Facebook - das neue Reich des Bösen?

Soziale Medien Macht Die Wahl Trumps hat Entsetzen ausgelöst. Nicht zuletzt bei denen, die sich der Wahl Hillary Clintons verschrieben hatten. Nun werden Schuldige gesucht und gefunden.

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Der Artikel von Evelyn Roll in der Süddeutschen vom Freitag, 18.11.2016 ist überschrieben mit: "Die Lüge".

Er fängt an mit einem entsetzen Blick nach hinter - Trump – Wahl - und hysterischen Blicken nach vorn in Richtung Österreich und Italien. Das eigentliche Thema aber ist Facebook, bzw. die internetbasierten „Sozialen Medien“ , von denen Frau Roll annimmt, sie erzeugten eine Welt von Lügen, Hass und Verschwörungstheorien. In vorderster Front sind am Werk: Autokraten, Nationalisten, Rechtspopulisten und natürlich Verschwörungstheoretiker.

Sie bringt ihren eigentlichen Punkt erst nach langatmigen Beschreibungen von Netzlügen wie: Grüner fordert, Flüchlinge kommt alle nach Deutschland und Obama ist schwuler Muslim mit geklauten Kindern und einer Transe als Frau, dass nämlich 44 Prozent der Amerikaner „Nachrichten“ nur noch via Facebook konsumieren und „deswegen“ wissen sie, „dass Donald Trump sie niemals belügen wird“.

Spätestens jetzt weiß man, wohin die Reise gehen soll. Es soll im Auftrag für die gute Sache manipuliert werden. Hier sieht jemand aus den Reihen der Presse die Chance, den Begriff der „Lügenpresse“ mit Zins und Zinseszins an das Lieblingsmedium der Erfinder dieser Begrifflichkeit zurückzugeben.

Das Facebook nun keineswegs nur das Medium der Genannten ist, versteht sich eigentlich von selbst, soll aber in dem Artikel keine Rolle spielen. Zwischentöne sind nur Krampf...

Entschieden wird sich - und das ja auch durchaus zu Recht - der Idee entgegen gestemmt, dass wir nunmehr in einem postfaktischen Zeitalter leben sollen. Natürlich nicht, aber so einfach wie es sich die Autorin macht: der Lüge die Wahrheit entgegen zu stellen, ist es eben nicht. Leider sind Lüge und Wahrheit, gut und schlecht, Licht und Schatten nicht so klar geschieden, wie man es sich vielleicht wünschen würde. Im Gegenteil, wer ehrlich mit sich selbst ist, wird wissen, dass in einem meist von jedem etwas steckt und mit etwas Glück überwiegen die positiven Anteile.

Roll beklagt sich, dass nicht mehr gilt: „Wer lügt und dabei zum falschen Zeitpunkt erwischt wird, geht. Heute wird man mit so etwas Außenminister“. Gemeint ist Boris Johnson und seine Voraussage, dass der Austritt Britanniens aus der EU, dem britischen Gesundheitswesen 350 Mio. Pfund p.a. in die Kassen spülen wird. Aber was soll sich geändert haben? Es war offenbar nicht der falsche Zeitpunkt. Dies schon deswegen nicht, weil Boris Johnson zu den Gewinnern dieser Abstimmung gehörte. So ist es seit dem Anfang aller Tage, die Geschichtsschreibung erfolgt durch die Sieger. Der Lügen sind entweder keine oder aber es sind lässliche Sünden.

Aber das passte nun so gar nicht in diese Erzählung von der bösen Medienmacht durch Facebook und Co, die die Welt manipuliert und Präsidentenwahlen in den USA entscheidet.
Die Autorin – bar jedes verschwörungstheoretischen Ansatzes und natürlich nur der reinen Wahrheit verpflichtet – erzählt uns von den Lügen Trumps und vergleicht ihn da mit Putin, den sie für den routinierteren Lügenbaron hält. Entsetzt meint sie konstatieren zu müssen: „was für eine moralische Erosion!“ und fragt rhetorisch: ob es wirklich erst drei Jahre her ist, dass eine Ministerin wegen handwerklicher Fehler in ihrer Doktorarbeit zurücktreten musste?

