Moral oder Geschäft?

Die Alternative, die keine ist Alles, was die Zustimmung zum ökonomischen Wahnsinns der einseitigen Beendigung aller Wirtschaftsbeziehungen zu Russland befördern hilft, wird stattfinden.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es wird dabei viel Manipulatives geben, aber der Kern ist nicht das Erfinden von Gräueltaten, die fanden, finden und werden stattfinden, sondern deren Fokussierung und damit verbunden die Frage: wann, wenn nicht jetzt, wer, wenn nicht wir?

Statt sich gedanklich von der Örtlichkeit des Grauens zu entfernen und kühl und sachlich zu analysieren, begibt sich ein großer Teil der Menschen gedanklich in die Hölle und lässt sich selbst die Frage stellen, die keine ist, sondern vielmehr Antwort, ob man angesichts des Mordens und der Verwüstungen, weiterhin Putin die Hand reichen darf?

Die eigentliche Denksportaufgabe soll heißen, wenn man in einen gerechten Krieg – David gegen Goliath - nur Waffen liefert, statt selbst zu kämpfen, darf man dann noch an so profane Dinge wie wirtschaftliches Wohlergehen denken? Ist es nicht zutiefst unmoralisch, Menschen für unsere Freiheit sterben zu lassen und nicht einmal bereit zu sein, die Heizung herunterzudrehen und das Tempo auf der Autobahn zu verlangsamen?

Nur stimmt an diesem Bild fast gar nichts. Richtig an ihm ist der russische Überfall auf die Ukraine. Der Angriffskrieg ist nicht zu leugnen und auch nicht zu rechtfertigen, wohl aber zu verstehen. Es ist kein Akt eines Irren, sondern es ist die zu begreifende Reaktion einer Großmacht, die nicht passiv zuzusehen bereit war, wie die Ukraine zum Vorposten der USA gemacht wird. Man muss die Sache nur unter umgekehrten Vorzeichen betrachten und schon weiß man, dass hier Machtkalkül und nicht Wahnsinn das Drehbuch schrieb.

Die Ukraine ist auch kein Staat wie wir, sondern eine Kleptokratie, in dem Oligarchen den Ton angeben und Rechtsradikale überproportionalen Einfluss im sog. Sicherheitsapparat besitzen und die Justiz den Ansprüchen an einen Rechtsstaat nicht genügt. Selbst nach den abgesenkten Kriterien der EU – die bei der Osterweiterung die Ansprüche soweit es ging in den Keller fuhr – wäre die Ukraine nicht beitrittsfähig.

Die Ukraine kämpft, weil sie nicht bereit war die Sicherheitsinteressen Russlands in die eigenen Überlegungen mit einzubeziehen, weil sie nationalen Minderheiten keine Rechte zugestehen wollte und weil sie um jeden Preis Mitglied der EU werden will.

Mittlerweile kämpft die Ukraine auch, weil die Zerstörung des Landes und die Tötung von Menschen, vor allem die Resilienz europäischer Gesellschaften in der Fähigkeit der Abwehr moralischer Ansprüchlichkeiten erschöpft. Jedes Bild, dass Kriegs-Leid transportiert, macht in Europas Gesellschaften den Menschen klar, wie hilflos sie einerseits sind und wie unmoralisch es ist, dass man selbst nicht leidet.

Solange der Wahnsinn der Selbstopferung in einem sinnlosen Krieg nicht angesprochen wird, solange geht das als Heroismus, Mut und Aufrichtigkeit durch. Wer die Ukraine kritisiert, wie beispielsweise der Philosoph Richard David Precht, wird als Russenfreund abgekanzelt. Jede differenzierte und auch distanzierte Sichtweise muss delegitimiert werden. Es ist dies die große Stunde derjenigen, die schon mindestens seit 2014 Russland als Reich des Bösens besprechen und stets gegen Nordstream 2 gekämpft hatten.

Ob diese wirklich Freunde Ukraine sind, oder diese positive Bezugnahme nur instrumentell ist, kann da hingestellt bleiben. Feinde einer Politik, die auf Ausgleich und gute Beziehungen mit Russland setzt, waren und bleiben sie und sie sind dabei so erfolgreich, wie niemals zuvor. Russland macht es ihnen auch nicht besonders schwer.

Nur geht es bei den Beziehungen zwischen Staaten niemals um Freundschaft, sondern immer nur um Interessen. Wenn despotische Ölproduzenten am Golf innenpolitisch unerträgliche Verhältnisse schaffen und selbst wenn sie weltweit islamistischen Terror sponsern, hören wir nicht auf, mit ihnen für uns notwendige und vorteilhafte Geschäfte zu machen. Das hat nicht nur damit zu tun, dass die Basis des Wohlstandes eines Landes ihre Wirtschaft ist. Es hat auch etwas damit zu tun, dass der relative Wohlstand eines Landes wie Deutschland der womöglich einzige Garant für stabile politische Verhältnisse ist.

