Kleiner Entwurf über die Zeit

Im archinaut: Ernst Jünger hat gekocht: Couscous mit frittierten Heuschrecken

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Zum Essen entfaltet sich im archinaut: eine Diskussion:

„Eine gute Story ist in zwanzig Sekunden erzählt!“ behauptet Marlene, „wenn der Plot danach nicht zündet, vergiss die Sache!“ El Lissitzy ist leicht gekränkt, weil niemand nach der Fortsetzung seiner Geschichte fragt: „ Die Wahrheit kennt keine Zeit,“ seufzt er. Marlene ist oft ungeduldig.

Mies denkt an die Liebe..... zwanzig Sekunden? „Neun Monate braucht eine Schwangerschaft,“ wendet er ein.... „Neun Monate dauert eine Revolution,“ pflichtet El bei, „zwanzig Sekunden braucht das Fallbeil!“ „Drei Minuten hat ein Popsong!“ weiß Alex. Ernst Jünger betrachtet die kandierte Heuschrecke auf der Gabelspitze und schiebt sie wortlos in den Mund, Höchstens fünfzig Tage! denkt er, weiß er doch als Gourmet der Entomophagie, dass der Geschmack am besten entwickelt ist, wenn die Entwicklungszeit gerade abgeschlossen ist: „Ich kenne Menschen, die denken in Jahresringen wie alte Bäume...“ „Die deutschen Anthroposophen rechnen in Siebenjahresperioden,“ glaubt Peggy sich zu erinnern, „nach sieben Jahren kehrt auch ein Lachs aus dem Meer an den Brutort zurückkehrt, um zu laichen, zu sterben und zu verwesen. Wenn ich die Brandung höre, kann ich mir die Ewigkeit vorstellen.“

„Time for archinaut:s finest! John „The Brain“ öffnet eine Flasche, Marlene und Jünger reichen ihre Gläser.

„Mein Komponist findet die Melodie im Bruchteil einer Sekunde!“ beharrt Marlene nun und wendet sich an Mies: „aber diese Sekunde muss er immer wieder suchen. Wie ist das bei den Architekten? Wie viel Zeit brauchst Du für einen Entwurf?“

„Die Zeit für einen Entwurf lässt sich nicht messen.... manchmal steht der Einfall am Anfang, ein Moment wie der unmessbare göttliche Funke, die Ausarbeitung verlangt dann beharrliche Genügsamkeit und geduldige Erinnerung um dieser Erscheinung zu folgen..... oft aber steht eine Frage am Anfang, Zweifel....man horcht in die Welt nach einer Antwort, die kommt vielleicht aus dem Stein oder aus dem Wasser, aus dem Raum, aus dem Wald.... so bewege ich mich durch ein Idealgebäude, das sich immer weiter entwickelt, in dem ich viele Jahre leben kann und mit jeder Aufgabe in einer neuen Konstellation festschreiben will, Werk für Werk...“

„Kann die Antwort von einem anderen Menschen kommen?“ will Peggy wissen. Marlene lächelt maliziös, verwirft sie etwa eine spöttische Bemerkung?

„Deine Überzeugung steht am Anfang,“ wirft El jetzt ein, „Du weißt, dass die Welt anders werden muss, Du entwirfst ein neues Wort, eine frische Parole, ein Bild, eine Theorie, ein Gehäuse für die Kräfte, die Du freisetzen willst!“ Mies schweigt kurz, sagt dann: „Ja, das habe ich vielleicht schon vergessen.“

„Habt Ihr in Moskau denn nicht Eure Ideale verabschiedet, als die Revolutionäre die Macht erobert hatten?“ fragt Jünger, „Wo sind die vorwitzigen Proune geblieben?“ „Das Schwarze Quadrat hat gesiegt!“ setzt El Lissitzky dagegen, „sieh dich doch um!“

„Die Antwort kommt sehr oft von einem anderen Menschen, liebe Peggy,“ murmelt Humboldt-Will, „es kann auch die Person sein, die Du mal gewesen bist oder die Du sein willst.....“

„Mein Bruder betrachtet gern die Vergangenheit, dort sind viele andere Menschen zu finden,“ erklärt Alex, „ich halte mich lieber an die Zukunft, die ist leer und unbeschrieben.“

„Da sind wir in der Geschichte, die ich von Graph Rapido erzählen wollte,“ El schaut zur chaotisch blinkenden Chrono-Navigation hinüber: „Wenn die Jahreszahl doch endlich stabil wäre, dann könnte ich sagen, ob es schon vorbei ist...“ „Die Zukunft vorbei?“ Marlene mag es nicht, wenn Männer kryptisieren.

„Rapido hat mir damals seinen Plan erzählt...... er wollte Jahr für Jahr ein neues Bauwerk für eine Serie von Gebäuden entwerfen...“ „Ein Entwurf pro Jahr? Daran ist nichts Besonderes!“ wundert sich Mies. „Er wollte für jedes Jahr ein neues Haus bauen?“ fragt Peggy interessiert. „Die Umsetzung kümmerte ihn noch nicht. Er hatte vor, am Verlauf dieser Entwürfe seine Entwicklung als Architekt abzulesen....... als ob ein einziger Entwurf durch ihn hindurchfließt und jedes Jahr eine neue Hochzeit feiert....“

Eine ungestellte Frage will El Lissitzky noch beantworten: „Den Entwurf für den ersten Bau hat er im Jahr 1989 gezeichnet, sein Vorhaben zielte auf siebenundzwanzig Häuser, damit findet der Plan in einem bestimmten Jahr sein Ende...... wir aber wissen noch nicht, ob wir das Jahr 2016 nach der christlichen Zählung schon erreicht haben.“


Hier endet der 121. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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archinaut

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