In Hamburg: Ziemlich beste Freunde

SPD und Industrieverband Der BUND hat ein Papier öffentlich gemacht, dass die weitgehende Aufhebung der Politik unter dem hochtrabenden Namen „Bündnis für die Industrie der Zukunft“ illustriert.

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„Das Glatte ist die Signatur der Gegenwart. Es verbindet Skulpturen von Jeff Koons, iPhone und Brazilian Waxing miteinander. Warum finden wir heute das Glatte schön? Über die ästhetische Wirkung hinaus spiegelt es einen allgemeinen gesellschaftlichen Imperativ wider. Es verkörpert nämlich die heutige Positivgesellschaft. Das Glatte verletzt nicht. Von ihm geht auch kein Widerstand aus. Es herrscht Like. Der glatte Gegenstand tilgt sein Gegen. Jede Negativität wird beseitigt".

Byung-Chul Han. Die Errettung des Schönen. FFM, 2015, S. 9

„Der Ästhetik des Glatten folgt auch“ Peter Tschentscher, der geradezu als fleischgewordene Verkörperung des Schwänzens von Politik gelten kann. Statt einer vorgefundenen Wirklichkeit mit zumindest teilweiser Negativität zu begegnen, weil im Politiker eine kleine Idee anderer Zustände vorhanden ist, verweigert sich der Hamburger Regierungschef solchen Anwandlungen.

Dabei ginge es darum, dem System organisierten Egoismus’ mit Anforderungen der Mehrheit der Gesellschaft zu konfrontieren. Ihm schwebt da eine andere Idee vor, wenn man dafür überhaupt den Begriff der Idee verwenden möchte. Welche, wurde jüngst wieder deutlich, als der BUND-Hamburg am 12. November ein Papier veröffentlichte, aus dem hervorgeht, dass die SPD und ihr Bürgermeister am System Willfährigkeit gegenüber organisierten Wirtschaftsinteressen festhalten möchte.

Der BUND hat am 12. November eine Gesprächsniederschrift aus dem Vormonat des „Bündnis für die Industrie der Zukunft“ veröffentlicht. Aus ihm geht hervor, dass die Grenzen des technischen Umweltschutzes von den Unternehmen bestimmt werden sollen und keineswegs durch die Verwaltung und deren Anwendung bestehender Gesetze.Zwar sollen „(b)ei der flächenbezogenen Planung neuer Nachbarschaften zwischen Industrie und schutzbedürftigen Nutzungen (..) immissionsschutz- und störfallrechtliche Genehmigungen beachtet (werden)“aber es soll keine Einschränkungen geben können „ohne mit den betroffenen Unternehmen einvernehmliche, auf Unternehmensentwicklung ausgerichtete Lösungen erreicht zu haben“.

Was sich auf den ersten Blick vernünftig anhört, nämlich im Dialog zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen, ist tatsächlich eine mehr als bedenkliche Relativierung bestehenden Rechts, wenn deren Anwendung voraussetzt, zuvor einvernehmliche Lösungen erreicht zu haben und diese auch noch den Charakter haben müssen, auf die Entwicklung des Unternehmens ausgerichtet zu sein.

Als wenn es die Abgasaffäre um die Manipulation der EURO-Normen nicht gegeben hätte, wird hier genau das abstrakt beschrieben, was der Affäre zugrunde lag. Keine Einschränkungen, ohne mit der betroffenen Automobilindustrie einvernehmliche, auf die Unternehmensentwicklung ausgerichtete Lösungen erreicht zu haben. Die Lösung lag damals darin, dass über die EURO Norm das Emissionsverhalten viel zu niedrig angegeben wurde, weil die Automobilindustrie über ein Verfahren verfügte, dass das Emissionsverhalten bei der Abgasuntersuchung gegenüber dem Fahrbetrieb verändern konnte, so dass prinzipiell der Norm nur entsprochen wurde, wenn das Fahrzeug zur Haupt- und Abgasuntersuchung musste. Dass das eine „auf Unternehmensentwicklung ausgerichtete Lösungen“ gewesen sein soll, wird heute niemand mehr behaupten, auch wenn es damals das tragende Motiv aller Beteiligter gewesen sein wird.

