Sternstunde des Bundestages

Sahra Wagenknecht Ich erinnere mich nicht, schon einmal in meinem Leben eine Rede eines Mitglieds des deutschen Bundestages gehört zu haben, die mich beschwingter in den Tag gehen ließ.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Nun ist es passiert.

Es war die gut halbstündige Rede von Sahra Wagenknecht, mit der diese am 26. November dieses Jahres die Haushaltsdebatte eröffnete und die recht bald bei Norbert Barthle und Günther Krichbaum von der Union den Wunsch auslöste, sie, Sahra Wagenknecht, die vor Kurzem in Ökonomie promoviert worden war, möge doch lieber schweigen und den launigen Gysi reden lassen.

Der Wunsch wurde nicht erhört und so kam es zu einer dieser seltenen Sternstunden des Parlamentes, in der die ganze Nackt- und Erbärmlichkeit der Bundesregierung, zugleich pars pro toto für die meisten anderen Regierungen in Europa, ans helle Licht der Öffentlichkeit gezogen wurde.

In einer bis zur Perfektion entwickelten immanenten Kritik, gelang es der jungen Sahra Wagenknecht, die Bundeskanzlerin im doppelten Wortsinn alt aussehen zu lassen.

Mit Alexander Rüstow und Ludwig Erhard. Der eine Erfinder des Neoliberalismus – allerdings als linke Variante zum Laissez-faire Liberalismus – der andere, einer der Erfinder der sozialen Marktwirtschaft, Wirtschaftsminister unter Adenauer und später selber Bundeskanzler und zahlreichen lebenden Ökonomen hatte Wagenknecht eine Heerschar fundierter Theoretiker des Kapitalismus in ihre Rede eingeladen, die aktuelle Politik der Bundesregierung als die Kapitulation der Politik vor den „Raubtier der organisierten Unternehmerinteressen“(Alexander Rüstow) vorzuführen.

In der Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie erwähnt Marx: „..man muß diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, daß (sic) man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt“(MEW 1, 381). Das mach Wagenknecht auch, indem sie Zbigniew Brzezinski, einen der Vordenker der amerikanischen Außenpolitik, zitiert: „Das Buch aus dem Jahr 1997 trägt den schönen Titel Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft. In Bezug auf Europa plädiert Brzezinski darin für eine konsequente NATO-Osterweiterung zunächst nach Mitteleuropa, dann nach Süden und über die baltischen Republiken bis zur Ukraine, und zwar weil, wie der Autor schlüssig begründet – ich zitiere – „mit jeder Ausdehnung … automatisch auch die direkte Einflusssphäre der Vereinigten Staaten erweitert“ wird.

Auch hier gelingt es Wagenknecht mühelos, das Vasallentum der Bundesregierung zu denunzieren, indem sie diese mit den Aussagen ihrer Freunde konfrontiert. Überhaupt hat Wagenknecht in ihrer Rede auf jede über den Kapitalismus hinausgehende Perspektive verzichtet und sich ausschließlich auf die Askese in der Nutzung vorhandener Gestaltungsräume konzentriert.

Das dabei die Kritik an der SPD schärfer ausgefallen ist, liegt ausschließlich an der von dieser behaupteten Rolle, Vertreterin des „kleinen Mannes“ zu sein. Dabei hat die Kritikerin deutlich gemacht, dass es ihr sehr viel lieber wäre, die SPD loben zu können, allein diese liefere hierfür so gut wie keine Anlässe.

Man mag diese Technik kritisieren, weil sie sich darauf reduziert, die inneren Widersprüche zum Tanzen zu bringen, den Verzicht von Politik auf Politik und die Willfährigkeit der so auf Verwaltung reduzierten Politikdarsteller vorzuführen und damit vordergründig zur Vertreterin des besseren Kapitalismus wird, aber wem diente eine solche Kritik?

Mit ihrer Rede jedenfalls hat Wagenknecht das gemacht, was Opposition auszeichnen sollte: Alternativen zum herrschenden Regierungshandeln aufzuzeichnen. Sie hat den religiösen Charakter der „schwarzen Null“ herausgearbeitet und die faktischen Folgen, einer Umverteilungspolitik von den relativ armen Menschen zu den Superreichen anschaulich gemacht.

In ihrer kurzweiligen Rede vermittelt sie in einer halben Stunde mehr Wissen über diese Gesellschaft und ihre Ökonomie, als es die veröffentliche Meinung und die etablierten Darsteller des Politikbetriebes in einer ganzen Legislaturperiode könnten. Einmal abgesehen davon, dass diese selbst das Objekt der Darlegungen der Sahra Wagenknecht abgeben.

Ich empfehle unbedingt die Lektüre unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18069.pdf

und wer lieber schaut und hört, kommt hier auf ihre/seine Kosten: http://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/2014.frau-merkel-ihre-schuldenbremse-heisst-sozialabbau-unsere-millionaerssteuer.html

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden