Der verbotene Blick

Das fliegende Auge: Tanz auf dem Sehstrahl

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Peggy liest eine Notiz aus der schwarzen Kladde von Graph Rapido:

27.12.1987

Wenn es geregnet hat, wenn der Wind die Dunstglocke der Stadt vertrieben hat, wenn der Himmel blau ist und die Häuser klare Schatten werfen.... wenn Du Dich an einem solchen Tag auf einem bestimmten Platz befindest, einem Verkehrsknoten im Westen, an dem sich Funkhäuser um eine Grünanlage drängeln....

Wenn Du nun über den großen Straßenzug nach Osten schaust, dorthin, wo sonst versteckt hinter grauer Luft die Siegessäule steht, das Brandenburger Tor, der Palast der Republik, der Fernsehturm am Alexanderplatz.... wenn Du also an einem klaren Tag mit den Augen diesem Straßenzug in die Ferne folgen kannst, 1.000 Meter, 3.000 Meter, 5.000 Meter und mehr........

„Hier bricht der Text ab,“ sagt Peggy, „noch drei Versuche, aber alles ist durchgestrichen....“

Peggy findet eine andere Stelle:

Mai 1989

Wenn es in der Nacht geregnet hat, wenn der Wind die Dunstglocke der Stadt vertrieben hat, wenn der Himmel blau ist und die Häuser in der Morgensonne glänzen und klare, schwarze Schatten werfen, wenn ich an einem solchen Tag auf der Terrasse des Palastes stehe und mit der Sonne im Rücken über die Linden schaue, über das Brandenburger Tor hinweg die Siegessäule mit den Kanonen sehe, die weiße Fontäne am Ernst-Reuter-Platz, und mit den Augen noch weiter laufe zum Horizont, zum Theodor-Heuss-Platz, und dann, ganz weit, mehr zu erahnen als zu erkennen, die spitze Nadel eines Sendemastes sich in der Luft abzeichnet, wie ein Symbol für eine Energieumwandlung der Stadt in etwas Immaterielles, wenn ich also an einem solchen Tag mit den Augen dem Straßenzug folge, 1.000 Meter, 3.000 Meter, 10.000 Meter und mehr, dann fühle ich eine eigenartige Kraft, einen Sog, wie eine unerwartete Strömung in einem Gewässer, das man gut zu kennen glaubte, man muss vertrauen und hoffen, dass man nicht auf die flachen Sandbänke getrieben wird oder in die Klippen, sondern dass die Strömung unser Schiff in das freie Fahrwasser setzt.

Aus dem hundertjährigen Gedächtnis referiert Jünger Dziga Vertov im Jahr 1923: Der Helfer des Maschinenauges ist der Kinok-Pilot, der nicht nur die Bewegung des Apparates lenkt, sondern ihm auch bei Experimenten im Raum vertraut; später wird dies der Kinok-Ingenieur sein, der die Apparate aus der Ferne steuert....


Für die Projektion startet El Lissitzky den Beamer....

Hier endet der 124. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

Ich schreibe um unser Leben. Bitte bleib dran.


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Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

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