Wenn jetzt in Umfragen die Menschen sagen, sie finden es richtig, wenn man aus Russland weder Öl noch Gas bezieht, dann darf man sicher sein, dass, wenn die Politik diesem Wunsch folgt, die Wirkung bei den gleichen Leuten dazu führen wird, dass sie in der dann kommenden Umfrage zum Besten geben werden, dass sie jedes Vertrauen in die Politik verloren haben.

Die Politik, namentlich die SPD wird zudem noch damit unter Druck gesetzt, dass sie dafür verantwortlich gemacht werden, dass Deutschland stets mit Russland Rohstoff- und Energiehandel getrieben hat. Das was in normalen Zeiten überwiegend als Vernunft beschrieben wird, soll in der jetzigen Ausnahmesituation als verhängnisvolle Abhängigkeit besprochen und gegeißelt werden, in die uns die SPD getrieben haben soll. Hat sie nicht. Sie hat nur, mehr als die meisten anderen Parteien, bei Nordstream 2 die Nerven bewahrt, als die USA ihre Interessen am Verkauf von schmutzigen Fracking-Gas und an der Finanzierung der ukrainischen Waffenkäufe bei den USA dazu benutzten, mit völkerrechtswidrigen Sanktionen, dieses Projekt zu torpedieren. Damals ging es noch darum, dass möglichst viel russisches Gas durch die maroden Gaspiplines über ukrainisches Gebiet geführt werden, da dies eine ukrainische Haupteinnahmequelle darstellt.

Mittlerweile haben sich die Ziele geändert. Nun soll der Handel zwischen Europa und Russland vollständig zum Erliegen gebracht und so Russland und die EU gleichermaßen geschwächt werden. Im Gegensatz zur EU haben die USA keinerlei Illusionen, dass sie keine identischen Interessen mit der EU haben. Allerdings ist das jetzt auch nur sehr grob, denn die Interessen der USA sind auch sehr different. Der militärisch-industrielle Komplex hat andere Interessen, als die zivile Industrie der Vereinigten Staaten.

Völlig egal, wer in Russland gerade Präsident ist, gibt es ein vitales Interesse der EU an guten Handelsbeziehungen mit Russland. Wenn man nicht gerade der Idee anhängt, dass man Russland militärisch besiegen und dort die Innenpolitik gestalten möchte, so hat man mit den aktuellen Machthabern - unabhängig vom Grad des Ekels, die diese auszulösen vermögen - zu interagieren. Weder steht uns die Ukraine näher, noch ist sie für uns annährend so wichtig wie Russland.

Das ist nicht unmoralisch, sondern nur nicht moralisch, sondern interessengebunden. Letzteres ist eine verlässliche Größe, während Moral vor allem dazu taugt, Verrücktheiten den Mantel der Wohlanständigkeit umzuhängen. Die wirklich großen Verbrechen in der Menschheitsgeschichte wären ohne Idealismus und Moral gar nicht zu denken. Der Mord an Millionen von Juden wäre ohne die Rasseideologie und daraus resultierenden Idealismus sowenig möglich gewesen, wie die Morde des stalinistischen oder maoistischen Systems, dass das Ideal der Gleichheit ideologisierte. Kreuzzüge sind ohne die Hingabe an die christliche Religion, islamistischer Terror ohne den religiösen Kern des Islams nicht denkbar. Die Liste ist beliebig erweiterbar.

Jetzt also sollen wir aus moralischen Gründen Waffen liefern und unser wirtschaftliches Standbein, das zwingend auf Energie angewiesen ist, mit der Axt bearbeiten. Das ist Unvernunft in Reinform. Als einzig vernünftiges Argument enthält es die Idee, dass damit der russischen Aggression die Mittel zur Kriegsführung entzogen werden. Das hat Ulrike Hermann in der taz schon am 19. März eindrucksvoll demontiert (taz, 19.03.2022):„Doch leider würde ein Boykott nicht funktionieren. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Putin seinen Krieg mit westlichen Devisen bezahlt. Er nutzt Rubel, um das Nachbarland zu überfallen. Russland ist zwar arm und rückständig, benötigt aber keine Waren aus dem Westen, um Angriffskriege zu starten. Beim Militär ist Russland autark. Es verfügt über leistungsfähige Waffenschmieden, Nahrungsmittel und Öl“.

Somit hätten wir es mit Symbolpolitik in Hinblick auf das angeblich intendierte Ziel zu tun. Zugleich wären aber die Folgen alles andere als symbolisch. Am 4. April 2022 warnt deswegen der BDI: „Stark gestiegene Rohstoff- und Energiepreise treiben die Einfuhren in die Höhe. Eine Störung bei den russischen Gaseinfuhren bleibt eine große Gefahr, sie droht über komplexe Kaskadeneffekte Produktionsstörungen in vielen Branchen auszulösen

Der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert zurecht:„Die Ampelkoalition muss jetzt die wirtschaftliche Stärke Deutschlands und seiner Unternehmen bewahren“ (Pressemitteilung: Konjunktureller Ausblick sieht sehr trübe aus).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden