Égalité

Vom Lieben: Peggy beendet ihren Bericht vom Besuch der Feininger-Galerie mit einem Breitwand-Panorama-Blick

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„Er bot an, mir ein paar Stellen der Stadt zu zeigen, die in den Reiseführern nicht verzeichnet sind. Ob ich sein Atelier sehen dürfe, fragte ich ihn. Er war Architekt, soviel hatte ich schon herausbekommen,“ erinnert sich Peggy an die Begegnung in der Galerie, „aber er bei dem Wort Atelier musste er heimlich lächeln, er dachte wohl, ich merke es nicht: Wir arbeiten in einem Büro, sagte er, das zeige ich Ihnen gerne.

Gedankenverloren rührt Marlene mit dem kleinen Silberbesen die Bläschen aus dem Champagner, sie hört jetzt zu.

„Der Tag spannt ein Frühlingslächeln in die späte Winterwoche, aus den uralten Kellern riecht es noch ranzig nach Schimmel, Moder und Rauch, die kleine Stadt ist zusammengebacken wie ein Sedimentkuchen, jeder Pflasterstein könnte seinen eigenen Namen haben, mit einer Vita bis zurück in’s Neolithikum...... neben der Galerie wartet das Klopstock-Haus, crazy old poet, kennst Du den Namen Klopstock, liebe Marlene?.... wir aber wandern durch die schmale Gasse am Fuß des steilen Schlossbergs, oben ragen die mittelalterlichen Mauern und die Stiftskirche, auf der anderen Seite der Gasse stehen niedrige, bunte Fachwerkhäuschen, alle Fenster stehen offen, um die erste warme Luft reinzulassen, auf Holzbänken sitzen die Leute davor, blinzeln in die ungewohnte Sonne, sortieren tote Blätter aus den Blumenkästen oder graben gegenüber in ihren handtuchgroßen Gärtchen, die gegen den Hang gepflanzt liegen, ein bürgerliches Idyll wie von Spitzweg gemalt... herzerwärmend für Touristen, aber jeder Ortsfremde könnte diese traute Heimeligkeit stören....“

„Wir umrunden den steilen Schlossberg, viele Stufen, auf und ab, schließlich in Treppen weiter abwärts, gewunden folgt der Weg dem mächtigen Sandsteinfelsen, der das Schloss trägt, entlang an Stützmauern und Fachwerk, hinab zu einer Brücke, ein Bach murmelt unter uns, dann noch eine kurze Strecke...“

„Am Rand des großen Parks, hinter einer Mauer liegt das alte Wasserwerk, ein Klinkerbau, breit gelagert, daran ein Turm wie bei einer alten Villa, hinter dem Eisentor führt mich meine neue Bekanntschaft durch einen verwunschenen Patio, das Büro liegt im Obergeschoss, offen in drei Richtungen mit großen Fenstern bis zum Boden..... man schaut weit in die alten Baumkronen, in die Wiesen des Park und auf einen schnell fließenden Fluss, einen guten Steinwurf entfernt....“

„Das habe ich nicht erwartet: Was für ein wundervolles Atelier! Wie im Märchen arbeiten Sie hier! Er überlegt kurz...... Ja, sagt er dann vorsichtig, vielleicht liegt darin das Problem...Märchen nimmt man nicht wahr....“

„Dann erzählt er mir, dass er mit dem Büro erst vor einigen Monaten in das alte Wasserwerk eingezogen ist... aber trotz der zauberhaften Szenerie wirkt er nicht glücklich....“

„Als ich hier anfing, dachte ich, dass wir die gleichen Ziele haben, trotz der unterschiedlichen Geschichte..... aber in dieser Stadt musste ich erfahren, dass man nur die Erinnerung für den Boden hält, auf dem Zukunft wachsen kann. Veränderung ist verdächtig.“

„Verdächtig? frage ich ihn, und er sagt: Alles Schlechte kommt von drüben, sagen jene, die viel verloren haben. Das eigene Haus kann man umbauen, nicht aber eine ganze Stadt, es sei denn, nach der Katastrophe....... aber dazu schweigt man lieber, und ich bitte Sie auch, vergessen Sie einfach, was ich erzähle.... Dabei lächelt er sogar etwas... Quedlinburg braucht viele Freunde in der Welt!“

„Auch er braucht neue Freunde...“ spöttelt Marlene.

„Als ich später den Fahrplan in meiner Tasche suche, bietet er mir an, mich nach Magdeburg zu bringen, damit ich den Nachtzug noch erreiche.... wir fahren in den Abend, und irgendwo auf der Strecke biegt er auf einen kleinen Platz neben einer Kurve der Straße, hier beginnt der Hakel, sagt er..... der Wagen steht über einer sanften Anhöhe wie auf einer Aussichtsterrasse, wir schauen zurück, der Harzrücken füllt den Horizont im Breitwand-Panorama, liegt da im letzten Leuchten dieses hellen, klaren Tages. Rechts sieht man die Türme von Halberstadt, sagt er und deutet auf einige Spitzen, die weit, weit entfernt über dem aufsteigenden Dunst schweben, und irgendwo direkt vor uns liegt Quedlinburg, es ist nicht zu sehen, versteckt in einer Senke vor dem Harz seit über tausend Jahren, auch im dreißigjährigen Krieg hat man es nicht gefunden, es blieb also unzerstört.. ein magischer Ort, der mir durch die Offenbarung seiner Geheimnisse Weisheit und Ekstase schenken würde, vielleicht sogar den Tod.

„Mein Gott, der Mann klingt aber angestrengt...“ merkt Marlene an.

„An Max musste ich denken..... wäre er dabei gewesen, so hätten wir Liebe gemacht in diesem Moment, in dem die Nacht sich so zärtlich über die weite Ebene schob....“


Hier endet der 154. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

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