Kein Raum in der Herberge Berlin/Leipzig 1999: Seitdem unsere zweite Tochter zur Welt gekommen war, hatte die Freundlichkeit einiger Hausbewohner spürbar nachgelassen.
Besonders die allein erziehende Hauswartsfrau direkt unter uns nahm die Verfolgung auf. Zuerst forderte sie unsere Unterschrift gegen die Automatenspielhalle im erdgeschossigen Ladengeschäft, danach sammelte sie gegen uns.
Lautstark protestierte schon der Säugling gegen die Zumutungen der Welt, gegen noch unbenennbare Schmerzen, gegen das Ablegen ins Bettchen, gegen Schlaflieder und Spieluhren, gegen die Dunkelheit....... unsere Zweite war anstrengender als die Erste.
Nicht nur an’s Herz gewachsen ist sie mir wie die Erste, sondern auch an’s Ohr durch unser abendliches Ritual: Über drei Jahre lang musste ich sie nach dem Essen auf den Schoß nehmen, das Licht in der Küche löschen, und sie zwirbelte sich mit dem rechten Händchen an meinem linken Ohr allmählich in die Traumgründe...... und nicht selten fanden wir zusammen in den Schlaf.....
Ein paar Häuser weiter hatte ich mit einigen befreundeten Architekten einen Laden als Büro für die ersten Aufträge gemietet, bei halbwegs erträglichem Wetter winkten Mutter und Kinder auf dem Weg zum Spielplatz durch die große Scheibe oder besuchten mich kurz.
Aber das muntere Treiben in unserer Wohnung führte zu finsteren Blicken im Treppenhaus, zu spitzen Bemerkungen, zu Briefen, die über die Hausverwaltung ausgetauscht wurden. Eine befreundete Familie besuchte uns und fand Hundekot im Kinderwagen, als sie wieder aufbrechen wollte.
Nachdem die Hauswartsfrau unter uns ausgezogen war, erhielten wir per Einschreiben die Kündigung der Wohnung, später auch eine Räumungsklage: Die Wohnung unter uns sei wegen dem Lärm der Kinder nicht vermietbar..... (die Wohnungen des Hauses waren gerade zu Eigentumswohnungen umgewandelt worden).
Wenn man in einem Prozess verklagt wird, schreibt man um die Wahrheit, Punkt für Punkt widerlegt man erfundene Protokolle und gegnerische Vorwürfe.
Wir wehren uns gegen die Vertreibung, da der Vermieter nach der Meinung von befreundeten Juristen eine Familie nicht einfach auf die Straße setzen kann.....mit freundlicher Zuversicht gehe ich in den Termin, ob es gerade das ist, was die Richterin stört?
Mit Kindern wohne man nicht im Altbau auf Holzbalkendecken. In der schriftlichen Urteilsbegründung findet sich diese Bemerkung allerdings nicht wieder, übrigens auch kein Formfehler, mithin kein Angriffspunkt für eine Erfolg versprechende Berufung....
Wenn das Geld ständig knapp ist, wirken die Kosten eines verlorenen Prozesses wie eine Strafe, ein hoch vierstelliges Bußgeld für das Leben mit Kindern. Zu spät erkennen wir, dass der Mitgliedsbeitrag unseres Mietervereins keinen Rechtsschutz umfasst.
Nahezu unlösbar stellt sich nach dieser Verurteilung das Problem, eine neue Wohnung zu finden und zu beziehen, die notwendige Kaution und die doppelten Mietzahlungen zu leisten. Zum Glück hält unser großer Familien-Kombi durch.
Wenn dazu noch Aufträge fehlen, weil zu wenig Zeit zum Akquirieren oder für Wettbewerbe eingesetzt werden kann, muss man das Büro schließen.
Und so finde ich mich eines Tages in einer fremden Stadt, mit der Familie zu Besuch in Leipzig für ein paar Tage ......ich verabschiede mich, gehe aus der Wohnung zu einer neuen Arbeit, in ein fremdes Büro, und als die Tür hinter mir zufällt, zerreißt mit dem Schrei unserer kleinen Tochter, die gerade versteht, das nichts mehr wird wie früher, zerreißt ein Herz in ihrem Schrei, ihr habt mir später erzählt, dass sie lange nicht zu beruhigen war, sie heulte und schrie und warf sich auf den Boden und trommelte gegen die Tür.....
