Blüte der Alhambra ( II )

Vom Suchen: Erinnerung an eine Reise in das Herz der Träume von Al-Andaluz, an einen mythischen Ort, an dem die göttliche Schönheit wichtiger war als die Namen seiner Propheten

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Feingliedrige schmale Jungs warten im Schatten auf die Tagestouristen, die in Tanger die Fähre verlassen, schwärmen aus, sobald die Herde der rotbleichen Besucher die Zollschranke passiert hat, suchen Kontakt mit den Augen, mit den Fingern, forschen geschwind nach dem richtigen Schlüssel...Francais? English? Espanol? Stadtführungen bieten sie, wollen Dir den Weg zum Souk zeigen, Lederwaren verkaufen, auch illegale Stimulanzien werden verstohlen angeboten... Bleib in Bewegung, dann suchen sie andere lohnende Ziele, ziehen mit dem Strom der oft wohlgenährten Touristen unauffällige Wirbel merkantiler Aktivitäten um die unvorbereiteten Opfer....

Mit Stolz trägt die fruchtbare atlantische Tochter Karthagos die Spuren vieler Liebschaften und Affären..... begehrt schon in jungen Jahren von Rom und Byzanz, wird sie für viele hundert Jahre eine arabische Stadt, dann erobert von den Portugiesen, es folgen Spanier und Briten, die Tanger an die Alawiden, die Herrscher Marokkos, übergeben. Als das Land kurz vor dem ersten Weltkrieg seine Unabhängigkeit verliert, wird die Stadt vor der Meeresenge zur mondänen Lebedame, ab 1923 wird die Region als Internationale Zone von Tanger durch Franzosen, Spanier, Briten und Italiener verwaltet: Der Hafen von Tanger war zollfrei, der Schmuggel wurde zum einträglichen Geschäft...... Die Freizügigkeit der Stadt in den 1940er- und 50er-Jahren machte sie zu einem Magneten für europäische und amerikanische Schriftsteller, für „Aussteiger“ und Außenseiter jeder Art. Am 29. Oktober 1956 jedoch traten die Protokolle von Tanger in Kraft, die die Stadt mit dem wenige Monate zuvor wieder unabhängig gewordenen Staat Marokko wiedervereinigten und ihre Freizügigkeit beendeten. 1956 begann auch der Exodus der bis zu 40.000 Juden oder Hebräer, wie sie sich nannten, aus Tanger...... erinnert der Eintrag bei Wikipedia.

Nach erstem Suchlauf von Tor zu Tor wählen wir eins der Cafés am Straßenrand, an Jack Kerouac und Truman Capote muss ich denken, und ich schreibe etwas:

Blau blüht die Palme

Grün glüht das Meer

Du fehlst mir sehr

eine kritzebunte Ansichtskarte für die Herzensdame an der Spree, und das ist nicht gelogen, geschwindelt höchstens ein wenig mit den Farben. Ganz warm denke ich an sie, gab sie mich doch frei für die Reise mit ihrer Freundin, die uns beide erst vor wenigen Monaten (einkleinwenig) verkuppelt hat.....

Beim Tee vergisst man gern, dass man selbst Tourist ist, einträchtig beobachten wir die vielköpfigen Reisegesellschaften, die sich auf der anderen Straßenseite sammeln und in kleinen Gruppen durch den Souk geschleust werden, umschwärmt von den jungen Händlern....Francais? English? Espanol?.... diskret erforscht von flinken Fingern, die in Höhe der Gürtel und Hosentaschen geübt ihr diebisches Handwerk betreiben wie die Möwen an den großen, weißen Schiffen.... die Natur kennt kein Eigentum, sie gestattet uns nur ein Revier. Nach einer Weile wird uns bei dieser Straßenszene etwas unmoralisch zu mute, es wird Zeit, wir brechen lieber auf ohne den Austausch zu stören.

Druckvoll jagen die Turbinen das Schiff aus dem Hafen, legen schnell tiefen Raum zwischen uns und die afrikanische Küstenlinie, die in blaue Dämmerung sinkt, über die breite Spur der weißen Gischt schaue ich zurück, sinne leicht vergrübelt über die monogam strukturierten Beziehungsmuster in monotheistisch sozialisierten Kulturkreisen.... Noch drei Tage bis Barcelona, der südliche Wendepunkt liegt hinter uns.... mein rechter Arm meldet Wärmestrahlung, sie hat mich gefunden, steht jetzt neben mir, der Fahrtwind treibt einen blonden Schleier vor ihr Gesicht.... aber da ich zur intellektuellen Aufarbeitung unseres Afrikatrips gerade gar nichts Intelligentes beitragen kann, versinken wir schweigend in dem sanft zergehenden Bild.

Wir suchen einen geschützten Platz auf der Leeseite, großzügigerweise liest sie mir aus dem Reiseführer vor.

Unter der Herrschaft der Kalifen von Córdoba erblühte Al-Andalus zu einem gebildeten, wirtschaftlich und militärisch mächtigen Land, berühmt in der Welt für die Erzeugnisse der Kunst und für die Kenntnisse der Wissenschaften. Die Schulen des Landes standen allen Kindern offen, in den maurischen Städten gab es öffentliche Bibliotheken und Krankenhäuser. Straßen und Plätze waren befestigt, die Häuser wurden durch Wasserleitungen versorgt. Mit einer halben Million Einwohnern war Córdoba ein wichtiges islamisches Kulturzentrum wie Konstantinopel und Bagdad. Das Umayyaden-Kalifat von Córdoba war das Zentrum islamischer Kultur und arabischer Sprache im muslimischen Westen.

Die arabischen Völker bewahrten das Erbe der Phönizier und Erinnerungen an eine beispiellose ökologische Katastrophe, die Verwüstung der Sahara-Region. In friedlicher Absicht zogen sie mit ihrem Wissen nach Norden auf die Insel Al-Andalus und kultivierten dort das fruchtbare blühende Land unter den Regenwolken. Wasser war ihnen heilig, sie liebten Gärten, trieben Handel und teilten ihren Reichtum gerne. Über siebenhundert Jahre währte die Goldene Zeit des muslimischen Reichs Al-Andalus, die christlichen Nachbarländer Kastilien, León und Navarra erkannten die islamische Führung an und suchten den Schutz des reichen, kultivierten Landes, auch die Grafschaft Barcelona zahlte Tribute an die Umayyaden. Nach dem Zusammenbruch des weströmischen Herrschaftskreises und den traurigen Wirrnissen der Völkerwanderung war der sanfte Kuss der Kalifen von Córdobadas Ereignis, aus dem Europas Mittelalter geboren wurde.... was ist das für ein merkwürdiger Reiseführer, denke ich, da habe ich wohl für einen Moment geträumt....

Mit dem Ende des Kalifats von Córdoba übernahm ein Berberfürst derZīrīden die Provinz Al-Andalus, gründete die Stadt Granada, später folgte die Herrschaft der Almoraviden und Almohaden. Mit dem Emirat von Granada begründete sich die letzte islamische Dynastie auf der iberischen Halbinsel, die Nasriden, die den Bau der Befestigung beginnen, die heute als Alhambra gerühmt wird, liest sie mir aus dem Reiseführer vor.

Am 31. März des Jahres 1492 verkündeten die Katholischen Könige Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón das Alhambra-Edikt. Arabische Bücher wurden verbrannt, die islamische Bevölkerung zum Christentum bekehrt, alle Juden und Ketzer verfolgt und aus dem spanischen Königreich vertrieben: es folgte die blutige Zeit der spanischen Inquisition. Im Sommer desselben Jahres 1492 bricht Christoph Columbus im Auftrag der spanischen Krone auf, um die Westpassage zu den Schätzen Indiens zu finden....

Wenn die Herrschaft geht, so bleiben doch die Wasserleitungen, solange jemand weiß, wie man sie pflegt, die Zimmerleute und Maurer bleiben, die Hirten und die Bauern, sie kleben an dem Ort, der sie ernährt, wo sie ihre Liebsten finden und ihre Toten begraben, denke ich.

Die nördliche Küstenlinie wandert schell, das Schiff dreht allmählich wieder in die Bucht von Algeciras. Die ersten Leuchtfeuer blinken am südlichen Saum des alten Abendlands. Europa liegt so nah, denke ich.... ob sie eines Tages einen Zaun durch das Meer ziehen, an dem bewaffnete Patrouillenboote postiert werden wie im Osthafen der Berliner Spree?

Das Hotelzimmer kommt mir wieder in den Sinn, aus dem wir heute morgen eilig aufgebrochen sind, mit Nachdruck meldet sich mein verzweifeltes Zwerchfell:

........und er faßte eine unermeßliche Leidenschaft für die Prinzessin. Er schrieb einen in der leidenschaftlichsten Sprache abgefaßten Brief, der seine glühende Liebe athmete, aber die unglückliche Gefangenschaft seiner Person beklagte, welche ihn abhielt, sie aufzusuchen und sich zu ihren Füßen zu werfen. Er legte Strophen voll der zärtlichsten und rührendsten Beredsamkeit bei; denn er war von Natur ein Dichter und von Liebe begeistert. Er überschrieb seinen Brief – „An die unbekannte Schönheit, von dem gefangenen Prinzen Ahmed;“ er durchdüftete ihn mit Moschus und Rosen und gab ihn der Taube.....heißt es in der Sage von dem Prinzen Ahmed al Kamel; oder der Liebespilger aus der Sammlung Die Alhambra von Washington Irving.

Der Lehrer aber,einer... der gelehrtesten und ausgetrocknetsten der arabischen Weisen.....warnt: O mein Prinz! Schließe dein Ohr diesem verführerischen Klange! Verhülle deinen Geist diesem gefährlichen Wissen. Wisse, diese Liebe ist die Ursache der Hälfte aller Uebel der unglücklichen Menschheit. Sie ist's, die Bitterkeit und Streit zwischen Brüdern und Freunden erzeugt, verrätherischen Mord und verheerenden Krieg gebiert. Kummer und Sorgen, öde Tage und schlaflose Nächte sind ihr Gefolge. Sie zerstört die Blüthe und vergiftet die Freuden der Jugend und bringt die Uebel und die Wehen des vorzeitigen Alters herbei. Allah erhalte dich, mein Prinz, in gänzlicher Unwissenheit über dieses Ding, das Liebe genannt wird.


Es ist spät geworden, die Eindrücke des Reisetages, Salzluft und Sonne haben uns Körper und Seele mit bleischwerer Müdigkeit gefüllt, sodass unser breites Bett sie und mich nahezu unmerklich in einen tiefen sternlosen Schlaf schickt, leise schaukelnd im Traumnachen unter kichernden Möwen....

Am nächsten Tag lassen wir den Hafen und das Meer hinter uns, treiben unseren weißen Dieselkombi nordwärts in das karstige Bergland. Der Wagen trägt uns zuverlässig in die klare Höhenluft, unabwendbar die süße Nähe in unserem schmalen Gefährt, jede Bewegung an meiner Seite lässt Lymphe und Nerven unbeherrscht tremolieren, Amok-Alarm bläst jede gottverdammte Drüse in meiner inneren Unermesslichkeit......Widerstand hoffnungslos, heute Abend muss ich reden.....

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Hier endet der 109. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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archinaut

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