Nazis ante portas

Europawahlen 2014 Mit dem Urteil des BVerfGs, die 3%-Hürde bei den Wahlen zum Europäischen Parlament für verfassungswidrig zu erklären, ist nun der Weg für die „Sonstigen“ freigeräumt.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Glaubt man der überwiegenden Haltung, sofern sich diese als veröffentlichte Meinung Gehör verschafft hat, so droht dem Europäischen Parlament demnächst ein starker Zuwachs der Gruppe fraktionsloser Abgeordneter, eine Abnahme der Arbeitfähigkeit, eine Inbesitznahme durch Kleinparteien und vor allem der Einzug der NPD und von Rechtspopulisten aller Arten.

Karlsruhe schlägt dem Faschismus eine Bresche, könnte man verkürzend zusammenfassen. Alles andere wird der Inaugenscheinnahme sowieso nicht standhalten können, außer vielleicht die künftige Vermehrung fraktionsloser Abgeordneter. Aber der Einzug der NPD ist durch die Karlsruher Entscheidung tatsächlich sehr viel wahrscheinlicher und damit auch zum gewichtigen Argument gegen den Spruch des Bundesverfassungsgerichts geworden.

Da haben wir es wieder, das zentrale Argument für den freiwilligen Verzicht auf Demokratie. Sie könnte nämlich den Falschen nützen. Es ist ja unbestreitbar, dass das durch Karlsruhe nun erzwungene Wahlrecht auch den Hakenkreuzlern nützt, indem es jeder Stimme das gleiche Gewicht verleiht und das Scheitern nur noch an das Nichterreichen der notwendigen Stimmenzahl für ein Mandat bindet. Natürlich nutzt das Parteien, deren Anhängerschaft gut motiviert zur Wahl geht und es schadet direkt den Parteien, die ihre potentielle Wählerschaft nur noch schwer mobilisieren können.

Bislang ist das Absinken der Wahlbeteiligung in der Regel kein Problem für die parlamentsfähigen Parteien. Im Gegenteil, die Stimmen der „Sonstigen“ landen bei ihnen, weil die Mandate nur unter den Hürdenspringern aufgeteilt werden müssen. Außerdem haben schon zuvor WählerInnen ihre Stimme - der Vernunft statt der Neigung folgend - auf größere Haufen geworfen, um sie nicht "zu verlieren".

Nun wird es so sein, dass zwischen Vernunft und Neigung nicht mehr getrennt werden muss und Wahlabstinenz wirkt sich stärker zu Lasten der nicht (mehr) gewählten Parteien aus. Deswegen sehen ja auch die jetzigen Parlamentsparteien die Funktionsfähigkeit des Parlamentes gefährdet, schließlich geht es um ihren Besitzstand. Die bislang legal geraubten Mandate, bleiben nun bei denen, die die Wähler gewählt hatten. Das löst keine Freude aus und so verzichtet man auch schon einmal auf den sonst so gern zur Schau getragenen Respekt vor Gerichtsentscheidungen aus Karlsruhe. Die Grünen drehen sogar den Spieß einfach um und warfen dem Bundesverfassungsgericht mangelnden Respekt vorm Europäischen Parlament vor.

Tatsächlich kann man den Richtern eigentlich nur vorwerfen, dass sie die demokratischen Wahlrechtsgrundsätze nur deswegen gelten lassen, weil sie beim europäischen Parlament zuwenig parlamentarische Befugnisse ausmachen. Denn ein ordentliches Funktionieren des Parlamentes, von der voraussichtlichen Anzahl von Fraktionen bzw. fraktionslosen Abgeordneten abhängig zu machen, erscheint weder in sachgerechter Korrespondenz mit der Idee der freien Mandatsausübung zu liegen, wie auch außerhalb des Zusammenhangs gemachter Erfahrungen. Tatsächlich ist es reine Ideologie.

Durch die Ermöglichung von Erfahrungen im Europäischen Parlament auf der Basis eines Wahlrechtes ohne zusätzliche Hürden, ermöglicht nun aber das Gericht einen empirischen Befund, der demnächst auch dazu führen könnte, dass die Hürde bei allen Wahlen in Deutschland fallen wird. Insofern ist das Gericht zu loben und zu preisen, als eine Institution, die dem demokratischen Gedanken -mehr als jede andere in Deutschland - verpflichtet ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden