Amt der Demütigung

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Hinter dem ehemaligen Stasi-Quartier in der Berliner Normannenstrasse liegt der ausgedehnte Block des Arbeitsamts. Knapp vor dem ersten Termin findet er die richtige Tür.

Name, Beruf...... bei der ersten Rückfrage stellt der schneidige Arbeitsvermittler die angemessene Rollenverteilung her: Hier frage ich! Ausbildung wird akzeptiert, Selbständigkeit erzeugt Stirnrunzeln.... Der arbeitslose Architekt möchte den Unterschied zwischen Diplomingenieur, Bauingenieur und Bauleiter erklären, im Datensatz ist keine Unterscheidung zu erkennen. Er hat eine Mappe mit Entwürfen und Fotos dabei, aber der Vermittler hat keine Zeit dafür.

Stehen Sie dem Arbeitsmarkt ohne Einschränkung zur Verfügung?

Sind Sie verheiratet?

Sprachen?

Bei jeder Antwort klackern die Finger in der Tastatur, der Vermittler ist schnell.

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Der Bauwirtschaft der Hauptstadt wälzt sich durch die Kalmen der Depression. Das erste Schreiben kommt nach fünf Wochen. Eine Holzbau-Firma hinter Nürnberg sucht einen Bauleiter. Senden Sie umgehend Ihre Bewerbung! lautet der abschließende Imperativ des Schreibens unter dem großen A.

Am nächsten Tag ruft er an. Fünfhundert Entfernungskilometer rauschen in der Telefonleitung. Grüß Gott! meldet sich ein unverständlicher Name in der Leitung, er klingt sehr bayrisch. Sie bauen Blockhäuser im gesamten Freistaat bis hoch in die Alpen. Für die Montage suchen sie einen Bauleiter, der auch mit der Motorsäge umgehen kann.

Nein, er wird dieses Angebot nicht annehmen. Wie kann er es seinem Vermittler erklären?

Ein Baustoffkonzern sucht Vertriebsmitarbeiter für den Außendienst: Betonzuschlagstoffe, Schalungselemente und Beschichtungssysteme sind im Angebot, das Revier wartet zwischen dem Weserbergland und den Grenzen der Niederlande. Geeignet wäre ein/e Ingenieur/in Bau/Wasserbau, bevorzugt mit Erfahrung als Betonbauer.

Die Welt der Vermittlung bietet unvermittelt Überraschungen....

Zwei Wochen später liegt das dritte Schreiben im Briefkasten. Er soll sich in Kempten bewerben, in der Milchstadt des Allgäus. Der vom Vermittler ausgesuchte Arbeitgeber ist ein Dienstleistungsunternehmen für Laboranalyse und ingenieurtechnischen Leistungen. Man sucht einen Bauingenieur. Siebenhundert Kilometer entfernt von Berlin.

Freundlich erklärt der Personalchef am Telefon die Aufgaben. Sie untersuchen verbrauchte Industrieanlagen und verseuchte Militärstandorte. Danach reißen sie alle Gebäude weg und tragen die kontaminierten Bodenschichten ab. Jeder Giftstoff ist gesondert zu vernichten.

Nein, so hat er sich seine Zukunft nicht vorgestellt. Warum muss das Amt die Bewerber durch die gesamte Republik vertreiben?

Heute ruft er den Vermittler an.

Ich will eine Veränderung mitteilen. In zwei Wochen nehme ich eine angestellte Tätigkeit auf. Man hat mich zum Geschäftsführer eines Büros in Quedlinburg bestellt.

Die Leitung nach Lichtenberg schweigt kurz wie tot, dann wünscht der Vermittler viel Glück. Trotz der schlechten Übertragung aus dem Berliner Osten klingt ein zynischer Nebenton durch das Telefon, der im Gedächtnis haften bleibt wie giftiger Mehltau.

Hier endet der 177. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

Ich schreibe um unser Leben. Bitte bleib dran.


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Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

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