Ein-Euro-Flop?

Arbeitsmarktpolitik In der BA denkt man darüber nach, sich von Ein-Euro-Jobs und Bürgerarbeit zugunsten direkter betrieblicher Integration zu verabschieden. Hört sich besser an als es ist.

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Das Vorstandsmitglied der BA, Heinrich Alt gibt diesen Überlegungen, die er in der Wochenzeitschrift Die Zeit ausbreitete das Gesicht, die am Ende auf reinen Sozialdarwinismus zulaufen könnten.

Nach seinen Einschätzungen hätten sich weder Arbeitsgelegenheiten, also „Ein-Euro-Jobs“ noch die sogenannte Bürgerarbeit als erfolgreiche Strategien zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit erwiesen. Dies gelte für alle Formen der öffentlich geförderten Beschäftigung, die alle „keinen durchschlagenden Erfolg gebracht“ hätten.

Seitenwechsel. Bei den Leuten von „gegen-hartz.de“ heißt es in einer Stellungnahme vom 19.06.2013: „Bereits im Jahr 2010 zeigte eine Untersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsförderung (ZEW), dass Menschen, die einen Ein-Euro-Job annehmen, nach einem Jahr seltener eine sozialversicherungspflichtige Anstellung erreichen als andere Langzeitarbeitslose“.

Wie sich die Argumente gleichen. Wenn die zwei Pole der Arbeitsmarktpolitik, hier die Hartz IV-Behörde BA und dort die Gegner von Hartz IV zur gleichen Einschätzung kommen, dann kann die Schlussfolgerung doch nur sein: abschaffen.

Das findet BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt auch, allerdings will er zuvor noch etwas ausprobieren, das schon hundertmal gescheitert ist: die Unterbringung von Langzeitarbeitslosen in regulären Betrieben. Unternehmen, die dazu bereit seien, sollten staatliche Förderung erhalten. Die Arbeit in einem Betrieb gebe Menschen das Gefühl, „einen echten und nachgefragten Beitrag zu leisten“.

Nun weiß das Vorstandsmitglied Alt natürlich, dass das nicht funktionieren kann. Entweder die Langzeitarbeitslosen sind nicht hinreichend fähig Mehrwert zu schaffen, also nicht ausbeutungsfähig. Dann ist eine Integration in den Betrieb u.a. nur um den Preis der Abnahme der Produktivität auch bei der Stammbelegschaft möglich oder die Einzugliedernden entsprechen den Anforderungen weitestgehend, dann handelt es sich um eine Subventionierung des/der entsprechenden Betriebe(s). Dies sehen dann die Marktkonkurrenten und am Ende auch die BA nicht so gerne, die aus den unsubventionierten Bereichen wieder neue Kunden zugeführt bekäme.

Dies weiß Alt besser als fast alle anderen in Republik. Da auch diese Strategie, bei den Langzeitarbeitslosen die es beträfe nicht zum Erfolg führen wird, sollte eine „ehrliche Antwort auf die Frage gegeben werden, ob jemand tatsächlich erwerbsfähig ist“, so Alt. Meint, dass sich die BA perspektivisch noch weiter aus der sozialen Verantwortung für Menschen ohne Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt herausziehen möchte.

In dieser Situation – erneuter Seitenwechsel – haben die Leute von „gegen-hartz.de“ nichts besseres zu tun, als gegen die sinnvolle Beschäftigung von Leuten, denen zuhause die Decke auf den Kopf fällt, zu polemisieren:

Gerade noch haben unzählige Freiwillige Sandsäcke befüllt, um die Deiche gegen die Wassermassen zu sichern. Nun sollen Erwerbslose dafür herhalten, die Flutschäden zu beseitigen. Besonders skandalös: Auch 3000 über 50-jährige Hartz IV-Bezieher sollen die teilweise schwere körperliche Arbeit verrichten“.

Statt sich auf die Frage der Freiwilligkeit zu fokussieren, die öffentlich geförderte Beschäftigung in der Form der „Ein-Euro-Jobs“ in Gänze infrage zu stellen, entspricht einen langerprobten Zusammenspiel der Antagonisten des Hartz IV-Systems.

Das hängt mit der individuellen Situation vieler wehrhafter Hartz IV-Bezieher(innen) zusammen. Ihnen fällt zuhause nicht die Decke auf den Kopf, sondern auf, dass sie es beim Hartz IV-Regime mit einem gigantischen Monster zu tun haben und gegen das wehren sie sich, organisieren sich in Arbeitsloseninitiativen und sind dabei für sich und andere auch nicht ohne Erfolg und wissen vor allen Dingen gut etwas mit ihrer Zeit der Arbeitslosigkeit anzufangen. Soweit so gut. Ein Fehler, der dabei aber schnell und leicht passiert, ist die Verwechselung von sich selbst mit dem Langzeitarbeitslosen an sich. Dabei wird dann gerne übersehen, dass es (mittlerweile) viel mehr Langzeitarbeitslose gibt, die beim Job Center nach einem „Ein-Euro-Job“ nach fragen, als es Zwangszuweisung in einen solchen gäbe. Das muss einen ja nicht abhalten, dass „sozialrechtliche Dienstverhältnis“ (Aufwandsentschädigung statt Gehalt) als rechtliche Grundlage der Durchführung dieser Form der Beschäftigung anzugreifen und stattdessen Besseres zu fordern. Aber im Ergebnis der öffentlich geförderten Beschäftigung den Mittelfinger zu zeigen, ist zumindest grob fahrlässig. Zwar wird man auf dieser Basis eine prima Gesprächsgrundlage mit seinem örtlichen FDP-Abgeordneten schaffen, gute Interessenpolitik für die lange von Arbeitslosigkeit Betroffenen ist es nicht.

