Das Geständnis!

Ratlos: Große Koalition gegen die freie Mitte

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Kraut und Rüben
Kraut und Rüben

Foto: Adam Berry/Getty Images

Endlich lesen wir mutige, klare Worte: Der Grundstein für das Humboldt-Forum ist gelegt, der Bau schreitet voran, allein die Nutzung ist noch nicht so klar umrissen wie das Baufeld, schreibt die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung in einem Einladungsschreiben für einen Workshop mit „ausgewählten Gästen“ am 24. September 2013, der auf der Website scheinbar gar nicht angekündigt wird. Wird dieser erlesene Kreis tatkräftig den überfälligen Ausstieg aus dem Wiederaufbau vorbereiten, dem fragwürdigsten aller Großprojekte dieser Republik? Die Idee war nützlich, um den DDR-Palast ungestraft abreißen zu können: nu isser wech, und nach den letzten Umfragen haben die Berliner wenig Sehnsucht nach einem historisierenden Ersatzbau unbestimmten Inhalts zum Preis von über einer halben Milliarde Euro: über sechzig Prozent stehen dem Vorhaben ablehnend gegenüber.

Aber mit den nächsten Sätzen wendet sich das Schreiben einem anderen Ziel zu, deutlich im Sendungsbewusstsein, aufgeladen mit rhetorischer Poesie:Wir wollen einen Dialog über die Funktion der Mitte initiieren, wir wollen mit der Stadtgesellschaft in den Diskurs treten und fragen: Was will die Stadt in ihrem Herzen machen? Wie soll dieses Gebäude mit Sinn für die Gesamtstadt gefüllt werden? Nach unserer Überzeugung sind solche Überlegungen dann auch für alle weiteren stadtplanerischen und städtebaulichen Konzepte die notwendige und zielgebende Grundlage.

Besonders pikant: Der Workshop soll über ein Papier sprechen, das gegenwärtig bei der Stiftung Zukunft Berlin erarbeitet wird. Diese Stiftung residiert im Haus der CDU und wird in persona vertreten durch Volker Hassemer, einen früheren Kultursenator der CDU und langjährigen Propagandisten für die Wiedererrichtung des Berliner Schlosses! Wir erahnen eine Große Koalition der Ratlosigkeit…

Die meisten sind dagegen.

Liebe Friedrich-Ebert-Stiftung, möchte man da gerne antworten, nicht nur die Berliner Stadtgesellschaft, sondern auch die Bundesbürger lehnen das Projekt mehrheitlich ab, wenn man die letzten Umfragen sichtet. Bis heute hat niemand glaubhaft vermittelt, warum ein Denkmal für den Sieg der Westdeutschen über die Ostdeutschen so ähnlich aussehen muss wie das finstere alte Schloss, das vor über fünfhundert Jahren den strategischen Punkt der Doppelstadt Berlin-Cölln besetzte und danach dank immer neuer Erfindungen von herrschaftlichen Akzisen und Fiskalitäten durch die Generationen wuchs wie eine giftige Krebszelle.

Preußen musste nicht sein, schreibt Sebastian Haffner in Preußen ohne Legende. Die Welt konnte es entbehren. Es wollte sein. Niemand hatte dies kleine Land in den Kreis der europäischen Großmächte eingeladen. Es drängte sich auf, und es drängte sich ein.

Was heißt denn hier Identifikation?

Die Katastrophen dieses Hauses haben sich tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben: nicht nur bauliche Desaster wie der Einsturz des Münzturms, nicht nur die gefürchtete disziplinarische Härte seiner Regenten, sondern auch die politische Aggressivität prägen die Legende Preußens in der Welt, schmerzhafte Erinnerungen wie die Vernichtung des polnischen Königreichs oder die folgenreiche Ansprache des letzten deutschen Kaisers vom Balkon des Berliner Schlosses zur Eröffnung des ersten Weltkriegs.

Wie geschichtslos muss man sein, eben an dieser Stelle mit dem „Herz der Stadtgesellschaft“ in den Dialog treten zu wollen?

Ist es ein Versehen oder schlicht Gedankenlosigkeit? Der Verdacht liegt nahe, dass hier ein unverschämter Etikettenschwindel betrieben werden soll.

