Abendmahl, vernossen

Ostharz: Besuch zum Abend - ein Roman in Fragmenten

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Er fragt sich, wer wohl zuerst klingeln wird: Frau Keyser oder Kristin Radomsky? Es ist schon kurz nach der vereinbarten Uhrzeit..... ob sie noch kurzfristig absagen? Drei Mitarbeiter hat der Geschäftsführer der Bauprojekt Quedlinburg heute Abend zu sich nach hause eingeladen... Frau Keyser und Kristin Radomsky, außerdem den leitenden Architekten, Herrn Obermeyer.

Mit Obermeyer hatte er sich am Anfang seiner Zeit in der Firma drei-, viermal zum Bier getroffen, aber die Gespräche waren bald versiegt, Obermeyer blieb freundlich reserviert und hatte kein Interesse an einer Fortsetzung der Treffen gezeigt.

Es klingelt jetzt, hoffnungsvoll öffnet der Gastgeber die Tür und hört, wie mehrere Personen die schmalen, leise knarzenden Holzstufen durch das verwinkelte Fachwerkhaus nach oben steigen... seine Wohnung liegt unter dem Dach: Sie kommen alle zusammen, denkt er, wahrscheinlich haben sie sich unten verabredet.

Als sie nacheinander durch die Wohnungstür treten, mit versteckter Neugier, nervöser Skepsis und vorsichtiger Zurückhaltung, ist die schmale Diele sogleich überfüllt und lässt nur eine zügige Begrüßung mit der Bitte zum weiteren Durchgehen zu... der Flur in die Tiefe der Behausung scheint für die Körper der Gäste fast zu schmal, Herr Obermeyer muss den Kopf beugen und den Hals zwischen die kräftigen Schultern ziehen... dieser Teil der Wohnung hat eine lichte Höhe von kaum zwei Metern, die Balken ragen sogar etwas tiefer und erinnern an den dunklen Bauch eines alten Segelschiffs, wer weiß, vielleicht schwankt das holzgefügte Fachwerkhaus sogar ganz leicht unter dem Gewicht der Abendgesellschaft?

Die drei Gäste sind heute das erste Mal in der Wohnung, so bietet der Hausherr eine kurze Führung an... Wohnzimmer, Schlafzimmer, das Arbeitszimmer mit Blick auf den Platz hinüber zum Mathildenbrunnen, auf dessen Rand einige Touristen sitzen und die historische Kulisse bewundern.... und zum Schluss die Küche, wo er etwas zur Stärkung seiner Gäste vorbereitet hat, einen Brotkorb, Käse, etwas Schinken und italienische Salami... Danke,,,, ich habe keinen Hunger, ich wusste nicht, dass es bei Ihnen was zu Essen gibt, räuspert sich Obermeyer. Die beiden anderen Gäste schweigen erwartungsvoll, nur Kristin Radomsky nimmt etwas vom angebotenen Wasser.....

Nein, einen Wein möchte niemand... was er ihnen zu sagen hat.

So erläutert der Geschäftsführer ein paar Gedanken zur weiteren Entwicklung des Büros

Höflicherweise bedankt er sich zunächst, auch für die Geduld und für das Engagement, das für den Umzug notwendig war.... jede und jeder einzelne von Ihnen hat viel geleistet!

Er freut sich, dass sie heute Abend gekommen sind und wünscht sich auch, dass in Zukunft weitere Treffen stattfinden, vielleicht auch in größerer Runde, mit allen Mitarbeitern.....

Obermeyer schaut auf die Uhr, Frau Keyser rutscht unruhig auf die Vorderkante ihres Stuhls, Kristin Radomsky bleibt reglos, nippt nur gelegentlich am Wasser.

Sie haben mir einmal vorgeworfen, dass ich viel öfter mit den jüngeren Kollegen rede, sagt er zu Obermeyer, gerade abends, die Jüngeren sind oft noch länger im Büro.... Sie aber haben Familie...

Acht Stunden reichen doch, sagt Frau Keyser jetzt spitz von der Vorderkante ihres Stuhls, ich achte darauf, dass meine Sachen pünktlich fertig werden! Und ich komme auch mal am Wochenende ins Büro, das wissen Sie! Ich bin jetzt seit zwölf Jahren in diesem Büro, und in der Regel weiß ich genau, was zu tun ist und muss mich nicht bei meinen Kollegen durchfragen!

Jeder von den langjährigen Mitarbeitern hat einen großen Anteil am Erfolg des Büros gehabt, sagt der Gastgeber jetzt, das ist mir bewusst... und ich glaube Ihnen auch, dass Sie gut wissen, was die Auftraggeber hier in der Stadt und in der Region brauchen.... Am Anfang haben Sie mich oft gewarnt, dass ich die Kunden nicht verschrecken darf... zum Beispiel nicht durch ungewohnte Gestaltung im Entwurf...

Ist ihnen ja egal, wehrt sich Frau Keyser, bitte fangen Sie jetzt nicht wieder damit an! Obermeyer nickt.

Mir ist es wichtig, dass wir in Zukunft besser und reibungsloser miteinander arbeiten, sagt der Geschäftsführer, und ich denke auch, dass wir dafür eine andere Form finden müssen.... ein Mitarbeiter mit Erfahrung kann mehr Verantwortung tragen und hat andere Prioritäten als jemand, der neu im Beruf ist... ich möchte die langjährigen, erfahrenen Mitarbeiter stärker am Erfolg des Büros beteiligen..... in Zukunft möchte ich nicht mehr allein die Entscheidungen treffen, die auch Sie treffen könnten, ich selbst möchte auch in anderen Städten Aufträge akquirieren und kann nicht immer hier vor Ort sein.... und ich würde neben der GmbH gerne eine Genossenschaft mit den Kollegen gründen, die schon lange für das Büro tätig sind.... und heute Abend habe ich Sie eingeladen, um darüber zu sprechen.....

Durch das offene Fenster hört man jetzt den Brunnen leise plätschern, so still ist es plötzlich...

Überrascht starrt Frau Keyser zu Herrn Obermeyer, der die Arme verschränkt hat.

Wahrscheinlich haben Sie recht mit Ihrem Gefühl, dass alles im Büro Ihnen gehört, schließlich haben Sie es für die Firma erarbeitet, jeder Computer, jeder Drucker, alles konnte erst durch Ihre Leistung erworben werden.... jetzt gehört es nicht mehr dem Frantz Konzern, wir können es also neu verteilen....

Obermeyer räuspert sich jetzt zweimal, dreimal.... Wissen Sie, mit dem Wort Genossen können die Leute hier nicht so viel anfangen... das ist vorbei...

Wie meinen Sie das, sprudelt jetzt Frau Keyser, soll ich dann mit Grau und Grabmüller diskutieren, was als nächstes zu machen ist...? Dafür gibt es doch den Geschäftsführer!

Auch Kristin Radomsky wird allmählich lebhaft, nein, nein, einer muss den Hut aufhaben....

Auch im Fortschritt der Diskussion bleibt das Stimmenverhältnis eindeutig: dagegen. Der Wein wird nicht entkorkt.

Als die Rede schließlich versiegt, sagt Obermeyer: Und nehmen Sie bitte das Essen vom Tisch..... es riecht schon.

Hier endet der 350. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

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