Nach den tollen Tagen von Erfurt

Die CDU und die Linke Die Rückkehr des Irrationalen in die Politik, oder wenn Leidenschaft die Sachebene ersetzt, dann wird es schon mal ungemütlich.

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Wenn in einer Phönix-Runde, der ehemalige Generalsekretär und CDU-Linke Ruprecht Polenz, in einer Nebenbemerkung davon spricht, dass die Union zur Linken keinen normalen Kontakt pflegen kann, weil diese sich immer noch nicht mit den Opfern der SED-Herrschaft ausgesöhnt habe, so zeigt das krasser das Dilemma der Union, als wenn Friedrich Merz – ungefähr zum selben Zeitpunkt – die Gleichung von links gleich rechts aufmacht.

Was da der Linken als Manko angekreidet wird, betrifft womöglich CDU- und FDP-Ost mehr, als es die Linke – wo sie einst SED war – noch betrifft. Sie hat mit Sicherheit viel mehr Aufarbeitung ihrer Einbindung in die DDR betrieben, als es die früheren Blockparteien jemals für nötig befunden haben.

Es hatte sich bereits nach der thüringischen Landtagswahl ein politisches Rülpsen Bahn gebrochen, von dem man seit Jahren annahm, dass das letzte Bäuerchen längst getan sei. Auf einmal war es wieder da: Mauermörder- Unrechtsstaat! Ihr schlecht, wir gut! Dieses Sprechen, um die Linke und die DDR, ließ noch einmal zu, dass aufgestaute und konservierte Gefühle aus zwei untergegangenen Republiken – BRD und DDR – sich ans Licht trauten.

Die aufgeworfene Frage, wie man die Kooperationsfähigkeit der Parteien in Thüringen in Richtung Koalitionsfähigkeit verlängert, wurde nicht beantwortet, weil sich die CDU in Berlin nicht von der Idee der Äquidistanz zu AfD und der Linken verabschieden wollte oder konnte. Man hat den Thüringischen Heimattruppen nur auf den Weg gegeben: keine Kooperation mit der AfD und der Linken.

Eiertanz

Das erwähnte Dogma von der Linken als Unberührbare unter den Parteien ist einerseits kräftig am Wanken oder sogar schon gefallen, wurde aber noch mit Tricks aus der Kiste der Konferenzen-Diplomatie notdürftig kaschiert – man redet mit Trägern von Staatsämtern und ignoriert deren Parteienzugehörigkeit – und hat dabei wieder ein merkwürdiges, aus der Zeit gefallenes Eigenleben entwickelt. Man fragt sich, wie lange vonseiten der CDU weiterhin an einem Antagonismus festgehalten wird, der sich ausschließlich aus der verblassenden Vergangenheit, nicht aber aus der parlamentarischen Praxis der gegenwärtigen Linken oder aus dem Umgang der Union mit den Linken in ihm, begründen ließe? Vor allem jetzt, wo sich CDU und FDP selbst ausgetrickst haben, indem sie sich Bekennermut beim Kandidieren zutrauten und mit der Nebelkerze einer eigenen AfD-Kandidatur auf das glatte Parkett der Kandidatur gegen Bodo Ramelow gelockt wurden und dabei einen Erfolg erzielten, der sich bereits im Moment seiner Vollendung als Senkblei darstellte, dass in Richtung Abgrund zieht. Offenbleiben kann dabei im Übrigen, wie viel Planungen und Absprachen und wie wenig Zufall es dabei gegeben haben mag. Das wird über kurz oder lang herauskommen.

