SPD - Ihr Problem: eindimensionale Vernunft!

Parteitag Liebe SPD, Weihnachten und Nikolaus stehen vor der Tür und für euch ein Parteitag, der historisch werden wird. So oder so.

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Rezepte, wie der Erfolg zu organisieren wäre, gibt es, aber derer viele und alle haben ähnliche viele Stärken, wie Schwächen.

Niemand weiß wirklich, bzw. niemand ist sicher sicher, dass der Weg der SPD jetzt zwingend so und so gehen muss. Fest steht nur, dass sich diese Partei über das Votum der Mitglieder eine Führung gewählt hat, deren stärkste Aussage im Nein zu Scholz liegt. Vielleicht auch, dass man sich eine Wendung nach links wünscht. Aber links von Scholz ist auch nicht zwingend besonders links und was links ist, ist im Übrigen auch völlig unklar, außer natürlich, dass es Olaf Scholz nicht ist.

Während die einen meinen, links sei, wenn man die Interessen derjenigen vertritt, die sich nicht aussuchen können, ob die Arbeit und eigene Idee von Selbstverwirklichung in weitestgehender Übereinstimmung sind, vertreten andere die Meinung, dass sich das Links daran entscheidet, wie selbstlos man für Interessen anderer eintritt. Ganz weit vorn ist die Idee einer Welt ohne Grenzen, mindestens aber der Anerkennung von Armut als Asylgrund.

Ob sich das so einfach abgrenzen lässt, was die unterschiedlichen Auffassungen von links eigentlich sind, kann dahingestellt bleiben. Richtig bleibt, dass die Frage der Klärung harrt. Klar ist auch, dass der Parteitag dies nicht klären wird.

Fetisch Staatsverschuldung

Man wird sich mit ihr noch nicht einmal beschäftigen, sondern mit Fetischfragen. Ein solcher Fetisch ist zum Beispiel die „schwarze Null“. Sie besagt, dass die konsumtiven und investiven Ausgaben eines Haushaltes durch die laufenden Einnahmen gedeckt sein müssen. Olaf Scholz verteidigt diese und man könnte sagen, die schwarze Null ist ihm zu zweiten Identität geworden. Die Kritiker:innen argumentieren mit Investitionsstau und sich abschwächender Konjunktur. Die Befürworter eines ausgeglichenen Haushaltes wollen künftigen Generationen nicht die Kosten heutige Ausgabeentscheidungen aufbürden und diejenigen, die kreditbasiert investieren wollen, argumentieren mit zu geringen Ausgaben bei öffentlicher Infrastruktur und Funktionalbauten.

Dabei wird es den Anbeter:innen der schwarzen Null sehr einfach gemacht. Konjunktur und die Feststellung ihrer Abschwächung, ist eine Betrachtung über die gesamte Wirtschaftstätigkeit hinweg. Im Bauhauptgewerbe liegt der Indexwert gemittelt bei den Auftragseingängen (2015: 100) bei 125 (Statistisches Bundesamt, 2019).

Im August 2019 lagen die Auftragseingänge im Bauhauptgewerbe in Betrieben von Unternehmen mit 20 und mehr tätigen Personen nominal (nicht preisbereinigt) mit rund 6,6 Mrd. Euro 2,1% höher als im August 2018. Einen höheren Auftragseingang in einem August hatte es zuletzt vor 24 Jahren gegeben (1995: 6,7 Mrd. Euro). Damit bleibt das Auftragseingangsvolumen seit Dezember 2018 auf Rekordniveau. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stiegen die Auftragseingänge in den ersten acht Monaten 2019 nominal um 9,7% (baulinks.de).

Einzig in Berlin gibt es Befürchtungen, dass der dortige Mietendeckel die Baukonjunktur abschwächen könnte.

Kein Wunder also, dass man gegen Bausonderprogramme auf dem Gipfel der Baukonjunktur leicht argumentieren kann. Die Begründung - Eintrübung der Konjunktur trägt nicht - denn die deutsche Wirtschaft leidet nicht unter binnenkonjunktureller, sondern unter nachlassender Gangart der Weltwirtschaft.Erstmals seit der globalen Finanzmarktkrise erwarteten die Unternehmen in Deutschland mehrheitlich einen Rückgang der Exporte. Wollte man also mit staatlichen Intervention konjunkturell sinnvoll beleben, so müssten die Hersteller von Vorleistungsgütern – wie die Chemieindustrie oder der Maschinenbau gestützt werden, um den Nachfrageausfall durch Exportveringerung auszugleichen.

Wer jetzt darauf orientiert, die Nachfrage beim Bauhauptgewerbe anzukurbeln, sorgt dafür dass die Preise noch mehr steigen, ohne damit Wachstumsimpulse zu setzten. Die Abarbeitung der Aufträge wird noch zäher und das fürs Bauen bereitgestellte Geld kann gar nicht ausgegeben werden.

Etwas anderes wäre es, wenn man dafür einträte, die Verschuldung tendenziell bis zur maximalen Grenze des Möglichen zu treiben, um hierüber Geld für Bund, Länder und Kommunen bereitzustellen, um grundsätzlich bei jedem Verkauf von Häusern mit mehr als vier Wohnungen und jedem Grundstück , das zur Bebauung mit Wohnungen geeignet ist das Vorkaufsrecht auszuüben, sofern vorhanden und hierüber Wohnungen der Spekulation zu entziehen und zugleich die Mietenhöhe hierüber zu stabilisieren. Kombinieren müsste man das mit einer gesetzlichen Bestimmung analog der Regelung in § 66 Bundesnaturschutzgesetz, das Ländern und Kommunen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt ein generelles Vorkaufsrecht einräumt.

So ein Projekt gibt es aber nicht, sondern nur die Idee, dass der Staat in Zeiten sich abschwächender Konjunktur, die sich reduzierende Nachfrage durch investive Tätigkeit tendenziell ausgleicht und diese Investitionen, durch Kredit und damit einhergehender Geldmengenerhöhung finanziert. Der ggf. richtige Gedanke wird zur Ideologie, wenn die materiellen Voraussetzungen nicht vorliegen, die ihn zwingend machen könnten. Richtig bleibt allerdings, dass dieser Einwand auch umgekehrt gilt. Die schwarze Null ist genau sowenig ein Wert an sich.

Revisionsklausel oder: rin oder rut ut de Kartoffeln?

Die Idee, man müsse jetzt den Koalitionsvertrag noch einmal aufschnüren, indem kritische Nachschau gehalten und in Verhandlungen mit der Union um mehr sozialdemokratisches Profil des Regierungshandelns gerungen wird, folgt einer Idee, deren Voraussetzung nicht gegeben ist. 1. hat die SPD als kleiner Teil des Bündnis schon mehr durchgesetzt, als zu erwarten war. 2. siehe oben, weiß man gar nicht so genau, welches sozialdemokratische Profil geschärft werden soll und3. würden ein oder zwei Punkte mehr im Koalitionsvertrag - durch die SPD untergebracht - ihr Problem nicht lösen, dass ihr die Wähler:innen nicht trauen und die Stimmabgabe für die SPD verweigern.

Es gilt weiter, was Olaf Scholz auf dem Parteitag 2018 in Bonn nach den Sondierungen sagte: „Wir haben nicht genug nicht erreicht, um nicht in Koalitionsverhandlungen zu gehen“. Diese Voraussetzungen gelten auch, wenn man sie auf die Frage rausgehen oder weitermachen anwendet.

Martin Schulz hat damals in Bonn ausgeführt: „dass wir uns alle verpflichtet fühlen, mit dem Erneuerungsprozess unserer SPD weiterzumachen. Ich bin fest davon überzeugt, dass es keine Rolle spielt, ob wir in der Regierung sind oder ob wir in Neuwahlen gehen. Das spielt keine Rolle für den Punkt, ob wir uns erneuern. Ob wir uns erneuern, liegt ausschließlich an uns selber“.

Das stimmt und ist gleichzeitig falsch. Theoretisch ist es richtig, weil die SPD so handeln könnte, falsch ist es, weil sie so nicht handeln kann.

Der simple Grund liegt im Umstand begründet, dass fast die gesamte Parteielite konstruktiv in Regierungshandeln eingebunden sind, das mehr sozialdemokratisch geprägt ist, als es 20,5 Prozent der Zweitstimmen erwarten ließen. Der Teil der SPD, der in tendenzieller Opposition zur „Groko“ steht, ist dabei hauptsächlich auf die aus seiner Sicht Defizite des Regierungshandeln konzentriert. Zusammen ergibt das eine unproduktive Form der Selbstbespiegelung und tendenzieller Lähmung bei der Neuausrichtung der Partei. Sie verharrt teils in Duldungsstarre gegenüber dem „regierenden“ Teil, mit kräftigen und negativen Kommentierungen vom Spielfeldrand. Erneuern tut sie sich nicht. Stattdessen start die SPD gemeinsam auf die Koalition, wie das Kaninchen auf die Schlange.

"Opposition ist Mist“

Auch hier haben wir es wiederum mit Fetischisierung zu tun. 2004 Franz Müntefering auf dem Berliner Parteitag: "Wir wollen regieren." Geblieben das Bonmot:"Opposition ist Mist." Diese eindimensionale Vernunft von Vereinen, die massgeblich durch ihre parlamentarische Existenz geprägt, wie es Parteien nun einmal sind, macht das Übergewicht der Berufspolitik in Parteien deutlich und reduziert diese auf vermeintlich reine Vernunft.

Übersehen wird dabei, dass Parteien aber - selbst die kleinen - auf dem Idealismus von Mitgliedern beruhen, die sich für ihre Interessen und das Funktionieren der Gesellschaft, die sie selbst erleben, einsetzen, ohne selbst Parlamentarier werden zu wollen. Diese machen täglich die Erfahrungen, in denen sich die abstrakten 20,5 Prozent mit einer starken Tendenz nach unten dann konkret abbilden, während die Funktionäre wie Olaf Scholz oder Wolfgang Schmidt das Gegenteil erfahren. Überproportionale Gestaltungsmacht.

Im Ergebnis haben wir Sprachlosigkeit, obwohl ja sehr viel gesprochen, aber eben nicht kommuniziert wird. Sprechen tun meist die Funktionäre, die das auch viel besser können und denen es primär wichtig ist den Erfolg herauszuarbeiten. Dagegen läßt sich von der Basis her sehr wenig einwenden. Es bleibt ein schale Gefühl, auch weil der Transfer vom SPD Mitglied zu seiner Basis mißlingt. Hier dringt es nicht mehr durch und die offen zur Schau getragene Mitgliedschaft in der SPD wird zur echten Bewährungsprobe für Bekennermut zu einer unpopulären Partei.

Kein Wunder, dass Kevin Kühnert so zu einer der beliebtesten Jusos werden konnte, den die SPD jemals hatte. Sein Erfolgsrezept besteht einerseits in der dialektischen Umkehr des münteferingschen Mottos und andererseits in einer großen Portion Funktionärslogik. Einerseits operiert Kühnert mit „Groko-Aus zum Nikolaus“ und andererseits, wenn die Gefahr der Durchsetzung zu groß geworden ist, kann er auch genau davor warnen.

Quo vadis?

Die SPD ist insgesamt in einer schwierigen Situation. Diese ist durchaus vergleichbar mit der Anfang der 2000er Jahre, als „dritter Weg“ und „neue Mitte“ die SPD erst zu neuen Höhen und recht schnell in die Talsole knapp zweistelliger Wahlergebnis führte. Auch damals gab es es einen gefühlt starken Druck für die Reform des Sozialsystems. Insbesondere eigene Anhänger:innen wollten nicht länger jeden Tag „Deutschlands faulsten Arbeitslosen“ vorgeführt bekommen und der Modernisierung der Wirtschaft wollte man sich auch nicht länger verweigern. Stichwort: Deregulierung der Finanzmärkte.

Damals hat man sich falsch entschieden. Auch wenn Olaf Scholz dazu neigt es abzustreiten, auf dem World Economic Forum in Davos am 28. Januar 2005, hat sich Gerhard Schröder in aller Offenheit geäußert und die Liberalisierung des Arbeitsmarktes ebenso gepriesen, wie sein Ergebnis: „Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben bei der Unterstützungszahlung Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt“.

Das war damals die eindimensionale Vernunft, der insbesondere Olaf Scholz als Generalsekretär zum Triumph verhalf. Die Logik: egal wie, wir müssen die Arbeitslosigkeit reduzieren und wenn wir dann über massive Senkung der Lohnsummen mehr Beschäftigung haben, dann können wir das unseren Erfolg nennen. Denn Arbeit ist immer besser, als keine Arbeit. Die Motive werden also teilweise sehr edle gewesen sein, auch wenn man das bei Schröder wohl nicht überwiegend unterstellen kann, aber das Ergebnis ist eine Katastrophe.

Durch die Idee: Arbeit auf jeden Fall und die Etablierung eines menschenunwürdigen Sanktionsapparates, sollten eigentlich primär die Langzeitarbeitslosen zum Arbeiten geprügelt und darüber die erheblichen Aufwendung für Arbeitsmarktpolitik abgesenkt werden. Deswegen behauptete Schröder in Davos auch: „Wir haben die Veränderung der sozialen Sicherungssysteme auch gemacht, um Ressourcen frei zu bekommen für die großen gesellschaftlichen Investitionen“.Vergessen wurde bei all dem, dass Systeme wie Hartz IV nicht zielgruppengenau funktionieren.

Diejenigen, die unter dieses Hartz-IV-Regime gezwungen wurden und litten, waren ja nicht die damals in vormittäglichen Talkshows vorgeführten Arbeitslosen, die bekundeten, dass sie es knorke fänden, morgens lange schlafen zu können. Stattdessen erfasste der repressive Horror dieses Systems Millionen Menschen mit Verwandten und Bekannten, die Opfer von Rationalisierungen, Berufskrankheiten usw, waren. Schon bald änderte sich die Haltung innerhalb der Anhängerschaft der SPD und Angst machte sich breit, auch einmal in Hartz IV zu landen und trotz jahrzehntelanger Lohnarbeit in die Sozialhilfe durchgereicht zu werden. Als die SPD dann 2008 den Sozialstaat neu entdeckte, allerdings für Banken, die mit bis dahin unvorstellbaren Beträgen gerettet wurden, weil systemisch relevant und „too big to fail“, war für viele Anhänger:innen das Mass voll.

Unmengen sozialdemokratischer Anhänger:innen verließen die Partei, oder gingen als bislang treue Wähler:innen in die innere Emigration.

Dieser Bruch ist der Kern der Probleme, die die SPD heute hat. Sie kann soviel Sozialpolitik betreiben wie sie will, in Koalitionen überproportional viel durchsetzen, wenn sie die Agenda 2010/„Neue Mitte“ nicht radikal aufarbeitet und sich am Ende für diesen Schritt entschuldigt, den auch heute noch viele SPDler nur eindimensional begreifen wollen und dabei beklagen, dass es die SPD nicht schafft mit ihren Erfolgen offensiv umzugehen, dann wird die Kommunikation mit denjenigen misslingen, die einst den Kern der Wähler:innen der SPD ausmachten.

Nur nebenbei sei erwähnt, dass das Jobwunder, was mit Hartz-VI tatsächlich erreicht wurde, nichts anderes war, als kommende Generationen mit Altersarmut ungeheuren Ausmaßes zu konfrontieren. Denn die neuen Jobs wurden durch Umverteilung von Arbeitsstunden generiert. 28,8 Prozent aller abhängig Beschäftigten sind in Teilzeitjobs tätig. Im Jahr 2018 befanden sich fast 11 Mio. abhängig Erwerbstätige in einem solchen Beschäftigungsverhältnis. Bei knapp 80 % davon handelt es sich um Frauen. Übrigens: „Zwischen 1995 und 2015 sanken die Reallöhne des untersten Einkommenszehntels jedes Jahr im Schnitt um 0,6 Prozent“ (Der Spiegel 31/2017).

Garantien gibt es nicht

Es gibt kein garantiertes Erfolgsrezept, mit dem die Konsolidierung der SPD auf dem jetzigen Niveau gelingen könnte. Die Aufgabe ist gewaltig und man kann der SPD nur viel Glück beim Sortieren wünschen. Erneuerung jedenfalls wird nur gelingen, wenn man sich um gemeinsame Sprache bemüht, damit Kommunikation gelingen kann.Selbst dann wird es verdammt schwierig. „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ Bei Funktionären ebenso, wie bei der Basis. Letztere hat mit ihrem deutlichenSignal für: nicht so weiterzumachen, wie bisher, deutlich gemacht, dass sich Grundlegendes verändern muss. Was, hat sie nicht gesagt.

Abstrakt kann man von außen nur sagen, dass eine Partei, die im Kern stabil ist, fast jede Art von Kompromiss eingehen kann, weil der Abstand zum Optimum aus parteiischer Sicht, keine Zweifel am Standpunkt eröffnen, sondern nur die Idee befördert, dass man an Stärke gewinnen muss. Wenn aber keine innere Stärke und relative Geschlossenheit vorhanden ist, säet jeder Kompromiss Zweifel an der Prinzipientreue und Realpolitik wird zum tendenziellen Verrat, üble Motive werden unterstellt usw. usf.

Die Realpolitik dann mit ihrer inhärenten Logik zu begründen, befeuert genau diese Gedanken, weil dieser Ansatz eindimensional ist und unterstellt, dass sich die Partei selbst in einem funktionierenden Zustand befindet.

Deswegen muss die SPD jetzt zum Reparaturbetrieb ihrer selbst werden. Der Kapitalismus am Krankenbett der SPD, würde dieser keine Träne nachweinen.

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