Recht fassungslos stellen die Leute von „gegen-hartz.de“ fest: „Eigens dafür hat die BA ein Maßnahmenpaket geschaffen, das ältere Hartz IV-Bezieher im Rahmen des Programms „Aktiv zur Rente“ „wiedereingliedern“ soll. Dabei stellt sich nun die Frage, in was die Betroffenen „wiedereingliedert“ werden sollen. Denn letztlich verstecken sich hinter den Plänen des Landes sogenannte Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung, Ein-Euro-Jobs, die nur in Ausnahmefällen in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung münden“.

So ist es. „Ein-Euro-Jobs“ münden so gut wie nie in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Einmal abgesehen davon, dass Leiharbeit „sozialversicherungspflichtig“ ist und auch die gemeinsten und niederträchtigsten Formen der Beschäftigung selbstverständlich auch in diese Kategorie fallen, „Ein-Euro-Jobs“ sind ein Angebot für Tätigkeiten im öffentlichem Interesse, in dem der Arbeitsdruck an die Fähigkeiten der Teilnehmenden angepasst ist und die Teilnehmer(innen) pro Stunde eine Mehraufwandsentschädigung zwischen einem und zwei Euro erhalten. Der Umfang beträgt dabei bis zu 30 Std. in der Woche, die Dauer maximal zwei Jahre (innerhalb von fünf Jahren § 16d (6) SGB II).

Zur Wirkungsweise verweise ich an dieser Stelle auf „Ein-Euro-Top“. In diesem Artikel habe ich mich mit der Studie „Endstation Arbeitsgelegenheit!? Teilhabeperspektiven in „„Ein-Euro-Jobs“ - Die Sicht der Betroffenen“ auseinandergesetzt.

Zeit im Überfluss, Angst vor dem neuen Tag, keine Aufgaben, die einen fordern würden, kein Geld für Kino, Theater, Bus und Bahn usw., sich überflüssig fühlen, Verlust von sozialen Kontakten zu Menschen, die arbeiten. Das alles ist kein Spaß.

Arbeitslosigkeit bedeutet nicht verlängerten Urlaub oder Ferien XXL in heimischen Gefilden, sondern ist die Verweigerung eines Menschenrechts. Am Anfang der Arbeitslosigkeit ist es der Mangel an Geld, nach über einem Jahr oder längerer ist es auch der Überfluss an Zeit, der den Arbeitslosen bleischwer auf der Schulter hockt.

Öffentlich geförderte Beschäftigung bringt auch nur vorübergehend Linderung. Aber immer noch besser einen „Ein-Euro-Job“ als dauerhaft zwangsstillgelegt. "Was uns bevorsteht, ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht“ schrieb Hanna Arendt schon vor über 50 Jahren und fragt: “Was könnte verhängnisvoller sein?“ Sie schrieb das als Eine, die der Idee anhing, dass die Gesellschaft von der Fessel der Arbeit zu befreien sei, stellte aber fest, dass diese „Gesellschaft kaum noch vom Hörensagen die höheren und sinnvolleren Tätigkeiten, um derentwillen, die Befreiung sich lohnte“, kennen würde.

In den Überlegungen der BA sollen von daher auch nicht die Langzeitarbeitslosen, deren Integration in den Arbeitsmarkt nicht möglich erscheint, von den Fesseln der Arbeit in „Ein-Euro-Jobs“ befreit werden, sondern der Staat will sich von unproduktiven Ausgaben emanzipieren. Jede direkte und indirekte Förderung von Unternehmen ist produktiv, jede Förderung von Menschen, deren Arbeitskraft nicht potentiell in der Sphäre kapitalistischer Akkumulation vernutzbar erscheint, unproduktiv.

Nach Alts Darstellung, der im BA Vorstand die Zuständigkeit für´s (Hartz IV) SGB II hat, haben viele Langzeitarbeitslose kaum Chancen auf eine Beschäftigung. „Über eine Million Menschen sind seit Einführung der Grundsicherung dauerhaft auf staatliche Leistungen angewiesen, rund 300 000 haben seit 2005 kein eigenes Erwerbseinkommen erzielt. Das deutsche Jobwunder hat ohne sie stattgefunden“.

Da könnten einem die Worte eines ehemaligen Ärztekammerpräsidenten einfallen. Karsten Vilmar hatte 1998 vom „sozialverträglichem Frühableben“ gesprochen, nur dass es seitdem keiner mehr so formuliert. Das Signal ist trotzdem deutlich: die BA will sich offenbar für einige Hundertausende ihrer „Kunden“ nicht mehr zuständig fühlen.

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