Am Krematorium

Ostharz: Asche zu Asche - ein Roman in Fragmenten

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Schild Ortseingang – 30 Meter - links ab in das Gewerbegebiet, hat er sich notiert. Dunkel taucht der Umriss auf, das Schild ist kaum zu lesen: Quedlinburg. Zähflüssig wie Öl schwimmt Nebel über Fahrbahn und Feld, verdrängt das Licht aus der Luft. Er fährt Schritttempo.

Am Abzweig zum Gewerbegebiet drängeln sich die Firmenschilder in allen Farben, schmutzig noch im Winterruß..... Autohaus, Sanitärinstallation, Baufirmen ..... pragmatische Zweckbauten als Schweißband der Stadt, manche auch volkseigen patiniert, vom vielgerühmten historischen Schmuckstück ist hier nichts zu erkennen.

Kommen Sie erst in die Baufirma, hat die sonore Stimme gesagt, wir können Sie später im Büro vorstellen. Die Straße treibt mit zwei weiten Kurven durch das Gewerbegebiet, dann liegt das Ziel vor ihm: BUQ, drei große Lettern sind das einzige Merkmal zur Unterscheidung des dreigeschossigen Büroriegels, gelb und schwarz leuchten die Fensterrahmen, Bau Union Quedlinburg hat er auf der Terminbestätigung gelesen. Ob sie noch auf ihn warten? Er ist fast zwei Stunden verspätet, kein guter Einstieg für ein Bewerbungsgespräch..... man führt ihn zum Besprechungsraum, der sich hinter den getönten Scheiben über dem Eingang verbirgt.

Mein Name ist Frantz, wir haben telefoniert, sagt der Mann im feinen grauen Zwirn, schön, dass Sie hergefunden haben! Dr. Frantz ist der Wichtigste am Tisch, seine volltönende Stimme und das zahnreiche Lächeln füllen den Raum bis in den letzten Winkel, er stellt vor: Herr Stallmeister, mein Geschäftsführer aus Salzgitter, Herr Bohr, Geschäftsführer der Bau Union Quedlinburg, Herr Schilling, sein Technischer Leiter und dort sitzt Herr Kobold, der Geschäftsführer des Planungsbüros!

Kaffee und Kekse werden angeboten, danach hat der Bewerber das Wort, stellt sich heute in dieser Runde vor, schildert kurz seinen Werdegang und will Fotos seiner Bauten zeigen.... aber mit entschiedener Freundlichkeit lenkt Dr. Frantz das Gespräch in die Erwartungen: Ob Sie ein guter Architekt sind, kann ich nicht beurteilen..... wir suchen einen neuen Chef für das Planungsbüro, Herr Kobold möchte die Geschäftsführung demnächst niederlegen. Aber wenn Sie möchten, kann er Sie noch einige Monate unterstützen, bis Sie hier fest im Sattel sitzen

Der angesprochene Geschäftsführer Kobold zuckt kurz zusammen und redet sich dann beflissen in die Kurzatmigkeit: Das Büro war früher die Planungsabteilung, vor der Wende haben hier alle Abteilungen unter einem Dach projektiert und gebaut, Wohnungen, Kindergärten und Schulen, Industrie- und Ferienobjekte, wir haben auch die Kreisstraßen gebaut und instand gehalten...... im Kreisbaubetrieb waren weit über zweihundert Kollegen, mit eigenen Werkstätten und Maschinen.... nach der Wende mussten wir das ändern....

Für die öffentlichen Ausschreibungen mussten wir das Planungsbüro in einer eigenen Gesellschaft aus der Baufirma herauslösen, übernimmt Dr. Frantz das Gespräch mit strahlendem Lächeln: Es fiel irgendwann auf, dass die Baufirma immer den Zuschlag bekam, wenn das Planungsbüro die Ausschreibung machte, da wurden andere neidisch!

Wir hatten immer den besten Preis, räuspert sich Geschäftsführer Bohr, der Chef der Baufirma, alle wirken sehr ernst jetzt, auch Dr. Frantz nickt: Man muss die Preise der anderen nur kennen, das ist Kunst des Kaufmanns!

Der bisher schweigsame Herr Stallmeister nimmt Anlauf: Herr Dr. Frantz kam nach Quedlinburg, weil er nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern eine Kiesgrube suchte. Der Frantz-Konzern bietet unter anderem Baustoffe für den Straßenbau an, Kies mit Zuschlagstoffen aus Recycling-Prozessen zum Beispiel..... Die Bauaktivitäten in den neuen Bundesländern waren für Herrn Dr. Frantz als Unternehmer nicht nur eine geschäftliche Chance, er sah vielmehr die soziale Verpflichtung, großzügig Kapital und Know-how in die neue Nachbarschaft zu investieren.... von unserem Firmensitz in Salzgitter ist es nur ein Katzensprung nach Quedlinburg.... der Landkreis war Eigentümer der Kiesgrube, die hier zum Kauf stand, die Grube liegt sehr günstig für unsere Baustellen....

Dr. Frantz streut sein zahnreiches Lächeln: .... zweihundert angestellte Mitarbeiter hatte die Kiesgrube plötzlich, alles alte Verträge, das hat mich doch schwer überrascht...

Stallmeister hat bei dem Einwurf des Chefs kurz innegehalten, dann setzt er fort: Die Baufirma wie das Planungsbüro sind hundertprozentige Töchter des Frantz-Konzerns Salzgitter, für beide Gesellschaften gilt ein Gewinnabführungsvertrag....

Bei dem Wort Gewinnabführungsvertrag zucken die Mundwinkel von Bohr und Schilling ganz kurz, auch Kobold wird wieder munter: Wir wollten die Kollegen im Planungsbüro nicht verunsichern, es gibt ja mehrere Bewerber...... aber wenn Sie noch Zeit haben, kann ich Ihnen das Büro gerne zeigen, nach Dienstschluss....

Gewinnabführung klingt noch in den Gedanken des Bewerbers.... sein Blick wandert aus dem Fenster in den zähen Dunst. Er hat sich im Stadtplan orientiert, zur Vorbereitung der Fahrt.... in dem Wäldchen dort drüben muss der Friedhof liegen, er hat sich noch über die Größe gewundert, je älter die Stadt, so reicher der Totenacker...... als grauer Schatten ragt das Türmchen einer Kapelle über die Baumwipfel, daneben der kräftige, hohe Schlot des Krematoriums. Ob sie heute einäschern? fragt er sich, denn schwer wie dunkelgraue Watte zieht träge ein Nebelgespinst unter den Himmeln....


Hier endet der 164. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

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