dass Scholz sich aktiv erklärt, sondern dass die sozialdemokratischen Mühlen in ihrem Sinne malen.

Die Übung war erfolgreich.

Weiterführende Links:

https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2020/Cum-Ex-Geschaefte-der-Warburg-Bank-Was-wir-wissen,cumex252.html

https://www.zeit.de/hamburg/2020-09/cum-ex-olaf-scholz-warburg-finanzverwaltung-hamburg-steuerbetrug/komplettansicht

https://www.freitag.de/autoren/aram-ockert/der-versuch-der-rueckabwicklung-eines-skandals

https://www.freitag.de/autoren/aram-ockert/plumpe-kungelei

https://www.freitag.de/autoren/aram-ockert/wie-man-skandale-wegzaubert

https://www.freitag.de/autoren/aram-ockert/banken-bande

https://www.freitag.de/autoren/aram-ockert/kritischer-journalismus-und-bankenretterei

https://www.freitag.de/autoren/aram-ockert/ein-albtraum-fuer-die-spd-in-hamburg

https://www.freitag.de/autoren/aram-ockert/die-banken-republik

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