Schulkampf in Hamburg

Die AfD und ihre Kritiker Die Linke fordert in Hamburg den Rücktritt des Schulsenators, weil dieser nicht verhindert habe, dass seine Behörde einen AfD Mann auf die Schüler*innen losließ.

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Angefangen hat alles damit, dass die Schulbehörde hysterisch in den Ferien die Ida Ehre Schule – früher Jahn Schule) stürmen ließ, um dort die Produkte linksradikalen und neutralitätsverletzenden Tuns zu entfernen. Zumindest subjektiv aus Sicht der Behörde. Aus der Perspektive der Schule, die allerdings der anwesende Schulleiter zum Zeitpunkt der Aktion, Codename „Sauberes Klassenzimmer“ wäre passend gewesen, nicht darzustellen vermochte, stellt sich die Sache allerdings anders da.

Im Rahmen des Unterrichts unter dem schönen Titel: „Sich einmischen – Kunst als kulturelle Kompetenz“ wurden in der Schule Sticker mit politischen Aussagen auf einer Pinnwand assoziiert, die nicht unter dem Gesichtspunkt der Pluralität, sondern nach Neigungen der Schüler*innen komponiert waren. Das hatte die AfD erfahren, die ein Meldeportal „für neutrale Schulen“ betreibt. Eine Kleine parlamentarische Anfrage wurde dazu gemacht und nachdem die Schulbehörde sich veranlasst sah, dem Gedanken des Portals durch Taten heftig beizuspringen, traute sich das Hamburger Abendblatt zu titeln: „Linksextremisten betreiben ungestört Propaganda an Schule“. Bei der AfD konnte der längst kaltgestellte Sekt aus dem Kühlschrank geholt werden und ein Redakteurschäumte u.a. mit den mittlerweile selbstkritisch zurück genommenen Worten: „Dafür dass eine Schule Extremisten so den roten Teppich ausrollt, gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder sind die verantwortlichen Lehrer so ahnungslos, dass man sich fragt, was sie ihren Schüler beibringen. Oder sie halten linken Extremismus (anders als rechten) für eine im Grunde gute Sache“.

Nicht nur Abendblatt, auch Bild, Welt und Morgenpost hatten heftig überzogen. Kein Wunder. Während man bei diesen Medien - außer bei der Bild - von der AfD kein Stück trockenen Brotes annehmen würde und gegen deren Narrative instinktiv gefeit ist, wird aus Propaganda der AfD sofort Information, wenn Antagonisten dieser Truppe den Inhalt bestätigen. Da wird nicht mehr recherchiert, sondern das Naheliegende getan. Vor allem, wenn es sich, wie im vorliegendem Fall, um Aktivitäten des linken Gegenstück zur AfD handelt. Das wissen Redakteure dieser Medien nämlich noch von früher oder woher auch immer, dass der linke Extremismus genau so schlimm ist wie der rechte und gern wird die Gelegenheit wahrgenommen als Weltkind in der Mitten auch einmal so richtig gegen den linken E x t r e m i s m u s zu poltern.

Die ironische Wendung die die Story dann nahm, ist vordergründig eine Klatsche für die erwähnten Medien und vor allem für die Schulbehörde und ihren Senator. Tatsächlich aber ist es ein großer Sieg für die Vorstellung der Schule als steriler, neutraler Ort, an dem eines auf keinem Fall passieren darf: Indoktrination.

Indoktrination meint: einseitige Sichtweisen außerhalb des Mainstreams. Seit dem Beutelsbacher Kompromiss von 1976, als man das Gebot der Kontroversität und das Verbot der Überwältigung festlegte, hat man Bibliotheken damit gefüllt, wie Unterricht Indoktrination (Überwältigung) vermeiden kann. Da das aber selbst eine ideologische Figur ist – Neutralität – die in dem Maße misslingt, wie die zugrundeliegende Fragestellung polarisiert, kann man nur feststellen, dass Indoktrination an den Schulen, in den verschiedenen Medien, im Elternhaus usw. permanent stattfindet und in einer pluralen Welt auch alles andere als ein Problem darstellen sollte.

Genau das hat auch an der Ida Ehre Schule stattgefunden, wie man der völlig einseitigen Auswahl der Sticker auch unschwer entnehmen kann. Lehrer, Eltern und Schüler sind mehrheitlich klar gegen die AfD oder ganz allgemein gegen „rechte Hetze“ positioniert. Um das hübscher zu machen, kann man von einem antifaschistischen Grundkonsens sprechen und wenn man in ganzen groben Strukturen denkt, kann man das gerade noch einmal durchgehen lassen.

So wird das aber nicht kommuniziert. Das würde ja den Gedanken der Neutralität, jedenfalls der Kontroversität widersprechen, also verlagert man das Ganze in den grundgesetzlich geschützten Bereich der Kunst. Hier gelten andere Regeln, denn Kunst ist per se nicht Ausgleich, sondern Polarisation. Schon gleich, wenn Kunst sich einmischen will.

So erhält man den Schonraum Schule. Hier soll das Richtige stattfinden. Kinder sollen indoktriniert werden, aber man will es ums Verrecken nicht so nennen, weil das Richtige und das Falsche ja nicht gleichzeitig stattfinden können. Der Fehler ist, dass das Einseitige und Parteiliche nicht mehr erkannt werden, weil man sich im eigenem kulturellem Mainstream befindet und die eigene Meinung bereits für den Korridor legitimer Meinungen hält.

