taz-Redakteur meint: „Das Putin-Regime zerstören“

Krieg für den Frieden Endlich gibt es wieder einen Feind, der alle Guten eint und die Komplexität und Unübersichtlichkeit der Welt für diesen Moment aufhebt. Zugunsten einer Formell, die unabweisbar und gnadenlos schlüssig, den rechten Weg weist.

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Zwei Dinge fallen bei Jan Feddersens Artikel „Das Putin-Regime zerstören“ besonders auf. Zum einen die ungeheure Enttäuschung über Russland, dass Krieg gegen die Ukraine führt. Zum anderem seine Befreiung aus der Tiefebene der Politikanalyse. Die Hinwendung zum Gefühl, als Vorrat zur Beurteilung von Politik, man merkt es an jeder Zeile, verjüngt ihn geradezu, jedenfalls macht es ihn leidenschaftlich. Wiewohl schon seit Jahrzehnten in Abstand zum jungen Jan Feddersen gegangen, bringt ihn die Distanz doch dem ehemals jugendlichen Elan näher.

So macht dann die Befreiung aus dem Korsett nachwirkender Gewissheiten vergangener Jahre auch richtig Spaß. Soweit die positive Seite des Furors, der ihn zu dem Artikel trieb. Der negative Aspekt ist die hoffentlich nur temporäre Emanzipation von jeder ernsthaften Analyse der nationalen Interessenlage Deutschlands im Kontext des Krieges Russlands gegen die Ukraine.

Das fängt schon mit der Lüge an, die darin besteht, die Politik eines Landes auf eine Person zu beschränken. Die Wahrheit ist nämlich, dass Russland durch seinen Präsidenten handelt und die Bevölkerung keineswegs mehrheitlich in Opposition zu dessen Politik stände. Jedenfalls stimmt das für den Moment. Das mag sich ändern und es ist keineswegs ausgemacht, dass dies auch im Sinne der bedingungslosen Putin-Hasser, die Situation verbessern würde.

Was nämlich gerne übersehen wird, so von Feddersen wie Obama, dass die Beschreibung Russlands als Regionalmacht, sich zwar mit vollem Recht auf die Ökonomie des Landes beziehen kann, weder aber auf seine geografische Größe, seine nukleare Bewaffnung und seinen Mythos über sich selbst. Statt die Gefahr zu sehen, die aus der Diskrepanz zwischen ökonomischer Basis und den Überbauungen, vor allem im Bewusstsein der Majorität der Russen entsteht und sich u.a. im Krieg gegen die Ukraine entladen hat, perpetuiert sich die Idee, dass man der geschwächten russischen Großmacht nichts zugesteht, dass diese nicht aus eigener Stärke selbst erringen könnte.

Da mag die Geschichte des Endes der Sowjetunion Pate für die Antizipation künftiger Entwicklungen gestanden haben. Das aber ist das Prinzip Hoffen und zugleich das Schwänzen von Politik. Politik hat nämlich – ausgehend von der eigenen Interessenlage – die der Gegenseite - möglichst und so gut es geht - zu berücksichtigen. Dazu gehört dann auch eine realitätstüchtige Einschätzung, ob eine, durch die eigene Politik beschleunigte Post-Putin-Ära, vermutlich Fortschritt, oder das Gegenteil bedeuten würde. Beides ist prinzipiell möglich, aber Verschlechterung ist wahrscheinlich. Diese Einschätzung ergibt sich aus dem Umstand, dass Putin Russland nicht im Würgegriff hat und wider die Interessen der Bevölkerungsmehrheit agiert. Es ist weder auszuschließen, dass wesentlich radikalere nationalistische Kräfte Putin beerben, als auch, dass Russland in einen Prozess des Zerfalls des Zentralstaates geriete und am Ende sich EUropa einigen neuen Atommächten gegenübersehen würde.

Das zu übersehen, erzwingt die Dominanz des Gefühligen, die Schmitts Diktum, wonach die großen Momente der Politik, die sind, wo der Feind klar adressiert ist, übertreiben und zugleich dem Feind noch das Etikett des Bösens an sich aufkleben. Nützlich für die Propaganda, aber nicht geeignet, um Grundlage von interessenbasierter Außenpolitik zu sein.

Jan Feddersen glaubt, dass Wichtigste wäre es jetzt, „dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski eine Art deutsche Selbstkritik zu übermitteln: Ja, wir haben euch nicht ernst genommen; ja, wir haben, wohlstandsverwahrlost, wie wir nun mal gern sind, lieber auf russisch-imperiale Billigstoffe gesetzt als auf die Mühe der Demokratisierung; und, ja, wir haben das Militaristische abgelehnt, doch übersehen, dass zur Verteidigung von Freiheit und Demokratie eben auch Militärisches zählen muss. „Lieber rot als tot“, das Credo der bundesdeutschen Friedensbewegung, war schon damals falsch – ein Spruch, der in ukrainischen Ohren inzwischen wie eine politpornografische Sattheitsformel klingt, ungeeignet, dem wirklichen Leben in Nachbarschaft zu militaristischen Imperien zu begegnen“. Damit hat er sich von realistischen Betrachtungen der Welt verabschiedet. „Russisch-imperiale Billigstoffe“ ist einfach nur noch dummes Zeug. Der Handel – also Kauf und Verkauf – ist es, der einerseits die Mittel schafft, um wohlständig zu leben und zugleich kooperative Beziehungen begründet, die die Gefahr militärischer Konflikte begrenzt. Russische Importe aus der Ukraine und ukrainische Importe aus Russland sind nach dem Regimechange 2014 in den Jahren 2015 und 16 bereits um weit mehr als 50 Prozent gegenüber den letzten drei Jahren davor zurückgegangen. Wir sind gerade dabei, diese Entwicklung nachzuvollziehen und sollten nicht davon ausgehen, dass das den Frieden sicherer machen wird. Dieser lebt von gegenseitigen Vorteilen und begründet in der Folge eher demokratische Entwicklungen, als die Idee, von außen russische Innenpolitik entwickeln zu wollen. Dass es durchaus vernünftig ist, Waffen und Menschen bereit zu halten, die von Berufswegen zum Töten ausgebildet werden und Waffen bedienen können, deren Zerstörungskraft das normale Vorstellungsvermögen Gottseidank überfordern, ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen.

Si vis pacem para bellum, etwa: willst Du den Frieden, rüste zum Krieg, ist ein Satz, der sich seit Jahrtausenden scheinbar bestätigt hat. Erzwungene Friedfertigkeit zahlt sich nicht aus, wer wehrlos ist, wird – sofern es Lohn verspricht – zum Opfer derer, die über mehr Gewalt verfügen, als der zum Opfer auserkorene Staat. Soweit, so abstrakt richtig ist heute noch, was Vegetius, Kriegstheoretiker des ausgehenden 4. Jahrhunderts uns hinterließ. Allerdings erklärt es nicht, warum die gegenseitige Abschreckung nicht zum immerwährenden Frieden geführt hat, sondern Krieg die Menschheitsgeschichte wie ein roter Faden durchzieht. Schon im Geschichtsunterricht hangelt man sich von Herrscher zu Herrscher und seinen Kriegen, während lange Phase des Friedens eher langweilig sind und eher beiläufig festgestellt werden.

Seit 2.500 Jahren gilt das Wort des Philosophen Heraklit: "Der Krieg ist der Vater aller Dinge und der König aller. Die einen macht er zu Göttern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien." Auch die relativ modernen Nationalstaaten wurden i.d.R. durch Kriege geschaffen. Mikrowelle, Düsentriebwerke, Computer – um nur Weniges zu nennen - gehen auf’s Militär zurück. Das Militär ist also ein ambivalentes Ding, aber die Idee: lieber die Waffen nieder zu strecken, als zu kämpfen ist damit noch lange nicht erledigt. Abgesehen davon ginge es ja wohl auch eher um die Frage, ob man als Deutschland und EU gut beraten ist die Nato deswegen besonders gut zu finden, weil Trump scheinbar mal aus dem Verein raus wollte? Wir diskutieren nämlich nicht, wie es Jan Feddersen suggeriert, um die Auflösung der Bundeswehr, sondern – wenn wir gut sind – um die Frage, welche Bündnisstruktur ist die für Europa passende?

Selbst, wenn wir das nicht tun, sollte doch auffallen, dass es keinen Gleichklang der europäischen und der us-amerikanischen Interessen geben kann. Das fällt natürlich nicht auf, wenn man sich im Modus „heiliger Krieg“ befindet, denn dann wird alles Komplizierte einfach.„Letztlich kommt es darauf an: dass das Putin-Regime zerstört wird, mit dem Chef in Den Haag vor dem Obersten Gerichtshof, Nürnberg 2.0 quasi, höchstselbst für seine Verbrechen einstehend“, träumt Feddersen laut. Warum er für Putin keinen Zwischenaufenthalt in Guantanamo in seiner Fantasie vorgesehen hat, bleibt sein Geheimnis.

Dass er gerne Russland den Wiederaufbau der Ukraine finanzieren lassen möchte, ist da nur naheliegend. Neu ist, jedenfalls bei Feddersen, dass er den Einkauf von Rohstoffen, als eine Art der Ausbeutung betrachtet, von dem die Einkäufer illegitimer Weise profitieren. Jedenfalls schimmert der Gedanke durch, wenn er „die EU – mit den Ländern an der Spitze, die von russischen Rohstoffen am stärksten profitierten – Deutschland vorneweg“ in Haftung für den ukrainischen Wiederaufbau nehmen möchte. Nicht als kollektive Wirtschaftsakteure, sondern als Bestrafte.

Feddersen bringt hier nur zum Ausdruck, was von vielen ehemals links und pazifistisch angekränkelten Menschen gerne gedacht würde. Wobei „gedacht“ ist ein leichter Euphemismus, hervorgebracht trifft es besser. Es ist dies subjektiv die Emanzipation, von einer Moral, mit der man auf der Verliererseite der Geschichte gelandet ist. Das allein wäre gut und des Lobes wert, aber man belässt es nicht dabei, sondern füllt die Lehrstelle mit Allmachtsfantasie, kombiniert mit einem Gedanken sich vollendender Rache am Erzschurken.

Wer sich noch nicht bei so ähnlichen Gedanken ertappt hat, hat es gut. In der Regel redet man aber nicht darüber und wenn, dann beim Therapeuten. Da gehört es hin. Wenn man es veröffentlicht, wird es kritisch. Aus der Fantasie wird der Wunsch nach Wirklichkeitswerdung. Davor behütet uns hoffentlich die Resilienz einer Gesellschaft, die mit der Dominanz der Vernunft und in gewisser Weise langweiligen Verältnissen immer am besten gefahren ist.

Hier Feddersens Artikel: https://taz.de/US-Praesident-Biden-hat-recht/!5841820/

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