Erdarbeiten

Am Schlossgrund: Mies fasst einen Entschluss...

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Seit Tagen treibt Mies um die Baustelle.... an seinen ersten Besuch kann er sich kaum erinnern, viel Zeit wird bis dahin noch vergehen.... gestern war ein sonniger Frühlingstag, heute ist die Luft feuchtkalt wie im Herbst, die Jahreszeiten geben keine Heimat mehr....

Mies hat Hunger und Durst, vergeblich hat er in den letzten Wochen versucht, die verlorenen Freunde und den verschollenen Tourbus zu finden.... Wo ist der archinaut:?

Vergeblich auch die Hoffnung, irgendwo an den Straßen und Plätzen aktuelle Nachrichten zu finden, Flugschriften oder Zeitungen... der illegale Straßenhandel verteilt nur Lebensmittel und Drogen, die Plätze werden kontrolliert von bewaffneten Guards, ebenso alle Eingänge zu öffentlichen Gebäuden oder zu den zahlreichen Hotels der verschiedenen Kategorien. Informationen zirkulieren offensichtlich über Funknetze, aber Mies hat keinen Zugang.

Immer wieder schlendert er an den Absperrgittern entlang, er riecht die frische Erde, die von den laut brüllenden Baggermaschinen aus dem Schlossgrund gebrochen wird.... mächtige sandfließende Erdmassen werden verschoben und verladen, erwartungsvoll gereiht liegen die leeren Schleppkähne am Spreerand.

Es wird noch viele Monate dauern dauern, bis die ersten Gerüste in die Höhe wachsen..... aber die Fundamente sollten vor dem Frost in der Erde sein, denkt Mies. Baustellen haben ihn schon immer fasziniert, die grüne Haut der Erde, das Breiten der Lagerungen, die Vektoren der Materialien, das Richten der Kräne, die Choreographie der Lasten und die Intelligenz der Knoten..... auf der Baustelle muss sich der Plan in Echtzeit behaupten, jedes Detail soll doch vorher auf dem Zeichentisch zur Perfektion gereift sein... Gott ist im Detail, erinnert er sich.... später sind die Details selbst zu Gott geworden.

HOCHMETALL steht in großen Lettern an den Absperrgittern, HM in Gold auf schwarzem Grund.... die Buchstaben rufen ihm eine blutige Geschichte ins Gedächtnis, die jemand vor langer Zeit erzählte... und so schlendert er weiter und wendet seine hungrigen Augen zu Boden, um das Plakat nicht zu sehen: Bauleiter gesucht!

Mies möchte vermeiden, dass die Schlossguards aufmerksam werden, er hat ihre Container am westlichen Rand der Baustelle immer im Blick, er ahnt, dass sie nicht seine Sprache sprechen. Sollten sie ihn als Schädling verdächtigen, müsste er die Hoffnung begraben, die vertrauten Freunde wieder zu sehen..... adieu, archinaut:

Die kaltfeuchten Nachtstunden verbringt er zusammengekauert unter der alten Eiche am westlichen Ufer der Spreeinsel in einer Erdhöhle, die er seit einigen Wochen bewohnt.

Der beißende Hunger treibt ihn schließlich heraus in das trübe Morgenlicht der Frühschicht, er fragt sich durch, dann steht er vor der Sichtluke eines schwarzen Containers.

„Name?“ „Ludwig Mies van der Rohe...“

„Mies, Firma Rohe.....“ notiert der Mann mit dem Helm.

„Zu wem wollen Sie?“ „Vorne ist ein Schild: Bauleiter gesucht....“

Die Stimme schickt ihn weiter in das Containerlager, zwei Treppen hoch, recruitments steht an der zerbeulten Stahltür:

„Name?“ „Ludwig Mies van der Rohe...“ Mies schaut kurz, keine Reaktion gegenüber. Sein Name scheint nicht bekannt.

„Letzte Tätigkeit?“ „Ich war Architekt...“ Jetzt lächelt Gegenüber, aber es ist kein freundliches Lächeln.

„Was können Sie denn?“ „Sie suchen einen Bauleiter?“ fragt Mies zurück.

„Das ist noch keine Antwort!“ stellt Gegenüber trocken fest.

„Mein letzter Bau in Berlin war die Nationalgalerie....“ Mies ist nicht sicher, ob das Gebäude noch existiert, er hat es nicht mehr gefunden. Möglicherweise ist sein Orientierungsvermögen angegriffen, er könnte nicht sagen, ob es in dieser Stadt noch Wege gibt, die nicht zur Schlossbaustelle führen.

„Es gibt keine Nationalgalerie in Berlin....“ murmelt Gegenüber und schiebt den Monitor in die Blicklinie.... das Gespräch ist vorbei.

„Ein Geschoss als Stahlbau, das Sockelgeschoss in Beton und Mauerwerk...“ versucht Mies eine Fortführung der Kommunikation, aber Gegenüber hat jegliches Interesse verloren.

Mies steht auf und geht langsam aus der deformierten Tür, er hält sich dicht an den Containerwänden. Die Baustelle dröhnt. Jemand ruft ihn: „Bist Du der neue Bauleiter? Komm runter, hol Dir sofort einen Helm!“

Vorsichtig steigt Mies die Stahltreppe hinab, unten erwartet ihn ein schwarzer Helm, das Logo HM goldgeprägt, dazu schwere Stiefel mit Stahlkappen....



Hier endet der 292. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

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