Fraternité

Vom Lieben: Peggy erzählt, wie sie Beckett aus den Augen verlor und den obersten Vogel zum Fliegen brachte

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Die Plauderei über Beckett erfrischt Marlenes Lebensgeister: „Hat er Asche hinterlassen, dein roter Angler?“ fragt sie neugierig.

„Als ich gehen musste, ließ er sich von einer anderen trösten..... später versuchte er mich telefonisch zu erreichen, aber ich wollte nichts mehr von ihm wissen... kurz darauf wurde er niedergestochen und in ein Krankenhaus eingeliefert, lange wusste niemand, wo er steckt..... als ich davon erfuhr, habe ich ihn besucht und musste feststellen, dass sich eine andere Freundin rührend um ihn kümmerte...... sie haben übrigens später geheiratet, er liebte sie nicht, ließ sich aber umsorgen wie ein fetter Kater.... seine erste Ehe, ich hatte damals bereits zwei Ehemänner überstanden....“ dabei lacht Peggy kurz auf.

„Du sagst, dass er sie nicht liebte....?“ fragt Marlene vorsichtig.

„Wir haben uns noch ein Jahr lang getroffen, er konnte sich nicht entscheiden, aber die heitere Stimmung unserer ersten Woche habe ich mit ihm nie wieder erlebt...“ Peggy betrübt unversehens: „Er war depressiv und launisch, aber wenigstens war er ehrlich... bei vielen Männern sehe ich nur Dollarzeichen in den Augen.... nenn sie einfach die grünen Angler: nicht als Mensch nehmen sie mich wahr, sondern als Frau mit Geld, als Käuferin, als Scheckbuch auf zwei Beinen mit lockerem Kleingeldauswurf..... Männer spielen den geheimnisvollen, depressiven Prinz, um meine Unterstützung zu bekommen.... sie wissen ja nicht, dass die Familie mir nur einen begrenzten Erbteil zugestanden hat!“

„Du warst immer sehr großzügig!“

„Dich verehren viele, liebe Marlene, überall fliegen dir die Herzen zu und ich will nicht neidisch sein.... ich erkenne ja, dass Du diese Bewunderung durch härteste Arbeit erreicht hast!“

„Der einzige Weg, wenn du auf der Roten Insel in Berlin-Schöneberg geboren wirst...“

„Weil ich in einer reichen Familie aufgewachsen bin, mag mir niemand etwas schenken.... was auch immer ich erreichen will, muss ich mir kaufen! Sogar mein Sorgerecht als Mutter musste ich bezahlen, nach der Trennung wollte mir der Vater unsere Kinder gerichtlich entziehen: wir Guggenheim-Frauen seien angeblich unfähig Kinder großzuziehen!“

Marlene schweigt, sie kennt die traurige Fama zu Peggys Schwester: Nachdem der Ehemann die Scheidung eingereicht hat, besucht sie unangemeldet eine Freundin in einem Penthouse im 15. Stock, der housekeeper lässt sie ein und telefoniert nach der Hausherrin..... aber während der Wartezeit stürzen die beiden kleinen Söhne von der Terrasse in den Tod, als sie an der Brüstung um die Mutter rangeln....

„Denkst du gerade an einen bestimmten Prinz?“ fragt Marlene, um das familiäre Trauma mit Abstand zu umschiffen.

„Ja, ich denke an Max..... die Nazis hatten Paris und den Norden besetzt, ich hatte meine ersten Bilder erworben, abstrakte und surrealistische, ich war die ganze Zeit unterwegs in Frankreich, Nord und Süd, aber die neuen Machtverhältnisse veränderten alles, gerade bei den neugierigen, bei den aufgeschlossenen Franzosen, die anderen redeten jetzt plötzlich sehr laut über die verlorenen traditionellen Werte, beneideten sogar die Deutschen um ihre Nazis....suchten ein Arrangement mit dem besetzten Norden, erwarteten eine Révolution Nationale und ersetzten die Parolen der großen Tage Liberté, Égalité, Fraternité durch Travail, Famille, Patrie! Noch immer suchte ich nach Möglichkeiten meine Bilder zu zeigen, auch wenn man mich davon abbringen wollten: Als Jüdin bist du schon in Gefahr, warum willst du auch noch deine neue Sammlung riskieren, ist alles entartete Kunst, wenn die Nazis dich erwischen, warnten mich meine Freunde, daher habe ich alle Kunstwerke von Marseille aus in die Staaten verschickt.... Max musste mir übrigens erst erklären, wie bösartig und krank diese deutsche Begrifflichkeit ist, entartete Kunst hatte ich einfach nur als kunstlose Kunst verstanden....“

Langsam hat sich die Bebel-Bar mit lebhaften Gästen gefüllt, US-Amerikaner die meisten, nach den Stimmen gezählt. Durch die Fenster hinter dem barkeeper dunkelt blau der frühe Abend. Peggy muss ihre Stimme heben, um die Geschichte weiter zu erzählen.

„Drei Bilder von Max Ernst hatte ich schon gekauft, als er noch irgendwo im Lager interniert war, in Marseille lernte ich ihn dann kennen, loplop, oberster vogel, maler, dichter, theoretiker des surrealismus von den anfängen der bewegung bis heute...... seine Gefährtin hatte ihr gemeinsames Haus verschenkt, wahnsinnig vor Angst, dass die Nazis es beschlagnahmen könnten, sich dann nach Portugal abgesetzt....hätten die Nazis Max noch einmal gekriegt, wer weiß, wohin sie ihn verschleppt hätten.... er war so ratlos, ich nahm ihn mit..... die nazifreundlichen Franzosen trieben schon die ersten Juden zusammen, mein amerikanischer Pass wurde noch akzeptiert, wenn ich kontrolliert wurde, immer wieder musste ich ausweichen und meine jüdischen Eltern verleugnen.... zum Glück konnte ich reisen: von Marseille nach Lissabon, wo Max seine verlorene Liebe wieder fand, die aber dringend einen mexikanischen Millionär heiraten wollte.... mit viel Mühe organisierte ich zehn Karten für den Clipper nach New York..... ja, ein Ticket auch für Max...“


Hier endet der 148. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

Ich schreibe um unser Leben. Bitte bleib dran.


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Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

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