Die „gute alte Zeit“

Die Entwicklung der frühen bürgerlichen, demokratisch-partizipatorischen Stadtgesellschaft wurde von den Hohenzollern nicht geduldet, sondern bekämpft. Das Schloss wurde 1443 als Zwingburg gesetzt, der Berliner Bürgermeister Bernd Ryke verlor Haus und Hof, später auch sein Leben.

Der Flussübergang mit den Raststätten, Staumärkten, Stapelhäusern und Niederlagen der reisenden und niedergelassenen Kaufleute war die Keimzelle bürgerlichen Wohlstands, die zu Beginn des 15. Jahrhunderts gut achttausend Menschen in Berlin und Cölln ernähren konnte. Die kurfürstliche Präsenz an diesem Ort bedeutete eine nachhaltige Demütigung der mittelalterlichen Städtefreiheit, nicht zuletzt auch den Verlust von Einnahmen, die der damalige Markgraf für sich beanspruchte.

Die gewaltsame Niederwerfung des Berliner Unwillens in den Jahren 1447/1448 führte zum Verlust der Selbständigkeit.

…und die Niederlage durch die landesherrliche Gewalt hat nicht nur die stolze Bürgergemeinde von Berlin und Cölln tief getroffen, sondern war auch ein Ereignis, das über den lokalen und landesgeschichtlichen Rahmen hinaus nationalgeschichtliche Bedeutung erlangte. Es war der erste vollkommene Sieg des Fürstentums über das Bürgertum und führte auch in anderen Ländern des Reiches dazu, dass die Fürsten konsequent gegen die städtische Autonomie in ihren Territorien vorgingen, schreibt Anneliese Schäfer-Junker auf Spreeinsel.de.

Als das Schloss etwa dreihundert Jahren später mit über zwölfhundert Räumen seine letzten Umrisse erreichte, hatte der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. sein Heer auf 83 000 Mann in Friedenszeiten aufgerüstet, das Militär verbrauchte vier Fünftel der Staatseinnahmen!

Souverän gegen Souverän

Nein, Berlin war nicht das Schloss, wie Wolf Jobst Siedler in seinem viel zitierten Essay behauptet, Berlin wurde trotz Schloss, muss man den Berliner Politikern in die Agenda schreiben: Die Kuppel des Berliner Reichstagsgebäudes durfte die Schlosskuppel nicht überragen:Da stand im Verständnis des letzten deutschen Kaisers die Souveränität des Parlaments gegen die Souveränität des Monarchen von Gottes Gnaden. Der Reichstag musste im wörtlichen Sinn zurückstecken und seinen Bau niedriger halten, ist bei Siedler zu lesen.

Erst nach langem Widerstreben stimmte der letzte Kaiser der vom Architektenvorgesehenen Widmung DEM DEUTSCHEN VOLKE über dem Eingangsportal zu, und vielleicht befördern die imperialen Gedanken immer noch die Visionen der Volksvertreter, die in diesem Haus tagen und ihre Entscheidungen treffen, zum Beispiel den Beschluss zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses…

Das historische Stadtzentrum?

Die Entscheidung zur Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses hat absehbare Folgen: ein toxisches Pilzmyzel breitet sich in der Stadtmitte zwischen Schlossbaustelle und Alexanderplatz aus und bewirkt eine unheilvolle Lähmung in politischer Lethargie und stadtgestalterischer Hilflosigkeit: Imitat ersetzt Vision.

Die Bürgerhäuser der mittelalterlichen Stadt an dieser Stelle hatten zwei oder drei Geschosse, die einfachen Fischerkaten aus Lehm waren niedriger. Nicht nur als Begrenzung der Gassen und Straßen, sondern auch in der Höhe gaben die Fassaden dem öffentlichen Raum der städtischen Siedlung seine charakteristische Gestalt … eine Wiederherstellung benötigt also alle drei Dimensionen. Die Re-Implantation eines längst überformten, mittelalterlichen Stadtkerns in den offenen Bereich zwischen Alexanderplatz, Rotem Rathaus und der heute steingefassten Spree kann nur als taktisches, wenn auch durchsichtiges Argument gewertet werden, eine ernst zu nehmende Strategie der Stadtentwicklung für diesen Bereich lässt sich darin nicht erkennen.

