Brief von der flüchtigen Schönheit

Gewohnheit: ... die Zeiger der Uhr kreisen gleichmütig

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Peggy schreibt einen neuen Brief an Marlene:

Er war jetzt sehr müde, wenn wir uns trafen, manchmal rief er kurz vor dem vereinbarten Termin an um abzusagen... oder um Entschuldigung zu bitten, dass es wieder später wird... einmal saß ich schon im Restaurant, habe dann mein Essen bestellt... als er endlich ins Lokal kam, war ich fast fertig...

Du hast gehofft, dass der Koch mich verführt, gib’s zu! so habe ich ihn begrüßt, aber er war ganz bestürzt, dass es schon so spät war, scheinbar hatte er im Büro die Zeit vergessen... und es war dumm gewesen, auf ihn zu warten, denn seine Gesellschaft war wenig inspirierend: Er zweifelte an seiner Mission....

Mir war es immer wichtig, etwas Neues zu finden, sagte er, und genau so habe ich immer meine Ziele gesucht, so habe ich meine Lehrer gewählt und meinen Beruf verstanden.... ein Buch habe ich selten zweimal gelesen, Routinen versuche ich zu vermeiden, wo sie nicht notwendig sind... Wiederholungen kommen mir wie Zeitverschwendung vor... als betrachte ich die Uhr, deren Zeiger so gleichmütig kreisen, bis die Federkraft erlischt... wir leben doch nicht, um ein Regelwerk Tag für Tag zu füllen, sondern um eine neue Farbe zu setzen, einen neuen Klang zu erfinden, vielleicht ein Licht zu zünden... so wie die Saatzüchter dieser Stadt den Ehrgeiz hatten, die Rüben mit dem höchsten Zuckergehalt zu züchten.... auch unendlich viele andere Sorten!

Aber die Rüben wachsen nicht in den Himmel, sagte ich wohl, um ihn zu ärgern, aber er ging nicht drauf ein.

Man kann sich an jeder Rübe freuen, sagte er bitter, aber manche Menschen verlangen, dass die Rüben in jedem Jahr gleich aussehen, egal ob der Sommer trocken ist oder sonnig....

Eigentlich hatte ich mich auf etwas Unterhaltung gefreut... Was ist los, sagte ich, gehorchen Dir Deine Rüben nicht?

Er lachte: Meine Rüben wollen mich dressieren, sagte er dann, und ich fragte ihn: Redest Du jetzt von Deinen Bauherrn oder von den Kollegen?

Diese Stadt ist eine große Prüfung für mich, erklärte er, ich hätte es besser wissen müssen... ich mag flüchtige Schönheit, die im Unerwarteten liegt, im Zufall, die ein Geschenk ist... und Quedlinburg ruht in der Schönheit, die sich aus der Pflege des Überlieferten nährt, durch das Polieren des Gewohnten wirkt, aus der Erwartung, dass man sich im Vertrauten spiegeln kann... aus der Selbstgewissheit...

Ist Dir das verdächtig? fragte ich, glaubst Du, dass die Uhr eines Tages abläuft?

Aber er antwortete darauf nicht, und er bestellte auch nichts mehr zu essen.


Hier endet der 328. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

Ich schreibe um unser Leben. Bitte bleib dran.


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Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

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