Die Graue Frau kehrt zurück

Desperate Despoten: Regieren macht einsam

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Schon wieder hängt der Präsident am Telefon, der Berliner Despot Wow I. ist heute super stinkig: "Wo ist das Geld, Du hast mir fünfhundert Millionen versprochen!" Präsident Wolff hat eine Überweisung zugesagt, Mein Ehrenwort! damit der ewig klamme Despot Wow I., arm aber sexy, die Arbeiten am Berliner Stadtschloss vorantreiben kann. "Hast Du den Matschmeyer gefragt? Hat er Dir Geld versprochen?" schreit der Despot in die lange Leitung.

Wolff am anderen Ende klingt zerknirscht: "Die Chefin hat mich eingeladen...!" Zwei eisige Finger ergreifen das hartleibige Herz des Despoten und durchbohren es umstandslos wie lange, spitze Pfeile mit einem hässlichen Geräusch.... so fühlt es sich an. Die Chefin! Ihren Namen darf ein Sterblicher nicht aussprechen, so mächtig ist ihre Zauberkraft, so geheim ihr Wirkungskreis, wer von ihr sprechen will, flüstert leise von der Grauen Frau.... Der Despot kennt die legendäre Machthaberin des Bundes nur aus Erzählungen, die klingen wie ferne, böse Märchen: Eigentlich hat er die Graue Frau für eine Erfindung gehalten, um den Kindern das Gruseln beizubringen. Angeblich wohnt sie irgendwo in den Wolken.

"Sie möchte mit mir reden, ich muss zu ihr!" gesteht der Christliche Wolff etwas kleinlaut am anderen Ende des Drahtes. Der Despot wartet still auf weitere Einlassungen des Präsidenten. Möglicherweise kann ich doch allein im Stadtschloss residieren, denkt Despot Wow I, der Ruf der Grauen Frau kann nichts Gutes bedeuten. "Kannst Du mitkommen? Ich will nicht ohne Begleitung zur Grauen Frau gehen?" setzt der Präsident nach. Jetzt ist der Despot überrascht, fast ein wenig gerührt. Aber er zeigt es nicht.

"Wie soll ich Dich auf diesem Weg begleiten?" fragt er misstrauisch, "wir sind doch nicht in der gleichen Partei!"

"Sie will, dass ich Schluss mache," sagt Wolff traurig, "und ich soll ihr gleich einen Nachfolger präsentieren..... Du hast doch nichts dagegen?" Der Despot ist so überrascht, dass er für einen Moment nichts erwidern kann. "Präsident ist ein cooler Job, genau das Richtige für einen Despoten in der midlife crisis!"

"Wer sagt so was?" giftet Wow I, "ich habe meinen Laden im Griff, was man von Dir wirklich nicht behaupten kann!"

Kaum eine Stunde später betreten Präsident Wolff und Despot Wow I. die Residenz der Grauen Frau, eine besonders tief hängende Wolke in der Nähe der Siegessäule über dem Berliner Tiergarten. Sie sitzt an einem kleinen Küchentisch, darauf liegt eine Kristallkugel, in der winzige Lichtfunken pulsieren. Die Chefin begrüßt die beiden Besucher freundlich, aber knapp und kommt schnell zum Kern ihres Anliegens:

„Wir müssen über das Ende reden,“ fordert sie und fixiert den Christlichen Wolff mit einem Blick geschmiedet aus zwei Stahlnägeln.

Der Blick des Präsidenten wandert zwischen der linken und der rechten Hand der Chefin hin und her: sie scheint eine SMS auf der Kristallkugel zu tippen.... „Ich kann nicht zurücktreten,“ sagt der Christliche Wolff, „mein Haus ist noch nicht abbezahlt, das dauert noch eine Weile!“

„Ein Kapitän bleibt bis zum Schluss!“ wird die Graue Frau jetzt kategorisch, „Du stehst einfach auf der Brücke und hältst den Atem an, wenn das Wasser steigt: Du bist der Kapitän!“ Sie schaut wieder in die Kristallkugel.... ist die Audienz beendet?

„Ist das nicht Eure Rolle, Chefin? Ihr seid Kapitän!“ Der Präsident hegt die stille Hoffnung, dass er vielleicht aus der Nummer rauskommt...

Die Graue Frau konzentriert sich auf die Glaskugel, dort erscheint jetzt eine Botschaft aus lauter kleinen Buchstaben .... sie schaut wieder auf:

„Frauen und Kinder zuerst, lieber Präsident...“ lächelt sie etwa spitzbübisch? „Nein, nein, Dein Platz ist auf der Brücke!“

Dann mustert sie den Berliner Despot Wow I., der etwas blass geworden ist. Der Despot senkt nicht den Blick, er weiß, dass er jetzt etwas Wichtiges sagen muss, damit sie ihn nicht für einen Hanswurst hält. In diesem Moment könnte er sich alles wünschen: Wissen ohne Grenzen, Fruchtbarkeit für tausend Kinder oder das ewige Leben. Aber sein Gehirn ist so leer wie eine vertrocknete Nuss.

„Könnt Ihr bald das Geld für das Stadtschloss überweisen,“ fragt der Despot, „fünfhundert Millionen hat der Bund versprochen!“

Die flimmernden Funken in der Kristallkugel erlöschen, die Graue Frau schließt die müden Augen, ihr Gesicht wird zu einem stumpfen Stein.

Und in diesem Moment durchzuckt den Berliner Despot Wow I. die seltsame Ahnung, dass auch er selbst Kapitän auf einem sinkenden Schiff ist...


Hier endet der 248. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

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