Interessanterweise behauptet die Linke in Thüringen ja keinen antagonistischen Gegensatz zur CDU, sondern würde die Entscheidung hierüber an die eigene thüringische Basis delegieren, wohl wissend, dass mit einer Koalition aus Linken und Union ihr Nimbus als linke Oppositionspartei gewaltig leiden kann und der AfD quasi das Alleinstellungsmerkmal der Generalopposition zufiele. Zugleich wäre damit die Idee vom ›linken Lager‹, das aus Linken, SPD und Grünen bestehen soll, weiter erodiert, da dann mit Ausnahme der AfD, alle anderen Funktionsparteien wären, die bei Bedarf ihre Mandate zusammenwerfen könnten, um eine Regierung zu bilden. Trotzdem war die Linke hierzu bereit, bzw. hat dies nicht generell verworfen und sich damit staatstragender gegeben, als alle anderen Parteien in Thüringen. Vergleichbar nur mit der Rolle der Grünen bei den letzten Koalitionsverhandlungen mit Union und FDP im Bund.

Dem kleinen Glaubenskrieg der Union, wie er für den Sonderstatus der Linken geführt wird, fehlt jede wahre Überzeugung und Leidenschaft – außer beim reaktionären Flügel der Partei – und es ermangelt ihm an jedem durchschlagenden Argument. Stattdessen nimmt er starke Bilder dafür her: Unrechtsstaat DDR, Mauer und Schießbefehl, die Stasi usw.

DDR

Es stimmt, dass die Linke aus dem Bündnis von WASG und PDS hervorging und die PDS aus der SED. Mithin also die Linke die SED und diese wiederum die führende Partei der DDR war. Richtig ist aber auch, dass – als die DDR noch existierte – die CDU im Rahmen der Nationalen Front auf das Engste mit der SED kooperierte. Wer nun immer die führende Partei der DDR war, sie war es nur, weil es die Sowjetunion so wollte.

Die essentiellen Dinge der DDR wurden nicht im Politbüro der SED, sondern in dem der KPdSU entschieden. Das hat die schrecklichen Zustände, die es in der DDR gab, nicht weniger schrecklich gemacht. An der Verfolgung von Kritikern, der Isolierung von Dissidenten, dem Eingesperrtsein, ob nun in der DDR, dem Gefängnis oder der Psychiatrie, einem widerlichen Spitzelsystem, das Nachbarn und Freunde sich gegenseitig denunzieren ließ und einer Propaganda, die substantiellen Widerspruch – wenn überhaupt – nur im engsten Kader-Kreis duldete, hat es nicht ein Jota geändert. Dass das Meiste nicht die Mehrheit betraf, ändert nicht das Geringste am Fehlen einer Instanz, mit der man gegen staatliche Willkür hätte vorgehen können. Aber das Nichtvorhandensein des Rechtsstaates in der DDR, rechtfertigt nicht, dass man sie mit der Formel des Unrechtsstaates belegt, die einst für das NS-Regime gefunden wurde und aus der heraus der Vorrang der Menschenrechte vor dem positiven Staatsrecht und letztendlich des Rechts auf Widerstand begründet wurde. Mag sein, dass man zu anderen Urteilen käme, wenn die DDR und die anderen Staaten der Warschauer Vertragsorganisation (Warschauer Pakt), nicht aus einem Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion entstanden wären, das mit dem Angriffskrieg Deutschlands gegen die UdSSR auf das engste zusammenhing. Es hätte dann allerdings auch nicht lange eine DDR gegeben. Insofern ist diese eine Folge des Nationalsozialismus in Deutschland gewesen und auch nur so zu verstehen, weswegen die partielle Gleichsetzung mit dem Fürchterlichsten, was deutsche Geschichte hervorgebracht hat, entschieden zurückzuweisen ist. Genauso übrigens, wie jede Verniedlichung der Zustände in der DDR für Menschen mit abweichenden Ansichten und Meinungen.

Das alles ist lange vorbei. Die CDU hat Mensch und Material der ehemaligen Blockpartei gleichen Namens fest bei sich integriert, will aber diesen Pragmatismus nur bei sich und der FDP gelten lassen, die gleich mehrere Blockparteien bei sich aufgenommen hatte. Die SED oder die Linke soll nach wie vor die personengebundene Schuld für alles sein, was in der DDR schlecht lief und insbesondere was an Schrecklichkeiten stattfand und in dieser Funktion möge die Linke weiter existieren und damit zugleich auch die eigenen Mitglieder.