Vorgarten des Regierenden Bürgermeisters

Wenn sich Damen oder Herren aus dem Roten Rathaus über die angeblich menschenleere, windige Einöde hinter ihrem Etablissement beschweren, so möchten sie gewiss gerne bemitleidet werden. Mag ja sein, dass man sich für die Mittagspause eine größere Auswahl von Gastronomie- und Pausenangeboten in fußläufiger Entfernung wünscht, aber das darf kein Grund sein, die öffentliche Freifläche in ein weiteres Latte-Macchiato-und-Sushi-Biotop zu verwandeln.

Keine Frage, das Umfeld des Rathauses ist entwicklungsfähig, aber das bedeutet nicht, dass die öffentliche Freifläche verloren gehen darf. Wir wollen dort weiterhin im Schatten von großen Bäumen sitzen, ohne Verzehrzwang einem Wasserspiel zuhören und sehen, wann abends das Licht in den Bürofenstern des Rathauses erlischt.

Ausverkauf

Der Verkauf der Flächen könnte vielleicht hohe Erlöse in die Stadt- oder Landeskasse spülen, aber die privaten Grundstücke wären danach dem öffentlichen Einfluss entzogen… verloren für jede Idee, die zukünftige Generationen an dieser Stelle ausprobieren möchten, ein Verlustgeschäft auf Kosten unserer Erben.

Durch die Mechanismen des Immobilienmarkts getrieben sind in dieser zentralen Lage mit prominenten Aussichten (Rathaus! Schloss! Fernsehturm!) fraglos Höchstpreise in der Vermietung und im Verkauf zu erzielen. Eine öffentliche Förderung und Unterstützung dieser Grundstücksspekulation verbietet sich selbstredend.

Zurzeit werden die höchsten Wohnungspreise auf der anderen Seite der Schlossbaustelle aufgerufen, bis zu 12.000 EUR, hört man. Dass die Nutznießer dieser Entwicklung angemessen an den Erstellungskosten der repräsentativen Kulisse beteiligt werden sollten, fordert bisher niemand. Warum eigentlich nicht?

Verluste sozialisieren, Gewinne privatisieren

Das rekonstruierte Schloss in Hannover-Herrenhausen wird als Kongress-Zentrum von einer Tochter des HOCHTIEF-Konzerns betrieben (der gerade am Rohbau des Berliner Schlosses arbeitet), das Schloss in Braunschweig wurde konsequenterweise gleich als Einkaufszentrum geplant und errichtet…. Wer mag sich wohl an der Ausschreibung beteiligen, die gerade auf der Website der Schloss-Stiftung als Bauherr veröffentlicht wurde: Beratungsleistungen zum Facility Management… mithin Leistungen zum Betreiberkonzept, zum Wartungskonzept und zum Organisationskonzept.

Warum muss die öffentliche Hand mehr als eine halbe Milliarde vorstrecken, um die privaten Geschäftstätigkeiten vorzubereiten? Wie betreibt man ein Nationaldenkmal? Wir dürfen gespannt sein, ob HOCHTIEF auch diese Ausschreibung gewinnt… und natürlich auf die Ergebnisse beim Workshop der Friedrich-Ebert-Stiftung!

Wer weiß, vielleicht findet sich eines Tages ein umsatzstarker Frikadellenbrater, der hier seinen Special Tasty Humburger offerieren will? Den amerikanischen Touristen ist es wahrscheinlich egal, wie antique so ein Schloss wirklich ist, Hauptsache, aus den Kopfhörern rieseln blutrünstige, wahlweise auch sentimentale Stories über verrückte alte Könige, ergreifend wie im Schloss Neuschwanstein.

Nachtrag zum 288. Eintrag vom 30.03.2012: Hinter uns liegen die Chronolysen (in vier Akten)... die Timeline im Blog archinaut: ist inzwischen justiert. Dieser Blog berichtet aus Deiner Welt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

Ich werde Euch nicht schonen. Öffne Deine Augen.

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Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

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