Unser Nest wurde zerpflückt zwischen Berlin und Leipzig, und dieses Geräusch feinseiden, wenn das Herz zerreißt, das hört man bei vielen Menschen und an vielen Orten nicht erst seit jener Zeit. Jedes Recht findet seine Richter.
Hier endet der 54. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion mit Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:
Ich schreibe um unser Leben. Bitte bleib dran.
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Dieser Blog mischt Fiktion mit Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:
Ich schreibe um unser Leben. Bitte bleib dran.
Kommentare 7
Lieber archie,
ein herzzerreißender Blog. Danke für den Einblick in Dein Privatleben, der für Dich wahrscheinlich Innenwelt , für mich aber Außenwelt ist.
Ich denke, dass was Du schreibst, ist es, was heute in der Welt los ist, bei den Menschen, denen es nicht so gut geht.
Für mich mit das Beste, was ich von Dir gelesen habe.
Feinseiden ist das Geräusch, dass das Herz zerreißt, doch kann es außer Deinem Herzem und denen Deiner Familie nicht mit den Herzen verbunden werden, denen es wirklich das Herz zerreißen müsste, weil sie das in die Welt gesetzt haben, was Unglück über die Herzen bringt.
Sei stark! Die Quelle des feinseidenen Geräusches, dass Dir das Herz zerreißt, braucht Dich!
Für 2010 wünsche ich Dir von ganzem Herzen bessere Zeiten und nettere Nachbarn!
Das mit dem Mieterverein sagt mir, dass Du weisst, wo man sich Hilfe holt.
Möge Sie Dir in 2010 zuteil werden, wann immer Du sie brauchst.
Ich danke Dir sehr für Deinen mutigen Blog, der mir außerordentlich gut gefallen hat!
Herzliche Grüße
por
Lieber por,
vielen herzlichen Dank für Dein Mitgefühl und Deine weiteren Gedanken dazu...... Heimat ist ja immer Innen und Aussen gleichzeitig, "irgendwie links" übrigens auch.
Wenn es nur eine ferne Erinnerung wäre, hätte ich den Beitrag jetzt nicht reingestellt.
Man denkt wieder über die Lockerung des Kündigungsschutzes nach und begründet das mit den berüchtigten Mietnomaden....
Ich wünsch Dir eine sichere Wurzel auch in 2010
archie
Lieber archie,
verzeih mir meine Unachtsamkeit.
Ich habe es nochmals durchgelesen.
Es war gottseidank vor 10 Jahren.
Hoffentlich geht es Euch heute besser!
Herzliche Güße
por
Lieber archie,
ach doch keine ferne Erinnerung. Ich habe gede zeitgleich , aber noch vor Dir gepostet.
Ich denke dan Dich.
Herzliche Grüße
por
Lieber por,
heute reisse ich Schlösser aus :-)))
Aus den Fehlern der Vergangenheit muss man lernen:
Trau' niemals auf Gerechtigkeit!
Einen schönen Sonntag noch
(und bitte nicht immer um Verzeihung bitten,
bestimmt passiert es jeden Tag noch wie geschildert)
archie
Das ist wirklich sehr eindrücklich und traurig. Das Leben mit Kindern ist schwierig.
Nur: Ich hätte von der Rechtslage her immer gedacht, dass Kinderkrach eher eine Garantie ist, dass man siegt in einem solchen Verfahren. Mir unvorstellbar, dass da eine Holzbalkendecke eine Rolle spielte.
Andererseits: Krach ist auch immer eine Sache,die zwischen Nachbarn Verdruss schafft. Man kriegt das nur hin, wenn man aufeinander zugeht, aber das ist auch nicht immer einfach.
Mit Anteilnahme gelesen
Vielen Dank, liebe Magda,
die Lebensfähigkeit unserer Gesellschaft zeigt sich im Zugehen auf die kommende Generation.
Kinderlärm sollte sowenig als Krach empfunden werden
wie Meeresrauschen.
Gibt ja keinen Knopf zum Abstellen...