Mitte

Die Mitte ist das Traumziel aller Parteien. Hier werden Wahlen gewonnen und Wähler:innen gebunden. Heute jedoch wohnt da auch die Linke. Jedenfalls in Thüringen, wo es Bodo Ramelow gelang, als Ministerpräsident das Vertrauen gesellschaftlicher Honoratioren ebenso zu erlangen, wie das des modernen und aufgeklärten Bürgertums. Immer noch werden Wahlen gewonnen, wenn man sich mit dem Politikangebot nicht vom Rand, sondern aus dem Zentrum heraus positioniert. Nur tummeln sich dort alle und auch die AfD ist stets darum bemüht, sich als bürgerliche Partei darzustellen, die besonders die ›Linkswerdung‹ der CDU beklagt und dabei auf ein beliebtes und etabliertes Narrativ zurück greifen kann.

Das wird ein weiterer Grund sein, warum sich die CDU sofort wieder inFreiheit oder Sozialismus-Habitus versetzt, wenn es um die Linke geht. Sie hat also aus sehr vordergründigen, partei-egoistischen Überlegungen heraus jeden Grund, das Abgrenzungssymbol ›Die Linke‹ mit geradezu zärtlicher gärtnerischer Fürsorge zu düngen, zu gießen und zu pflegen. Allerdings wirft es zugleich die für sie gefährliche Frage auf, wo denn die staatspolitische Verantwortung der Union bleibt, wenn sie sich in Thüringen auf fundamentale Ablehnung jedes Gesprächs über Tolerierung und Koalition verweigert?

Rechtsdrift

Diese Antwort gibt der 5. Februar 2020 und die Geschichte seiner Anbahnung. Der damalige und erneut zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der thüringischen CDU-Fraktion gewählte Abgeordnete Michael Heym, konnte sich sofort nach der Wahl eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen. Dem MDR sagte er, es müssten nach dem Wahlergebnis alle Optionen geprüft werden. Auch eine Koalition aus CDU, FDP und AfD könnte eine Mehrheit bilden. Anfang November letzten Jahres unterstützen 17 weitere CDU-Funktionäre die Forderung nach ergebnisoffenen Gesprächen mit der AfD. Der Bundespartei gefiel das alles mit Sicherheit nicht und man sah die Gefahr, die mit einer Nichtwahl von Ramelow verbunden sein könnte. Zugleich war man aber nicht in der Lage sich in dem Prozess selbst als determinierender Teil zu sehen, sondern verließ sich stattdessen auf eine schicksalsergebene Haltung. Statt die Widersprüche mit AfD und Linken zu bewerten und zu hierarchisieren, glaubte man, sich durchwursteln zu können. Diese Strategie ist gescheitert und die Äquidistanz zu den Parteien der Linken und der Rechten hat sich blamiert und macht die CDU tendenziell – wie in Thüringen – politikunfähig. Manchmal ist es eben ein Glücksspiel, wenn man weder auf rot noch schwarz (blau od. braun) setzt.

Innerparteiliches

Dabei liegt der Kern dieser Unfähigkeit nicht in der Abgrenzungsrhetorik zur Linken, sondern in seiner Notwendigkeit für den Zusammenhalt von zwei Parteien in einer. Der rechte Teil dieser Partei sieht sich in wesentlichen Punkten der AfD näher als der eigenen Kanzlerin und möchte nicht hinnehmen, dass sich Mehrheiten wie in Thüringen nicht realisieren. Was bisher nur Theorie war, ist aber seit dem 5. Februar Praxis und entfaltet daher eine Dynamik, die theoretische Überlegungen allein nicht entfachen könnten. In ihr wird sich die CDU zu entscheiden haben, ob sie politisch gestaltender Teil in einer Konstellation unter Ein- oder Ausschluss der AfD sein möchte.

