Keine Konkurrenz durch Flüchtlinge

Arbeitsmarktintegration Erfahrungen aus der Praxis zeigen: Die viel diskutierte (vermeintliche) Konkurrenz durch Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt gibt es in der Regel gar nicht

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Mitarbeiter der Agenturen für Arbeit und andere Menschen, die sich in der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten engagieren, können eine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt nicht erkennen
Mitarbeiter der Agenturen für Arbeit und andere Menschen, die sich in der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten engagieren, können eine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt nicht erkennen

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Sorgen um Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt durch den Zuzug von Flüchtlingen spielten in den vergangenen Jahren in politischen Debatten immer wieder eine wichtige Rolle. Exemplarisch wurde dies an internen Richtungsstreits der Linkspartei deutlich. In einer emotional geführten Debatte wurde hier die Frage diskutiert, ob die Ablehnung von Flüchtlingen primär als Folge von Rassismus und Wohlfahrtschauvinismus oder von berechtigter Angst vor Konkurrenz zu interpretieren sei. Arbeitsmigration, so etwa Sahra Wagenknecht im vergangenen Jahr in einem Interview mit dem Focus, „bedeutet zunehmende Konkurrenz um Jobs, gerade im Niedriglohnsektor. Dass Betroffene davor Angst haben, ist verständlich.“ Ähnlich argumentierten auch andere Politiker der Partei im „Thesenpapier für eine linke Einwanderungspolitik“: „Wandern in großer Zahl Geringqualifizierte ein, wird dies […] die Konkurrenz und den Lohndruck im entsprechenden Segment des Arbeitsmarkts erhöhen.“ In wissenschaftlichen Debatten wird diese These teilweise übernommen, ohne sie empirisch für den konkreten Fall des Zuzugs von Flüchtlingen im Jahr 2015 zu prüfen. Auch die akademische Version der These tendiert dazu, konstatieren Wolfgang Menz und Sarah Nies in einem kürzlich erschienenen Artikel, Wahlentscheidungen für rassistische und chauvinistische Parteien wie die AfD zu entschuldigen.

Spricht man mit denjenigen, die beruflich oder ehrenamtlich mit der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten zu tun haben – sei es mit Arbeitgeberverbänden, Beratungsstellen, Mitarbeitern von Jobcenter und Arbeitsagentur, Willkommensinitiativen oder Gewerkschaften – bekommt man auf die Frage nach Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt hingegen eine andere Antwort: Die behauptete Konkurrenz gebe es nicht, so der Tenor in den von uns im Rahmen des Forschungsprojekts „Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland“ geführten Interviews. „Es gibt auf dem Arbeitsmarkt keine Konkurrenzsituation“, stellt etwa der Mitarbeiter einer sächsischen Beratungsstelle fest, „es geht momentan nur darum, ob ich die richtigen Qualifikationen vorweisen kann oder nicht. Wenn ich das kann, gibt es keine Konkurrenz und dort wo ich keine Qualifikationen brauche, gibt es auch keine Konkurrenz.“ Ähnlich sieht das auch die Mitarbeiterin einer hessischen Agentur für Arbeit. „Konkurrenz zu den Einheimischen haben wir nicht“, erklärt sie. Selbst für Tätigkeiten im Helferbereich mangele es in der Region an geeigneten Bewerbern, es gebe daher keine Konkurrenzsituation. Selbst wenn die Geflüchteten sagten: ‚Okay, ich will jetzt unbedingt arbeiten und gehe jetzt zu einer Zeitarbeitsfirma‘, seien sie nicht in einer Konkurrenzsituation, weil die „Einheimischen, die da auf dem Markt sind, aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sind, eine Helfertätigkeit auszuüben“.

In Konkurrenzsituationen zögen Flüchtlinge aufgrund fehlender Sprachkenntnisse meist den Kürzeren, berichtet der Mitarbeiter einer Handwerkskammer in Niedersachsen: „In dem Moment wo Geflüchtete in einer Konkurrenzsituation sind, im Bewerbungsprozess mit jemandem der hier das Bildungssystem durchlaufen hat, der, der deutschen Sprache in Wort und Schrift mächtig ist, dann ist man als Personalreferent kein Nazi, wenn man den vorzieht, weil man sagt: ‚Der hat hier die Realschule abgeschlossen, der kann Deutsch, die Wahrscheinlichkeit, dass er die Ausbildung schafft, ist sehr gut, dann nehme ich den und nicht den Afghanen mit fünf Jahre Schulbildung und B1-Sprachniveau.‘“ Das habe betriebswirtschaftliche Gründe und sei aus seiner Sicht völlig legitim. Wenn ein Flüchtling es tatsächlich schaffe, konstatiert ein anderer Mitarbeiter der hessischen Agentur für Arbeit, „mit einem Sprachniveau B1/B2 oder sogar C1 – das ist ja immer noch weit entfernt von muttersprachlichem Deutsch – einem deutschen arbeitslosen Leistungsempfänger einen Job auszuschlagen, kann es dafür alle möglichen Gründe geben, aber nicht den, dass der Flüchtling hier jemandem die Arbeit wegnimmt.“