Ja, da kann man schon nachdenklich werden, wäre da nicht Petra Hinz - ehemals SPD - die vor noch nicht einmal drei Monaten aus dem Bundestag ausschied, weil sie die Öffentlichkeit glauben machte, Akademikerin zu sein und es nicht war.

Es folgen dann die unvermeidlichen Ausführungen zum Tabubruch und dem Zusammenhang zum Aufmerksamkeitswert, zum einerseits Schlechtreden und Verunglimpfen des etablierten Journalismus` und andererseits dem Ausnützen durch die „zukünftigen Autokraten für kalkulierte Provokationsgewinne“. Und natürlich darf die New York Times nicht fehlen, die ausgerechnet hat, „dass Trump mit dieser Methode Sendezeit im Wert von zwei Milliarden Dollar gratis bekommen hat“.
Das mag sein, aber was anderes als eine faustdicke Lüge ist diese – nehmen wir einmal an – wahre Aussage, wenn man dabei vergisst zu erwähnen, dass fast alle klassischen Medien offen auf der Seite von Hillary Clinton standen? Hat Jemand `mal ausgerechnet welchen Milliarden Dollar-Wert für sie Sendezeit zur Verfügung stand?

Natürlich darf in dem Artikel nicht die Perspektive des Endes der Demokratie fehlen und dabei „die >sozialen Medien< des Internets die Waffen wurden, mit der scheinbar stabile Demokratien zerschossen waren, noch bevor alle richtig verstanden hatten, was passiert?“

Im Übrigen werden dann „Mobbing und Hasskommentare“ munter mit "Falschmeldungen" kombiniert, gegen die man nun schnell vorgehen muss. Denn schließlich verfüge Facebook längst über Instrumente, „mit denen Bots und Fake-Accounts aussortiert, die gröbsten Lügen aufgespürt und in den Algorithmen nach unten gestuft werden könnten“.

Wahrscheinlich muss man sich diese Instrumente so vorstellen, wie die vollautomatischen Programme zur Bewertung von Finanzprodukten, mit denen die Banken vor wenigen Jahren ihr sog. Risikomanagement betrieben. Eben noch das Ende der Demokratie an die Wand gemalt und jetzt soll das Heil in Programmen liegen, deren Algorithmus u.a. die gröbsten Lügen aufzuspüren weiß.

Knapp 200 Jahre nach dem preußischen Zensuredikt von 1819, fordert hier eine Vertreterin des Journalismus` Zensur durch Software. Der irrtumsbehaftete Zensor soll abgelöst werden, durch die reine Objektivität der Maschine. Was für ein Fortschritt und welch Triumpf über die Feinde der Demokratie, sofern die Worte der Autorin erhört werden sollten: „Das muss jetzt schnell umgesetzt werden“, denn: „Solange das nicht geschieht, kann theoretisch jeder gelogene Facebook-Eintrag mehr Menschen in Deutschland erreichen als die Nachrichtensendungen der >Tagesschau<“.

Den Rest des Artikel kann man sich schenken, da in verschiedenen Worten nur das ewig Gleiche wiederholt wird. Eine Lüge ist ein Lüge und eben nicht Wahrheit. Autokraten, Nationalisten, Rechtspopulisten und natürlich Verschwörungstheoretiker sind die Lügner und ihre Gegner bilden dabei spiegelbildlich den Hort der Wahrheit, der Information und der Sachaussage.

Man muss Evelyn Roll zumindest für ihre schonungslose Offenheit, die zur Selbstentblößung geraten ist, dankbar sein. Normalerweise macht man sich über den gedachten Typus lustig, der für das Gute und gegen das Schlechte und damit irgendwie im Auftrag des HErren unterwegs ist. Aber man glaubt natürlich nicht, dass es ihn in dieser reinen Form wirklich gibt.

Wie man sich irren kann. Es zeigt recht anschaulich und exemplarisch, die ganze Abgehobenheit von vielen Menschen, die sich selbst für intellektuell halten und sich deswegen die Verachtung der Dumpfbacken aus den „sozialen Medien“ leisten dürfen.

Der Perspektivwechsel misslingt nicht, er wird geradezu angewidert abgelehnt. So kann und will man sich nicht vorstellen, dass einem Hartz IV- oder Mindestlohnempfänger oder ganz allgemein armutsgefährdeten Menschen, die vorherrschende Erzählung – das Narrativ - wie es dort heißt, wo Wahrheit und Information zuhause sind, als eine einzige große Lüge erscheinen will.