Ingo Senftleben, Spitzenkandidat der Union in Brandenburg bei der dortigen Landtagswahl 2019, hatte sich für den Fall einer entsprechenden Konstellation klar gegen die AfD und im Zweifel für ein Bündnis mit den Linken positioniert. Einer seiner schärfsten Kritiker:innen war Annette Kramp-Karrenbauer. Nun ist es an der Zeit, dass die CDU sich bei ihrer grundsätzlichen Festlegung für den weiteren Weg eindeutig positioniert und dabei muss sie ihr Verhältnis zur Linken entideologisieren. Ansonsten schafft sie Wachstumsbedingungen für die Werte-Union. Denn dass die Haltung von ›nicht Fisch, nicht Fleisch‹ dieser nutzt, kann man in Thüringen schön beobachten. Zwar hatte dort die Union noch das große Glück, dass sich ein politik-unerfahrener Mensch der FDP dafür hergab, dass sich die Stimmen der AfD auf ihn vereinigen konnten, aber am Ende des Tages weiß jeder, dass die Thüringischen Verhältnisse durch die Taktierereien der Union herbeigeführt wurden.

Finalisierung

Es ist nun an ihr, Zweifel an ihrer Tauglichkeit als moderner und zugleich konservativer Partei nachhaltig zu zerstreuen, oder durch die Macht des Faktischen, Bündnisoptionen zu den Grünen und auch zur SPD auf Zeit zu verlieren und damit automatisch in die zentrifugale Kraft der Stabilisierung explizit reaktionärer Strukturen hineinzugeraten und hierdurch die realpolitische Situation der reaktionären Kräfte innerhalb der Union deutlich zu verbessern.

Das ist leicht gedacht und schwer getan. Die Union ist realpolitisch und im politischen Normalfall eine moderne Partei. Sie zeichnet aus, dass sie wenig Gestaltungswünsche gegenüber den unternehmerischen Wirtschaftsakteuren hat und deswegen den konservativen und christlich sozialen Ideen kaum einmal selbst politische Gestalt gibt. Das ist auch akzeptiert, weil sie Politik nur in Bündnissen umsetzen kann und in denen bestimmen Kompromisse das Tagesgeschäft. So ist der idealistische Kern, die ›Religiosität der Politik‹ ausgelagert auf den Sonntag und in abfällige Reden über Linke und die AfD. Dies bildet den Spontankompromiss, den reaktionäre und moderne CDUler sofort schließen können. Dieser taugt seit dem letzten Ergebnis der Landtagswahl von Thüringen aber nicht mehr für die relativ friktionsfreie Konstituierung notwendiger Realpolitik, sondern nur noch zur Kaschierung innerparteilicher Gegensätze.

Die Bestimmung, dass allen Radikalen gleichermaßen die Abfuhr zu erteilen wäre, ist hohl, weil sie sich nach links nicht auf Radikale bezieht, sondern auf linke Praktiker:innen, denen mangelnde Fluchtmöglichkeiten aus politischer Verantwortung längst den prägenden Stempel der Realpolitik aufgedrückt haben. Damit ist aber auch die Bestimmung von potentiellen Bündnispartner:innen und absoluten Antagonisten falsch und muss zur Konfusion in den eigenen Reihen führen. Die Union ist damit nicht auf der Höhe der Zeit und droht potentiell den Anschluss an den bürgerlichen Block zu verlieren, den sie heute noch maßgeblich repräsentiert. Die Gleichung ›links gleich rechts‹ hat sich nicht einfach blamiert, weil sie bezogen auf die eigene Vergangenheit als Blockparteien heuchlerisch ist. Das ist im Zweifel vernachlässigbar. Sie ist nicht politiktauglich. Dass das selbst jemand wie Joachim Gauck zur Hälfte begriffen hat, sollte die Union nachdenklich machen.

Erstveröffentlichung:

https://www.globkult.de/politik/deutschland/1840-die-cdu-und-die-linke

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