Vermeidbare Tote?

Die Flut Wissenschaftliche Erkenntnis und administratives Handeln leben bisweilen auf verschiedenen Planeten. Das müsste so nicht sein.

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Wenn sich Hannah Cloke zur Hochwasser-Katastrophe in Deutschland und Belgien äußert, dann hört man besser zu. Seit 2012 ist sie Professorin für Hydrologie und berät Länder und Politiker zum Thema Flutwarnung und Überschwemmung und war am Aufbau des Europäischen Flutwarnsystems EFAS beteilig. Von dort - so Cloke - habe es am 10. Juli Warnungen an die deutsche und belgische Regierung gegeben. Natürlich gingen die Warnungen auch an den Deutsche Wetterdienst (DWD), der aber die Verantwortung für mangelnde Risikovorsorge verständlicher Weise nicht bei sich sieht.

In der The Sunday Times vom 18. Juli („Germany knew the floods were coming, but the warnings didn’t work“, von Oliver Moody) sprach Cloke von monumentalem Versagen. Die ersten Anzeichen einer sich anbahnenden Katastrophe „wurden vor neun Tagen von einem Satelliten entdeckt, der 800 Kilometer über den beschaulichen Hügeln rund um den Rhein kreiste“, schreibt die Zeitung und fährt fort: „In den nächsten Tagen schickte ein Team von Wissenschaftlern den deutschen Behörden eine Reihe von Vorhersagen, die jetzt wie eine makabre Prophezeiung klingen: Dem Rheinland drohten extreme Überschwemmungen, insbesondere entlang der Flüsse Erft und Ahr, und in Städten wie Hagen und Altena“. Es wurden detaillierte Karten verschickt, auf denen zu erkennen war, wo das Hochwasser am heftigsten auftreten würde. Cloke begreift nicht, wieso man ein Europäisches Flutwarnsystem unterhält, das in der Lage ist mit mächtigen Computersimulationen sehr präzise Vorhersagen zu treffen, wenn dann am Ende der Warnkette keine adäquate Maßnahmen erfolgen. „Die Tatsache, dass Menschen nicht evakuiert wurden oder die Warnungen nicht erhalten haben, legt nahe, dass etwas schiefgegangen ist.“

Während der Deutsche Wetterdienst (DWD vor Regenmengen von bis zu 200 Litern pro Quadratmeter gewarnt hatte, hat das bei den Rezipienten des Wetterberichts offenbar nicht zur Überlegung geführt, was dies beim Eintreffen der Vorhersage vor Ort bedeuten kann. Auch bei den für den Katastrophenschutz zuständigen Landkreisen, kreisfreien Städten und Gemeinden haben offenbar die Alarmglocken erst geläutet, als aus Bächen und Flüsschen reißende Ströme geworden waren.

Föderalismusproblem

Nach allem, was man zurzeit aus öffentlich zugänglichen Quellen weiß, scheint es ein massives Föderalismusproblem zu geben, dass verhindert, dass die mittlerweile frühzeitig vorhandenen Information ihren Bestimmungsort so erreichen, dass angemessen vor Ort gehandelt werden kann.

Als im Oktober 2003 der damalige europäische Forschungskommissar, Philippe Busquin, Dresden besuchte, das immer noch unter den Nachwirkungen seiner schwersten Hochwasserkatastrophe (August 2002) litt, wurde dargelegt, dass die EU (EG) in den letzten 10 Jahren ca. 50 Forschungsprojekte finanziert hatte, die für Europa Überschwemmungsrisiko, Kartierung von Hochwassergefahren, Hochwasservorhersagen und notwendige Veränderungen der Flächennutzung zum Gegenstand hatten und man dafür 58 Mio. EUR bereitgestellt hatte. Nun sei die Kommission dabei ein europäisches Flutwarnsystem (EFAS) zu entwickeln (Presserklärung der Europäischen Kommission vom 13.10.2003).

Aus wissenschaftlichen Untersuchungen geht hervor, dass große Überschwemmungen häufiger und ernster werden und dass wir immer mehr mit schwer wiegenden Phänomenen wie dem letztjährigen Hochwasser in Mitteleuropa und der Dürre in diesem Sommer rechnen müssen“ erklärte der Kommissar Busquin. „Solche extremen Ereignisse wirken sich zwangsläufig auf die Wirtschaft und das Leben der Bürger Europas aus. Wir müssen - auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene - gemeinsam handeln, um künftige Hochwasserschäden zu verhüten und zu mildern. Wir müssen lernen, mit dem Hochwasser zu leben, und mehr vorbeugend denken und handeln, um die Auswirkungen künftiger Überschwemmungen zu begrenzen. Die Forschung muss verstärkt werden, um den Hochwasserschutz und die frühzeitige Hochwasservorhersage zu verbessern“ (ebenda).

Offenbar ist das auf europäischer Ebene gut gelungen, aber die Struktur der Bundesrepublik ist offenbar nicht soweit ertüchtigt, dass es gelingt, Warnungen ohne Verzögerung dort wirksam werden zu lassen, wo unmittelbarer Handlungszwang besteht.

Auf der Seite des Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat heißt es zum Thema „Besserer Schutz vor Hochwassern in Deutschland“ unter der Überschrift: „Auf Bestehendem aufbauen“:

Von Seiten der Landes- und Kommunalplanung sowie der Wasserwirtschaft ist der Hochwasserschutz in den letzten Jahren schon deutlich verbessert worden. Der Bundesraumordnungsplan soll nun bestehende Regelungen mit neueren Anforderungen effizient verzahnen. Er ist auf die Regelungen der Wasserwirtschaft und der Raumordnung der Länder zum Hochwasserschutz abgestimmt und ergänzt und optimiert sie. Dabei bleiben die Rechte der Wasserwirtschaft und die Planungshoheit der Länder und Kommunen bewahrt.“

Genau diese „Planungshoheit der Länder und Kommunen“ ist aber offenbar in Zeiten, in denen sich der Klimawandel auch dadurch zeigt, dass Extremwetterereignisse zunehmen und Menschenleben durch das Wetter gefährdet sind, nicht geeignet, adäquat reagieren zu können. Deswegen muss über die Grenzen des Föderalismus geredet werden, denn die Wetterextreme werden nicht ab- sondern zunehmen.

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