Im Ausbildungsbereich, erzählt der Mitarbeiter einer Hamburger Berufsschule, gebe es Betriebe, die sagten: „Wir würden ja ausbilden, aber wir finden ja nicht die passenden Leute“. Sie hätten teilweise negative Erfahrungen mit den einheimischen Jugendlichen gemacht, die sich auf die Ausbildungsstellen beworben hätten: „Die wollen Leute haben, die das erfüllen, was Ausbildungsreife aussagt. Sie sollen pünktlich sein, sie sollen arbeiten können, sie sollen all das machen können was zur Ausbildung gehört, ohne große vorherige Einführung und Problemchen. Und das klappte eben mit vielen jungen Menschen hier aus Hamburg nicht in der Vergangenheit. Deswegen sind etliche, auch größere Ausbildungsfirmen sehr verschreckt gewesen. Sie sagen: ‚Oh nee, also irgendwie, wenn die nicht pünktlich kommen und wenn die nicht mit Hand anlegen, dann können wir die auch nicht gebrauchen‘.“ Auf der anderen Seite gebe es bei vielen Jugendlichen die Einstellung: „Nee Baugewerbe, früh aufstehen, harter Ton, ich kann nass werden, schwere Arbeit, das passt irgendwie nicht für mich.“ Flüchtlinge seien vor diesem Hintergrund für die Betriebe eine Chance gewesen, sowohl interessierte als auch geeignete Auszubildende zu finden: „Sie passen in die Betriebe, sie legen mit Hand an, sie sind pünktlich. Sie erfüllen also all das, was sich die Betriebe wünschen.“

Statt Konkurrenz lasse sich eher eine Unterschichtung des Arbeitsmarkts feststellen, berichtet die Mitarbeiterin einer bayerischen Industrie- und Handelskammer. Flüchtlinge übernähmen Jobs, die einheimische Beschäftigte nicht übernehmen wollten. Das Thema der Konkurrenzsituation, so die Mitarbeiterin, „war die große Angst als die Flüchtlingswelle kam: ‚Die schnappen uns jetzt die Arbeitsplätze weg‘.“ Flüchtlinge kämen jedoch „auch in Arbeitsplätzen unter, wo ein Deutscher gar nicht arbeiten möchte. Straßenbauer zum Beispiel, Berufskraftfahrer, wo viele Leute gesucht werden, aber die Deutschen nicht zur Verfügung stehen“. Obwohl gegenwärtig keine Konkurrenzsituation bestehe, könne es auf lange Sicht möglicherweise zu einer gewissen Konkurrenz von Flüchtlingen mit schlechten Arbeitsmarktchancen und Langzeitarbeitslosen kommen, stellt die Mitarbeiterin einer Kommune in Baden-Württemberg fest. Das sei etwas, was man beobachten müsse.

Die These vermeintlich berechtigter Sorgen vor Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt scheint vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen eine eher empirieferne Behauptung zu sein. Nicht jeder alltäglich beobachtbaren Sorge, so wird deutlich, liegt notwendig eine entsprechende Ursache zugrunde. Angstgefühle sind nicht selten irrational. Gefühle ernst zu nehmen ist etwas anderes, als sie für ein Abbild der Realität zu halten. Statt die Deutungsmuster ‚besorgter Bürger‘ zu kopieren und öffentlichkeitswirksam zu verstärken, lohnt es sich, diese – auch vor dem Hintergrund der seit Jahren vorliegenden Forschungsergebnisse zur weiten Verbreitung autoritärer, rassistischer und wohlfahrtschauvinistischer Einstellungsmuster und deren engem Zusammenhang zu einem von Ängstlichkeit, Überforderung und Anspannung dominierten Weltbezug – zumindest einem vorherigen Realitätsabgleich zu unterziehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Doreen Bormann / Nikolai Huke

Wir forschen im durch das BMBF geförderten Projekt "Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland" zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten.

Doreen Bormann / Nikolai Huke

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