Dadurch, dass man bereits die Meinungen, die Menschen aus der AfD vortragen für illegitim hält, braucht man für sich selbst eine starke Begründung, warum man darüber das eigene Ideal der Kontroversität aufgibt. Der Ausweg ist die Exkommunizierung dieser Meinung aus dem Reigen demokratischer Meinungsäußerungen und das funktioniert über die Formel: AfD = Faschismus = keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

Das einzige Verbrechen aber ist hier die Verblödung als Strategie. Statt sich mit gegnerischen Meinungen zu beschäftigen, sie zu analysieren und zu verstehen, um sie – so man will – effizient bekämpfen zu können, zieht man sich auf den Standpunkt zurück, mit dem Bösen kann man, wenn man mit ihm spricht nur verlieren. So verkommt der gute und richtige Gedanke des Antifaschismus ganz ungewollt zu einer Werbeveranstaltung für das zu Bekämpfende. Jedenfalls erzeugt man eine gewisse Faszination für etwas, dass nur noch durch Tabuisierung und Ausgrenzung, statt durch freie Debatte in Schach zu halten ist. Jedenfalls bei Schüler*innen, die sich in den quasi religiösen Konsens nicht einbinden lassen. Das wird dann wohl auch dazu geführt haben, dass Material aus der Ida Ehre Schule an das Meldeportal der AfD gelangen konnte. Wie überhaupt die ganze Attitude gegen die AfD als Kampf für das Gute an und für sich, dieses Portal natürlich mit Kredit ausstattet.

Zurück zum Ausgangspunkt. Nachdem sich die Schulbehörde erfolgreich von der AfD instrumentalisieren ließ, indem dieser die eigene Melodie des politischen Neutralitätsgebot vorgetragen wurde, begab sich zu fast gleicher Zeit, dass in der Helene Lange Schule in der Nachbarschaft am 27. März AfD-Fraktionschef Alexander Wolf zu Gast war. Dieser war dort im Rahmen eines EU-Projektages. Die Schulen hatten zuvor einen Bogen der Schulbehörde mit Themeninteressen ausgefüllt und konnten darüber auch sogenannte Experten – Beamte, Konsuln und vor allem Politiker – anfordern. Die Behörde hat dann nach eigenem Ermessen Themenwünsche und „Experten“ in Deckung gebracht und den Schulen entsprechende Personalvorschläge unterbreitet. Im Falle der Helene Lange Schule war das personalisiert AfD-Politiker Wolf. Zuerst das „Bündnis gegen Rechts“ hat daraufhin der Schulbehörde vorgeworfen, den Schülern den AfD-Mann als Experten vermittelt zu haben. Mittlerweile fordert deswegen die Linke in der Bürgerschaft sogar den Rücktritt von Schulsenator Thies Rabe.

Einmal abgesehen davon, dass die Behörde hier eine rein koordinierende Funktion wahrgenommen hat und die Schule selbst darüber entscheiden konnte, ob sie den Vorschlag akzeptiert, wird hier von der Schulbehörde nicht weniger gefordert, als gegenüber gewählten Parlamentariern als Zensurbehörde aufzutreten. Der Senator soll zurücktreten, weil die Behörde den Politiker Wolf nicht anders und besonders, sondern so wie alle anderen Politiker*innen im Rahmen der EU-Projektgruppe behandelt hat.
Das hätte sie nach Auffassung der Linkennicht tun sollen, weil die Schüler*innen des besonderen Schutzes bedürfen und die Schule ein Schonraum sei, indem man den Kindern und Jugendlichen die Konfrontation mit Originaltönen der AfD nicht aussetzen darf, jedenfalls nicht durch aktive Vermittlung der Behörde.

So schließt sich der Kreis. Antifaschismus, unter Einschluss der AfD als auszugrenzende Faschisten, wird im Zweifel ein Kunstprojekt, wenn man in die Defensive zu geraten droht und Kontroversität wird zur (vielleicht ungewollten) profaschistischen Aktivität der Behörde, weil dies der Schonraum Schule nicht verträgt.

Was wäre richtig gewesen? Die Aktivitäten an der Ida Ehre Schule entsprechen offenbar dem dortigen Mainstream. Dagegen ist nichts einzuwenden, sie könnten es allerdings vertragen, dass Alexander Wolf oder ein anderer AfD-Politiker einmal eingeladen würde, um das Feindbild im Original zu besichtigen. An anderen Schulen der Stadt gibt es vielleicht mehr JU oder gar AfD Sticker. Auch das geht in Ordnung, denn Schule ist Teil der Gesellschaft und Schonräume vor Gesellschaft gibt es nicht. Unsere Gesellschaft ist plural und diese Vielfalt ist ein Wert an sich. Und sie hat diesen Wert nur, wenn sie auch die verachtete Meinung akzeptiert und nicht willkürlich bestimmt, was die Grenzen des Zulässigen sind.

Klar gibt es auch Grenzen. Mit echten Nazis muss man zurzeit glücklicherweise nicht die argumentative Klinge kreuzen, weil sie in Hamburg keine Rolle spielen. Mit der politischen Meinung der AfD muss man sich auseinandersetzen und muss versuchen sie zu verstehen. Was wollen sie, welche Gemeinsamkeiten mit anderen politischen Strömungen, Organisationen und Parteien haben sie und wo liegen die Differenzen?

Wer glaubt, die Kenntnis des Programms einer nationaltrotteligen Partei wäre Werbung für diese, der sollte vielleicht darüber nachdenken in sie einzutreten. Bei allen anderen müsste es nachgerade ein Interesse geben, dass ihr Angebot gekannt wird. Zugespitzt könnte man auch sagen, wer behindert, dass die AfD sich darstellen kann, hintertreibt die Aufklärung über sie, weil deren geistige Schonkost durch nichts besser dargestellt werden kann, als durch Geistesgrößen der AfD selbst.

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