Ganz offensichtlich sind diese früheren Ausserkraftsetzungen bestehender nationaler und europäischer Normen zum Zwecke der Unternehmensentwicklung für Peter Tschentscher und das "Bündnis für die Industrie der Zukunft“ gleichwohl Vorbild und Verpflichtung. Dies deutete sich auch schon im Frühjahr an. Traditionell vor dem Überseeclub in Hamburg, teilte er mit, dass er, wie auch seine Vorgänger, Unternehmen nicht mit noch mehr Regulierungen belästigen möchte und niemand aus dem erlauchten Kreis Angst haben müsse, dass etwas passiert, dass die wirtschaftlichen Aussichten der Hamburgischen Unternehmen durch die Politik seines Senats eintrüben könnte.

So setzte Tschentscher in seiner Rede am 6. Februar 2019 beim Klimaschutz auf Wissenschaft und Technologie, statt auf Verbote und Regulierungen. Im Interesse der Wirtschaft und einer modernen Lebensart könne dieser globalen Herausforderung nur so begegnet werden, sagte der SPD-Politiker, damals noch ein Jahr vor der Bürgerschaftswahl, vor rund 400 Mitgliedern des traditions- und einflussreichen Übersee-Clubs. Verbote, Beschränkungen und Regulierungen seien nicht der Kern der Lösung. "Es kommt nicht darauf an, immer neue Forderungen zur CO2-Reduzierung aufzusatteln und diese mit apokalyptischen Szenarien zu untermauern", so Tschentscher nach einem Bericht des NDR (Nachrichten) vom 06.02.2019

Die organisierten Wirtschaftsvertreter waren begeistert: „Norddeutschlands Unternehmer begrüßten die Rede als "Bekenntnis zur Wirtschaft ohne Wenn und Aber". Es sei eine klare Ansage Tschentschers, „gemeinsam mit der Wirtschaft Klimaschutz und Energiewende zu meistern - ohne Verbote, Beschränkungen und Symbolpolitik, die nur den Zeigefinger erhebt und doch nichts bringt, wie Fahrverbote zeigen", sagte der Präsident der Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein, Uli Wachholtz“ (a.a.O.).

Das nun durch den BUND vorgelegte Papier, bestätigt wie berechtigt die Freude der Wirtschaftslobbyisten war. Nicht nur, dass es künftig bei der Wirtschaftsbehörde einen „Industriekoordinator“ geben wird, damit dieser auch genau weiß, was von ihm erwartet wird, haben die Gesprächspartner Peter Tschentscher und Matthias Boxberger, Vorstandsvorsitzender eines E.ON-Unternehmens und seit 2018 Vorsitzender des Industrieverbandes Hamburg (IVH) zugleich festgelegt: „Die Wirk-Richtung lautet ‚Anwalt der Industrie“.Selbstverständlich wird dieser Anwalt der Industrie von der Stadt bezahlt werden und selbst sogar - als Staatsrat - Teil des Senates sein. Wie der BUND schreibt:„Diese Funktion soll der Staatsrat für Hafen, Innovation und Wirtschaft, Dr. Torsten Sevecke, zusätzlich übernehmen“.

Bezahlt werden soll aber noch mehr. Um den Hamburger*innen die Sichtweise des Bürgermeisters und des Industrieverbandes nahe zu bringen, wurde unter der Überschrift „Finanzierungs-Zusage durch die FHH“ lapidar festgestellt: „Senat stellt 300.000 Euro für 2 Jahre Projektlaufzeit zur Verfügung. Mit den Mitteln des Senats werden stadtweite Akzeptanz-Maßnahmen umgesetzt“.Der BUND nennt das: „PR-Arbeit eines Wirtschaftszweigs .., der selbst Milliardenumsätze vorweisen kann“ und übersieht dabei,zugleich, dass damit auch PR für die SPD gemacht werden soll, die ja seit Jahr und Tag in Hamburg deswegen relativ erfolgreich ist, weil sie die Industrie und die anderen Wirtschaftsunternehmen nicht mit politischen Gestaltungswillen nervt und deswegen ihre Wirtschaftssenatoren auch aus deren Lobbyumfeld bezieht. So war der letzte Wirtschaftssenator Frank Horch zuvor Präsident der Handelskammer Hamburg und der aktuelle - Michael Westhagemann - war deren Vizepräsident und Vorsitzender des Industrieverbandes Hamburg. Also dem Verein, mit dem Tschentscher sein „Bündnis für die Industrie der Zukunft“ gerade konkretisiert hat. Hätten nicht Tschentscher sondern Westhagemann mit Matthias Boxberger am Tisch gesessen, so wäre es eine reine Industrieverband Hamburg-Veranstaltung gewesen.

Für die CDU ist diese stabile Achse von Wirtschaft und SPD natürlich eine Katastrophe. Ausgerechnet die Wirtschaft setzt in Hamburg auf die Fortdauer der SPD-Regentschaft im Rathaus und mithin gibt es auch in der Medienlandschaft Hamburgs für die Unternehmen, die auf das Anzeigengeschäft angewiesen sind, wenig Grund, Negatives über den Senatschef zu berichten.

Für die Stadt ist die Kumpanei von Wirtschaft und Politik ebenfalls nicht günstig. Anders als man es sich vielleicht vorstellt, lebt Wirtschaft von klaren Rahmenbedingungen und Regulierungen, die für alle, also auch die Mitbewerber gelten. Je stärker beispielsweise die Auflagen zugunsten der Umwelt ausfallen, desto intensiver die Suche nach technischen Lösungen. Sobald dies durch politische Vorgaben an die Verwaltung relativiert wird, wird natürlich der bequemere Weg (z.B. Abschaltvorrichtungen bei Autos) gegangen und damit die auch vorhandenen Vorteile des Systems der Konkurrenz lahmgelegt.

Bezogen auf technische Innovationen läßt sich klar sagen, dass Industriefreundlichkeit sich eher in harten Bedingungen ausdrückt, als in Willfährigkeit, auch wenn sich das subjektiv völlig anders darstellen mag. Vielleicht kann man das am ehesten mit Lehrern vergleichen. Der/die strenge auf Leistung achtende Lehrer*in ist vielleicht in der aktiven Schulzeit seiner/ihrer Schüler*innen nicht der/die Beliebteste. Später nach Beendigung der Schulzeit aber wandelt sich die Sichtweise, wenn der/die ehemalige Schüler*in erfährt, dass das damals Gelernte nun seine praktische Anwendung erfährt und man nachträglich auf einmal froh ist, dass der/die Lehrer*in so streng war.

Peter Tschentscher kann und will nicht streng sein. Er hat wie sein Vorgänger keine politische Vision und Gestaltungswillen und beide glauben nach wie vor, dass sich das auch nicht gehören würde, schon weil einst Helmut Schmidt in einer pampigen Antwort sagte, „wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen".Nun mag man lange darüber streiten, welchen Stellenwert die Idee einer besseren Zukunft in der Politik haben soll? Gestaltungswille ist essentiell. Wer sich in seinen Ambitionen denen unterordnet, die vermeintlich oder tatsächlich die Mächtigen sind, reduziert das politische Engagement auf den persönlichen Vorteil. Dem der Partei und hierüber vermittelt der eigenen Person. Das ist sicherlich erlaubt, aber es sollte nicht länger erfolgreich sein dürfen. Der Niedergang der ehemals großen Parteien hat einen ganz wesentlichen Grund auch darin, dass kaum noch konkurrierende politischen Ideen um die Gunst der Wähler*innen buhlen, sondern nur noch Personen, in ihrem Bemühen, sich als vertrauenswürdig darzustellen.

Peter Tschentscher verkörpert weder eine Idee, noch kann man ihm zutrauen, einem Lobbyisten der Wirtschaft etwas anderes entgegenzusetzen, als die Bereitschaft, alles zu tun, was dieser möchte. Politik geht anders und vor allem:

Hamburg hat Besseres verdient.

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