„Es betrifft immer alle“

Arbeitsmarktintegration Abschiebungen sind nicht nur für die Betroffenen psychisch extrem belastend, sie verunsichern auch andere Geflüchtete im jeweiligen Wohn-, Lern- und Arbeitsumfeld

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Abschiebungen verängstigen nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern vermitteln auch dem Umfeld, potentiell ebenfalls gefährdet zu sein
Abschiebungen verängstigen nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern vermitteln auch dem Umfeld, potentiell ebenfalls gefährdet zu sein

Foto: Daniel Roland/AFP via Getty Images

„Seit der Verabschiedung des ‚Geordnete-Rückkehr-Gesetzes‘ im Sommer 2019“, heißt es in einem Aufruf verschiedener asylpolitischer Initiativen aus Tübingen, „setzt die Bundesregierung noch mehr auf Abschiebung als bisher. Von Abschiebung bedroht oder betroffen sind auch viele Geflüchtete, die gut in Deutschland integriert sind und sich in Ausbildung oder Arbeit befinden.“ Entsprechende Abschiebungen sind nicht nur für die Betroffenen psychisch extrem belastend, zumal wenn bereits traumatisierende Flucht- und Gewalterfahrungen vorliegen. Sie verunsichern auch andere Geflüchtete im jeweiligen Wohn-, Lern- und Arbeitsumfeld. Der Prozess der Arbeitsmarktintegration der Geflüchteten wird dadurch gefährdet.

Abschiebungen aus Unterkünften verängstigen nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern vermitteln auch dem Umfeld, potentiell ebenfalls gefährdet zu sein: „Als wir Nachtschicht hatten, kamen auf einmal vierzehn Polizeiwagen“, erzählt eine ehemalige Mitarbeiterin einer hessischen Erstaufnahmeeinrichtung, „sie sind einfach in die Zimmer reingestürmt, da waren kleine Kinder am Schlafen. Die haben den Leute wirklich nur ein paar Minuten Zeit gegeben […] einzupacken und dann mussten sie sofort weg. Und das haben auch die anderen mitbekommen und am nächsten Tag war da Panik, weil: ‚Okay, es heißt, nur Albaner werden zur Zeit abgeschoben, aber was ist, wenn sie mal einfach uns hier auch mitnehmen?‘ […] [Eine] Frau war im Krankenhaus und ihr Mann war in der Einrichtung, die Polizei hat den Mann mitgenommen und die Frau ist allein dann im Krankenhaus geblieben.“ Infolge entsprechender Erfahrungen, ergänzt der Mitarbeiter einer baden-württembergischen Beratungsstelle, hatten „viele Afghanen […], auch viele Gambier […] unheimlich große Angst vor der Abschiebung, weil sie […] miterlebt haben, dass Bekannte abgeschoben wurden, dass sie bei Nacht abgeholt wurden. Viele hatten sich vorbereitet auf die Situation, indem sie sich Fluchtmöglichkeiten und so etwas überlegt hatten. Das war immer ein Thema.“

Ein ähnlicher Effekt tritt auch in anderen sozialen Zusammenhängen – etwa bei Abschiebungen von Mitschülern aus Sprachkursen oder (Berufs-)Schulklassen – auf. Der Mitarbeiter einer Berufsschule erzählt von einem Fall aus seinem Berufsschulalltag: „Zwei meiner kosovarischen Schülerinnen wurden abgeschoben. Beide Mädels waren mit der Familie hier und […] hatten hier einen guten Schulabschluss gemacht und […] Fuß gefasst. […] Irgendwann wurde dann die Rückführung vollzogen. Das macht mit uns [den Lehrkräften] was, das macht aber auch mit den Schülern was, die hier bleiben, weil das deutlich angstauslösend ist. Es betrifft definitiv immer alle, auch über die Lerngruppe hinaus.“ Eine Folge dieser Erfahrungen sind Demotivation und Bildungsabbrüche, führt er weiter aus: „Wenn man kein Glück hat, bleiben Schüler weg, und man fragt sich: ‚Warum sind sie weg?‘ Kann man ahnen, aber es ist ganz schwer, ihrer […] habhaft zu werden“. Selbst eine Ankündigung „in […] der Presse oder in den Medien, dass eben vermehrt abgeschoben werden soll, löst Reaktionen aus“. Einige Schülerinnen und Schüler seien kaum in der Lage zu lernen, weil sie „mit einem Fuß immer im Flieger“ seien.

Ergreift die Polizei Geflüchtete an ihrer Arbeitsstelle, um sie abzuschieben, wirkt sich das nicht nur auf andere Geflüchtete, sondern auch auf Arbeitgeber und Kunden negativ aus. „Die sind vermittelt, die sind integriert und das hat den Nachteil, dass die Ausländerbehörde immer genau weiß, wo sie arbeiten. Das heißt, die Polizei muss nicht mehr nachts um drei oder um vier irgendwo an der Haustür klingeln und hoffen, dass jemand da ist zum Abschieben. Nee, die schlafen alle aus und gehen morgens […] um zehn zum Arbeitgeber und sacken ihn dort ein“, erzählt der Mitarbeiter eine sächsischen Beratungsstelle. Entsprechende Abschiebungen gefährdeten den Prozess der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten auch über den konkreten Fall hinaus: „Wenn Sie das […] beim Zahnarzt zum Beispiel machen, der […] früh um zehn volles Haus hat und das ist seine [Arzthelferin] […], die ihm da assisitiert. Und vier in voller Montur erscheinende Polizisten nehmen die mit, weil sie sie abschieben wollen, dann haben Sie den Zahnarzt so verärgert, dass der nie wieder sich […] auf diesen Weg begibt. Sie haben es geschafft, […] in seinem Netzwerk, […] dass dort […] nach der Erfahrung, die er mit allen teilen wird, Sie auch keinen mehr finden werden, der sich dieser Gefahr aussetzt, in Anführungsstrichen. Sie haben ein volles Wartezimmer, […] 15 Mann, die das sehen, die […] sagen: ‚Hallo, was ist denn das?‘ Und dann haben Sie natürlich ja auch die Kollegen hinter der Frau. […] Und das ist traurig.“ Den Betrieben machten entsprechende Erfahrungen, so eine Mitarbeiter des DGB in Niedersachsen, „natürlich schwer zu schaffen“. Nicht unmittelbar betroffene Betriebe, berichtet der Mitarbeiter einer Beratungsstelle in Niedersachsen, „sehen das und haben natürlich Angst, dass ihnen das gleiche passieren kann. Das ist sicherlich ein großer Punkt. Rechtssicherheit, kann der abgeschoben werden?“

Geflüchtete mit Duldungsstatus, erzählt der Mitarbeiter einer anderen sächsischen Beratungsstelle, seien besonders stark verunsichert, selbst dort, wo sie über eine längerfristige Duldung zur Ausbildung verfügen: „Man hat ja auch diese unsichere Bleibeperspektive, selbst mit der Ausbildungsduldung. Man bleibt ja ausreisepflichtig und bei Ausbildungsabbruch […] könnte man abgeschoben werden. Also [das ist] auch psychologisch [eine] ziemlich belastende Situation […] für viele.“ Einige Geflüchtete seien in der Folge frustriert und sähen für sich keine Perspektive mehr, bedauert der Mitarbeiter der Berufsschule in Hamburg: „‘Ich bin durch hier mit Deutschland und es ist ein Scheiß-Land, […] wir werden ja doch wieder abgeschoben und was bringt das denn hier noch?‘“ Die Angst vor Abschiebung, ergänzt der Mitarbeiter einer Beratungsstelle in Hamburg, sei „teilweise einfach wirklich lähmend“.

Nicht nur Geflüchtete und ihre ehrenamtlichen Unterstützer, sondern auch betroffene Betriebe engagieren sich daher gegen Abschiebungen. „Der Betrieb hat dann eine Petition gestartet“, erzählt der Mitarbeiter einer Handwerkskammer in Niedersachsen von einem Beispiel, „die Mitarbeiter haben diese Petition unterschrieben, man ist an die Öffentlichkeit gegangen, es gab […] Artikel in der örtlichen […] Zeitung, […], man ist dann auch […] an die staatlichen Strukturen gegangen, an den Innenminister, wo man einfach noch mal ganz klar gesagt hat: ‚Mensch, der Junge ist hier in Ausbildung, wie kann es sein, dass er jetzt hier abgeschoben wird?‘“ Ein Ehrenamtlicher aus Sachsen hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Mit solchen Dingen kämpfen wir halt regelmäßig, dass Betriebe auch eine gewisse Sicherheit haben […]. Und dass eben nicht diese Person […] ihnen weggenommen wird. Jetzt gerade wieder war es ein Autobetrieb, dessen […] Kraftfahrzeugmechatroniker einfach abgeschoben wurde. Und die wollen den wieder haben. […] Gegen diese Sachen kämpfen wir.“ Auf zivilgesellschaftlicher Ebene sind in einigen Städten Netzwerke gegen Abschiebungen entstanden, erzählt der Mitarbeiter des DGB, „wenn aus den Camps heraus abgeschoben wird, gibt es informelle Zusammenhänge, die sich da austauschen und Hinweise und dann kann man aktiv werden.“ Das eigene Engagement wird dabei anders als im Falle der engagierten Betriebe nicht in erster Linie als Beitrag zur Arbeitsmarktintegration und Fachkräftesicherung verstanden, sondern als Teil eines umfassenderen Kampfs gegen „strukturellen Rassismus und […] menschenverachtende Migrationspolitik“.

Eine gedruckte Version des Beitrags ist in der Zeitschrift graswurzelrevolution erschienen.

Weiterführende Informationen:

Pro Asyl (2019): Die Folgen der ‚konsequenten Abschiebepolitik‘

Unternehmer-Initiative „Bleiberecht durch Arbeit

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Doreen Bormann / Nikolai Huke

Wir forschen im durch das BMBF geförderten Projekt "Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland" zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten.

Doreen Bormann / Nikolai Huke

Kommentarfunktion deaktiviert

Die Kommentarfunktion wurde für diesen Beitrag deaktiviert. Deshalb können Sie das Eingabefeld für Kommentare nicht sehen.