Könnte ich doch singen – con spirito, die Gitarre schlagen – con fuoco, ma non troppo, ein Adagio geben mit dem Horn – amoroso oder con dolore, einen zauberischen Zwiegesang (an dieser Stelle kannst Du hoffentlich das traumwandelnde Concierto de Aranjuez aufrufen und leise hinter den Text legen beim weiteren Lesen, eine sehnsüchtige Botschaft vielleicht aus den letzten Tagen von Al-Andalus, verpuppt wie eine steinalte Larve, die versteckt in der Klage der alljährlichen andalusischen Osterprozession an das versunkene Kalifat erinnert....)
Im Jahr 1212 unterlagen die Mauren den christlichen Heeren, allein das nasridische Königreich von Granada behauptete sich als letztes islamisches Reich auf der iberischen Halbinsel. Die Grenzstadt Ronda war ein wichtiger Handelsplatz, wurde aber im Jahr 1485 von christlichen Belagerern durch die Unterbrechung der Wasserversorgung bezwungen. Die maurischen Bewohner mussten die Stadt verlassen, Häuser und Grund wurden unter den katholischen Eroberern verteilt. Die Sieger rissen die Moscheen nieder und setzten Kirchen an die heiligen Orte, Minarette wurden zu Glockentürmen umgebaut. Als Erbe der maurischen Herrschaft über die Stadt Ronda sind heute im labyrinthischen Straßennetz der Altstadt die Baños Árabes (die arabischen Bäder) und zwei Paläste zu finden, außerdem die Brücke Puente Viejo.....
Nach dem Essen erkunden wir zusammen das unübersichtliche Labyrinth der Altstadt-Insel, die wie ein Piratennest auf einem scharf geschnittenen Felsplateau über den Schluchten schwebt, in der Welt gehalten von drei hochragenden Brückenköpfen, steil fällt der gestufte Weg hinunter, wohl hundert Meter tief bis zum Bett des Río Guadalevín steigen wir hinab, unwirklich wie die Kulisse einer unsäglich kitschigen Operninszenierung wachsen blanke Klippen und mächtige Brückenpfeiler senkrecht hinter uns in die Höhe, glühen effektvoll im aufsteigenden Flutlicht der Strahler die Brücken Puente Árabe, Puente Viejo und Puente Nuevo.
Ob sie mir eine Brücke baut? Nur ein verdächtiger Laut .... unvermittelt fragt sie in die Dunkelheit: Was ist denn...? Ohne einen Blick kann ich ihr Zögern hören, als mustere sie besorgt einen kleinen schwarzen Käfer, der den sicheren Weg aus dem Honigglas sucht... mein haltlos endorphiniertes Hirn tickt taub und bar jeder Geistesregung, die Zunge liegt nutzlos schwer im Gaumengrund, nur die Herzflügel rasen.....
......höhnisch gelb grinst der volle Mond über den starrenden Klüften.
In der Nacht flutet flüssiges Magma durch die Venen und Arterien meines verwirrten, siechenden Leibes, in glühenden Stücken treibt zerfetzt das Zwerchfell lichterloh brennend unter allen sehnsuchtsvoll entzündeten Oberflächen meiner Körpergrenzen, als sollte ich eine neue Galaxie gebären aus tausend Sonnenfeuern, keine Hoffnung auf Erlösung im Schlaf, halluziniere eine Art Levitation drei Fuß über den zerwühlten Laken wie ein hellauf lodernder Dornbusch....
Der Prinz stieg auf einer hohen Wendeltreppe zu den Zinnen des Thurms empor, wo er den cabalistischen Raben fand – einen alten, geheimnißvollen, grauköpfigen Vogel, mit struppigem Gefieder, und mit einer Haut über dem Auge, welche ihm den starren Blick eines Gespenstes gab. Er saß auf dem einen Bein, drehte seinen Kopf auf die eine Seite, und prüfte mit dem einen ihm bleibenden Auge eine Figur, welche auf das Pflaster gezeichnet war.
Der Prinz näherte sich ihm mit der Ehrfurcht und Scheu, welche ihm sein ehrwürdiges Aussehen und seine übernatürliche Weisheit einflößte. „Vergib mir, alter und nächtlich weiser Rabe,“ rief er aus, „wenn ich einen Augenblick diese Studien, welche die Bewunderung der Welt ausmachen, unterbreche. Du siehst einen Jünger der Liebe vor dir, welcher gern deinen Rath hören möchte, wie er zu dem Gegenstand seiner Leidenschaft gelangen könnte.“
„Mit andern Worten,“ sagte der Rabe mit einem bedeutungsvollen Blick, „du willst meine Geschicklichkeit in der Chiromantie erproben. Komm, zeige mir deine Hand, und laß mich die geheimnißvollen Glückslinien entziffern.“
„Entschuldige,“ versetzte der Prinz, „ich komme nicht, in die Beschlüsse des Schicksals zu schauen, die Allah vor dem Auge der Sterblichen verhüllt hat; ich bin ein Pilger der Liebe, und will nur den Faden zu dem Gegenstand meiner Pilgerschaft finden.“
Geschwätzig strömt der romantische Schmöker Die Alhambra, eine Erzählsammlung des US-amerikanischen Autors Washington Irving (1832), der Erfolg des Werkes im angelsächsischen Sprachraum hilft zur Wiederentdeckung des maurischen Erbschatzes und trägt damit viel zur Sicherung und Restaurierung der alten Stadtburg von Granada bei.
Der aufgeklärte Westen, der meist ein Norden ist, träumt sich den Osten gern als Süden: Feuer, Reichtum, Verschwendung, Erfüllung.... eine virulente Option aus dem Katalog der Heterotopien. Der nostalgische Blick auf die sagenhaften maurischen Dynastien wird ein Vehikel utopischer Phantasie bleiben wie das versunkene Reich Atlantis oder der biblische Garten Eden......
Noch zwei Tagesreisen bis Barcelona. Mit einem Studienfreund aus Darmstadt ist sie verabredet, vier Tage in Barcelona, dann die Rückfahrt nach Deutschland: Wir waren jetzt eine Woche zusammen unterwegs, jeden Tag von morgens bis abends...... weißt Du, in Barcelona werde ich mehr mit Siggi unternehmen, die Museen ansehen..... ich hoffe, Du verstehst das.....
Wie aber könnte ich lieben ohne die Sonne der Utopie?
Ǧanna(t) al-Arif (Garten des Architekten), so wurde der Sommerpalast bezeichnet, im Spanischen wurde aus diesen Silben später das Wort Generalife. Eine Promenade unter schattigen Zypressen führt zu den weltberühmten Gartenanlagen, weiß jeder Reiseführer.
Ich trete ein, hebe das mechanische Auge meiner Kamera: Schritt für Schritt, Patio um Patio, Garten um Garten, Palast um Palast, durch die Sonne, in die Schatten, folge der glitzernden Wasserspur, rings um den Fontänenquell, Blüte um Blüte, Bild für Bild in die lichtempfindliche Schicht des Schmalfilms notiert wie ein Tanz, die Pavane der Pavillone, Galliarde der schattigen Tore, Gavotte des feinen Flechtwerks, Sarabande der spiegelnden Fayencen, Quadrille der Achsen und Diagonalen, Mazurka der Stufen, Reigen der Säulen und Skulpturen, polyphon verwoben in kunstvollen Geometrien.....
Adagio: Der 2. und populärste Satz des Konzerts ist ein langsames, in klagendem Ton gehaltenes Stück in h-Moll. Die Hauptmelodie des Englischhorn ist eine Reflexion der Saeta, des Klagegesangs während der alljährlichen andalusischen Prozession in der Semana Santa (Karwoche), nüchtern klingt der Eintrag bei Wikipedia, erst viel später habe ich die anrührende Geschichte der Konzerte über Aranjuez entdeckt. Wie der sagenhafte Orpheus versucht der blinde Komponist Rodrigo mit seinem andalusischen Requiem eine magische Beschwörung an der Schwelle zum Schattenreich: Flitterwochen in Aranjuez... Hospital... Fehlgeburt... Gefahr, sie zu verlieren....
„Lebe wohl, Pilger der Liebe.“ sagte der Rabe trocken, und begann wieder über die Figur nachzugrübeln.
Zur bestimmten Nacht suche ich den treuen Super-8-Projektor aus dem Archiv, stufenlos regelbar ab acht Bildern pro Sekunde, in gemächlichem Lauf treibt die Maschine die Lichtreflexe der flimmernden Blüten und Brunnen der Alhambra durch die nähmaschinenfleißig ratternde Mechanik vor dem Projektionsstrahl zum Tanz und schenkt mir zur köstlichen Klage zwischen Gitarre und Horn wieder einen Blick auf die wirbelnden Farben, die das starke weiße Licht Jahr für Jahr allmählich zerfrisst auf seiner Reise zur anderen Seite des unendlich leeren Alls...
Zitate:
Sage von dem Prinzen Ahmed al Kamel; oder der Liebespilger
aus: Die Alhambra von Washington Irving
Erstausgabe 1832 in Philadelphia (USA) bei Lea & Carey
unter dem Titel
The Alhambra: A Series of Tales of the Moors and Spaniards,
Hier endet der 110. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:
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Kommentare 12
merci, archinaut! (ablenkend): hat net peter handke ronda in einem buch erwaehnt, dem versuch über die jukebox oder so?
Oh schade, schon zu Ende! Ich hoffe aber, dass Du uns von anderen Menschen und Orten erzählen wirst :)
Na, das ist eine schöne Erotik des Reisens, der Sehnsucht.
Wunderbar. Aber in der Liebesgeschichte wäre mir mehr Fiktion und weniger Realität "mit Siggi" lieber gewesen. Kein Happy end - och Mensch, nee. Oder doch: Happy end für die Daheimgebliebene. Und überhaupt: Die unerfüllten Leidenschaften sind manchmal...auch sehr befruchtend, wie man lesen kann.
Davon abgesehen, so viel Faszinierendes über diese Städte, was ich nicht wusste. Aber ich erinnere mich, dass der Begriff "Levitation" in Handkes "Jukebox" vorkommt. Der reiste ja auch durch diese Gegend.
Muss mir den Handke gleich mal besorgen,
Levitation scheint auch drin vorzukommen
(sagt Magda weiter unten :-)))
Danke für's Lesen und für's Lob!
Danke, lieber Seering,
darf ein Blogeintrag eigentlich länger sein
als ein Popsong?
Vielen Dank für Deine Ungeduld, liebe Magda :-))
"Siggi" ist ja schon verniedlicht,
in der Realität heißen die immer "Siegfried"
(und sind blond seit Thomas Mann)
Das mit der Levitation ist mir jetzt aber unheimlich,
muss ich doch mal nachgucken,
ob Handke abgeschrieben hat :-))
Lieber archinaut,
ich find es ganz EHRLICH
vollkommen bezaubernd herrlich.
Wunderbar.
Ganz besonders liebe ich die für Andere vielleicht eher trockenen Geschichtsanteile.
Wunderbares Erzählen von "Menschen und Orten", wie seering schreibt und dem ich mich vollkommen anschließe,
Muß gleich leider auf Schicht, sonst würde ich es noch einmal und dann noch einmal lesen.
Herzliche Grüße
rr
Lieber ruhrrot,
freue mich auch ehrlich über Deine lieben Worte,
und natürlich auch für's mehrfach lesen wollen :-))
Eine ruhige Schicht wünsche ich Dir!
Herzlichst
archie
Ja, sehr! Z.B. wenn er von Dir ist. (Hier wäre ein Link auf Miles Davis / Sketches of Spain schön gewesen (Concierto de Aranjuez / Adagio 16:19 ;)), aber Sony möchte das nicht.)
Bei 'Siggi' dachte ich, oh Mann, dass der auch noch Siggi heißen muss. Na ja, zum Glück sind diese Zeiten vorbei...
Sich mit einem 'Siggi' abzugeben, das muss doch de-aphrodisierend wirken?! - Ein Trost, archinaut!!
Ja, lieber Goedzak...
"Was will die Frau?" war auch für Dr. Freud noch unklar,
Dr. Siggi Freud, um genau zu sein :-)))
Die Wege der Aphrodite sind (zum Glück)
noch nicht berechenbar...
Vielen Dank für die Trostspendung!
Trotzdem vielen Dank für den Versuch!