In ungezählten Artikeln hieß es, wer verantwortlich seine Zukunft plant, der „riestert“ und betreibt private Vorsorge und man spricht von der deutschen Wohlstandsgesellschaft. „20,0 % der Bevölkerung in Deutschland – das sind 16,1 Millionen Menschen – waren im Jahr 2015 von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht“ (Statistisches Bundesamt, 03.11.2016). Das sind nur diejenigen, die nach „objektiven“ Kriterien Angst haben dürfen. Angst haben aber noch viel mehr. Damit einher geht häufig eine Art innerer Heimatlosigkeit, die Folge der Angst vor Absturz in das soziale Nichts ist.

Es ist gerade nicht so, wie Frau Roll vermutet, dass die Politikerlüge ggf. der Lüge der Verschwörungstheoretiker usw. usf. folgen könnte. Sie findet, es macht überhaupt keinen Sinn, „es den Lügnern nachzumachen und zurückzulügen“. Tatsächlich ist es genau umgekehrt. Die Verachtung oder Ignoranz gegenüber den Sorgen und Nöten von Ottonormalbürger, die Darstellung einer Welt ohne ihn, hat erst zu den Massierungen der beklagten und in der Tat zu beklagenden Phänomene geführt.

Es ist die blanke Verzweiflung, die ausbricht, wenn innere Heimatlosigkeit drohen und es den Ort der relativen Sicherheit und Stabilität nicht mehr gibt. Hier den Flüchtlingen – die als Bedrohung empfunden werden – seltsam ähnlich, aber noch nicht einmal mit der Perspektive versehen ggf. flüchten zu können, weil ja von dort draußen die Gefahr kommt. Zumindest wird sie dort fälschlicherweise vermutet.

Zugleich haben diese Menschen die Erfahrung gemacht, dass es den Staat - als Schutzmechanismus gegen äußere und innere Bedrohungen - gibt. Er funktioniert, allerdings scheinbar nur, wenn es um Banken oder Reeder geht. Demagogen von rechts haben dem noch die Flüchtlinge hinzugefügt, allerdings unter tätiger Mithilfe der Bundesregierung, die es bis heute versäumt hat, eine Schutzerklärung für die einheimische Bevölkerung abzugeben, dass diese Zeche diesmal zuvörderst von den Meistbegünstigten dieser Gesellschaft bezahlt würde.

Fraglich, ob dies unter Geltung des Sozialgesetzbuches II – Hartz 4 – überhaupt funktionieren kann, schließlich bedroht dies alle, die Gehalt, also Einkommen aus unselbständiger Arbeit beziehen. Ihnen ist durch Hartz IV mitgeteilt: pass mal schön auf, dass Du nicht arbeitslos wirst und wenn, dann lass die Arbeitslosigkeit nicht länger als ein Jahr dauern, denn dann wirst Du auf Sozialhilfe gesetzt und alles was Du Dir jemals erarbeitet hast, ist in Gefahr für Deine Sozialhilfe drauf zu gehen.

Momentan dürfte dieses Gefühl gerade bei den Mitarbeitern der Deutschen Bank sehr verbreitet sein. Eben noch Mitte der Gesellschaft und nun wird auf einmal die Perspektive des Abstiegs nach ganz unten zu einer sehr realen.
Ähnliches dürfte übrigens auch für viele Zeitungsredakteure gelten, denen nicht entgangen sein wird, dass ihre Schaffensbedingungen immer schlechter werden.

Da ist die Methode der Evelyn Roll ggf. nur die Ouvertüre für die spätere Einreihung bei AfD und Co.
In Hinblick auf die totalitäre Vorstellungswelt braucht man da jedenfalls keine großen Inkompatibilitäten vermuten.
Die Kontrollwut und der unbedingte Wunsch, Freund und Feind klar zu erkennen und zu scheiden, brauchen nicht infrage gestellt werden, nur "der Feind" werden dann die sein, die den heldenhaften Kampf für Zensur im Internet nicht beizeiten positiv zu würdigen wussten. Dann geht`s halt gegen die windelweichen Demokraten, die zugelassen haben, dass solche - wie sie dann selber welche sein werden - zuviel Entfalltungsraum bekommen haben.

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