Arbeit finden trotz Behinderung

Arbeitsmarktintegration Für Geflüchtete mit körperlichen Beeinträchtigungen sind unzureichend Bildungs- und Unterstützungsangebote verfügbar

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Geflüchtete mit körperlicher Behinderung haben mitunter nicht einmal die Chance, sich auf Stellen zu bewerben. Die Bildungs- und Unterstützungsangebote fehlen (Symbolbild)
Geflüchtete mit körperlicher Behinderung haben mitunter nicht einmal die Chance, sich auf Stellen zu bewerben. Die Bildungs- und Unterstützungsangebote fehlen (Symbolbild)

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Für Geflüchtete mit chronischen Krankheiten und anderen körperlichen Einschränkungen stehen teilweise nur unzureichende Bildungs- und Unterstützungsangebote zur Verfügung. In der Folge fällt es ihnen teilweise schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. „Ich habe hier in Deutschland noch nie gearbeitet, das ist mein großes Problem“, berichtet ein Geflüchteter im Interview. Ursache sei seine Epilepsie. Sein Freund, der ebenfalls als Geflüchteter nach Deutschland gekommen ist, ergänzt: „Wir beide sind gleichzeitig nach Deutschland gekommen. Ich bin fertig mit der Ausbildung. Er hat gar nicht anfangen können, wegen seiner Krankheit.“[1]

Ein Problem seien etwa Sprachkurse für Sehbehinderte, erzählt der Mitarbeiter einer sächsischen Beratungsstelle: „Heute war bei mir ein Herr aus Libyen mit einer Sehbehinderung in der Beratung. In Sachsen gibt es nur ein Sprachkursträger, der Sprachkurse für Sehbehinderte anbietet und der ist in Chemnitz.“[2] Die von diesem Sprachkursträger angeboten Integrationskurse stehen jedoch nur für Geflüchtete aus Ländern mit einer so genannten „guten Bleibeperspektive“[3] zur Verfügung – gegenwärtig sind dies laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nur Eritrea und Syrien. Der Geflüchtete ist dadurch nur berechtigt, an durch das Land Sachsen finanzierten zusätzlichen Sprachkursangeboten teilzunehmen, die jedoch nicht für Sehbehinderte ausgelegt sind. „Wie dieser Fall ausgehen wird“, berichtet der Mitarbeiter weiter, „das muss man mal sehen. Wir werden natürlich versuchen, in seinem individuellen Fall dafür zu kämpfen, dass er für den Integrationskurs in Chemnitz einen Berechtigungsschein bekommt. Aber dafür müssen wir uns mit dem BAMF auseinandersetzen. Wir müssen quasi eine individuell gute Bleibeperspektive belegen in seinem Fall.“ Geflüchtete mit eingeschränkter Seh- oder Hörfähigkeit, bestätigt eine Beraterin aus Hessen diese negative Erfahrung, „fallen bei den Sprachkursen komplett hintenrunter. Es gibt Sprachbehinderte, ein schwerhöriger junger Mann ist mir bekannt. Für die gibt es nichts.“

Jobcenter und Arbeitsagentur seien im Alltag nicht in der Lage, den besonderen Beratungsbedarf von Geflüchteten mit Behinderung adäquat zu berücksichtigen, so ein Ehrenamtlicher aus Baden-Württemberg. Er betreue einen Geflüchteten, der aufgrund einer Augenkrankheit nur zwanzig Prozent Sehfähigkeit habe und zudem Rückenprobleme. „Das sind Sachen, bei denen man nicht pauschal sagen kann: ‚Da hast du zehn Adressen. Bewirb dich dort und geh mal hin und dann bist du schon irgendwann in Arbeit“, stellt er fest. „So macht es das Jobcenter, die drucken das aus und dann müssen die Geflüchteten, damit ihnen nicht die Bezüge gestrichen werden, das von der Firma unterschreiben lassen, wo sie sich vorgestellt haben. Da kommt nichts bei rum“, ergänzt er.

Fehlender barrierefreier Wohnraum sei ein weiteres Problem, meint ein Ehrenamtlicher aus Sachsen. Er begleite eine Familie, „da wohnen die Mutter und zwei Kinder – die Tochter ist schon 18, der Sohn ist 14 – schon seit eineinhalb Jahren zu dritt in einem Zimmer hier in der Stadt. Und der Mann wohnt in einer hundert Kilometer entfernten Kleinstadt. Sie haben einen schwerbehinderten Sohn und die Mutter ist zunehmend runter mit den Nerven.“ Die Familie habe versucht, den Vater zum Rest der Familie in die Stadt zu holen. Das sei daran gescheitert, dass die keine barrierefreie Unterkunft gefunden hätten. „Die Familie war irgendwann schon so weit zu sagen: ‚Es ist uns egal, ob sie barrierefrei ist. Es gibt hier Plattenbauwohnungen, die sind halt nicht rollstuhlgeeignet, aber die haben einen Aufzug.‘ Sie haben gesagt: ‚Der kann auch mit Hilfe ein paar Schritte laufen.‘ Aber das Sozialamt lehnt ab: ‚Das geht nicht‘. Sie würden es gerne machen, aber die Vorschrift ist, dass sie es nicht verantworten können, dass eine Familie mit jemandem, der eine barrierefreie Wohnung braucht, in eine zieht, die nicht barrierefrei ist. Selbst wenn die Familie selbst sagt: ‚Das ist kein Problem.‘“, berichtet er. Die Mitarbeiter seien „gefangen in diesen Sachen. Die kriegen halt von oben ihre Anweisungen. Und die wissen natürlich auch, woher politisch der Wind weht.“

Notwendig sei ein generelles Umdenken in der Gesellschaft, meint ein anderer Ehrenamtlicher aus Baden-Württemberg. Es sei „insgesamt ein Problem in der Bundesrepublik, dass wir nicht begreifen, dass es Leute gibt, die einfach ein Handicap haben.“ Statt diese in ihrer beruflichen Ausbildung besonders zu fördern, werde „einfach verlangt: Passt euch innerhalb von ein bis zwei Jahren an unser Hochleistungssystem an. Und das gibt dann entsprechenden Frust, auf allen Seiten. Aber wie gesagt: Das ist nur am Rande ein Flüchtlingsproblem.“ Wenn die Rahmenbedingungen stimmten, sei durchaus eine Integration in den Arbeitsmarkt trotz Behinderung möglich, betont eine Ehrenamtliche aus Niedersachsen. Sie berichtet vom Fall eines Geflüchteten, den sie begleitet hat: „Er kann seinen linken Arm seit Geburt nicht benutzen und hat einen Grad der Behinderung von 80. Alle handwerklichen Berufe fielen dadurch für eine Ausbildung weg. Er hat sich jetzt in einem Autohaus beworben und hat es geschafft, einen Platz für eine Einstiegsqualifizierung zu bekommen und beginnt im nächsten Jahr eine Ausbildung. Nach vier Wochen haben die dann irgendwann mitbekommen, dass er einen Grad der Behinderung von 80 hat. Das war schon irgendwie klasse.“

[1] Ausschnitte aus diesen Interviews, die von Anne Frisius geführt wurden, sind in ihrem Dokumentarfilm „‘Der Staat schafft ein Prekaritätsproblem‘. Restriktive Asylpolitik erschwert die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten“ dokumentiert, der kostenlos online verfügbar ist.

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[2] Die Zitate sind Interviews entnommen, die im Rahmen des durch das BMBF geförderten Forschungsprojekts „Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland“ (www.welcome-democracy.de, Laufzeit: 10/2017-09/2020) geführt wurden. Sie wurden sprachlich geglättet.

[3] Mit dem Asylpaket I wurde im Jahr 2015 bezüglich der Teilnahme an Integrationskursen festgelegt, dass nur Asylbewerber auf einen freien Platz im Integrationskurs nachrücken können, bei denen ein ‚rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist‘. Seit dem 1. August 2019 gelten nur noch Asylsuchende aus Syrien und Eritrea als entsprechende Personen mit ‚guter Bleibeperspektive‘. Pro Asyl kritisiert diese Regelung: „Eine Einordnung, die der Realität und Bedürfnissen der Betroffenen widerspricht. Wertvolle Zeit zur Integration geht verloren.“ Mit dem 'Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz' wurden die Kurse u.a. für diejenigen geöffnet, die vor dem 1. August 2019 eingereist sind, sich seit mindestens drei Monaten gestattet im Bundesgebiet aufhalten und die entweder Arbeit suchen oder schon eine Beschäftigung oder Ausbildung haben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Doreen Bormann / Nikolai Huke

Wir forschen im durch das BMBF geförderten Projekt "Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland" zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten.

Doreen Bormann / Nikolai Huke

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