Rumpelreime aus den Waffenkammern der wilhelminischen Nostalgie, publiziert im Jahr 1921:
Unter den Linden
Dorothea, die zweite Gemahlin des Großen Kurfürsten, pflanzte die erste Linde der breiten Straße, die von der Schloßinsel schnurgerade in den Tiergarten führte; aber das Schloß war noch die düstere Burg an der Spree.
Erst Friedrich, der ruhmsüchtige Sohn des Großen Kurfürst, begann den gewaltigen Schloßbau, zu dem er den Bildhauer und Baumeister Andreas Schlüter in seinen Dienst holte.
Mit zwei sehr großen Höfen warf Schlüter den Grundriß über die Breite der Schloßinsel hin, und der Größe des Plans entsprach die Kraft der barocken Gestaltung.
Gebändigte Wildheit war alles, was dieser Mann aus seiner großen Natur zu bauen und zu bilden unternahm: seine Portale standen als wahrhafte Königstore am Schloß; und als er dem Großen Kurfürsten sein Reiterbild auf der Langen Brücke aufstellen durfte, verkündigte es seinen Ruhm mit dem des Fürsten, weil es das stärkste Sinnbild gebändigter Kraft auf deutschem Grund war.
Weder das Schloß noch das Zeughaus, daran die Masken der sterbenden Krieger in die Ewigkeit starren, durfte Andreas Schlüter vollenden, weil sein Ungestüm in Ungnade fiel und durch den Schweden Eosander von Göthe gefällig ersetzt wurde; aber durch seine Wirksamkeit war der Kunst in Preußen Gewicht und Wirkung gegeben.
Zwar der Soldatenkönig werkelte draußen in Potsdam, und der alte Fritz wohnte in Sanssouci, das ihm nach seiner Idee Knobelsdorff baute, der mit seiner großen Leibesgestalt ein Tafelgenosse des Königs, in seinen Bauträumen ein Künstler von zartesten Gnaden war.
Ehe Knobelsdorff aber das Märchen von Sanssouci schuf, hatte er den Berlinern ein Opernhaus hingestellt, darin der Weg aus dem Barock Schlüters zur preußischen Einfachheit sein erstes Wegzeichen erhielt, trotzdem es Rokoko war.
Die seine Zauberhand ablösten, waren die Holländer Bouwmann, Vater und Sohn; sie bauten den Dom und die Hedwigskirche, die Universität und die Bibliothek, wie der alternde König es wünschte und Knobelsdorff es nicht erfüllen konnte: sie bauten sie schlecht und recht nach dem befohlenen Vorbild, aber mit Haltung.
Der Weg der preußischen Baukunst führte erst weiter, als der Schlesier Langhans nach Berlin kam und der Straße Unter den Linden das Brandenburger Tor vorsetzte mit dorischen Säulen, aber in einer Wucht und Freiheit zugleich, die für diese Stelle gefühlt war.
Das Viergespann auf dem flachen Dach bildete Schadow, den sie später den alten Schadow nannten, der aber damals im Vollbesitz seiner derbfeinen Bildnerkunst war und in den köstlichen Standbildern Zietens und des alten Dessauer selber ein Doriker wurde.
Denn in dieser Zeit geschah das Wunder, dass die Kunst in Preußen den Weg zu sich selber zurückgelegt hatte, indem sie Natur zwar im Gesetz der Antike sah, aber mit eigenen Augen.
Als Friedrich Gilly, der Jüngling, lehrend und kühne Beispiele zeigend, das kurze Gastspiel seines Lebens gab, da schienen die Musen dem Preußentum zugeneigter, als sie es sonst im Reich waren.
Schinkel, sein Schüler, durfte die Hauptwache als das höchste Beispiel preußischer Baukunst hinstellen: Wiedergeburt der Antike aus eigener Vollmacht.
Als er den Lustgarten mit der Säulenhalle des alten Museums abgeriegelt und durch die Schloßbrücke mit der Prunkstraße Berlins verbunden hatte: da war die Flucht unter den Linden vom Brandenburger Tor bis zum Dom die schönste Straße in Deutschland und eine der schönsten der Welt.
(aus „Die dreizehn Bücher der deutschen Seele“, Kapitel „Das Buch der Preußen“, Wilhelm Schäfer, München 1921, gefunden im Bücherregal mit einer handschriftlichen Widmung meines Vaters: Meiner lieben Mutter zum 1. März 1941 von ihrem Jüngsten XXX)
Wer schreibt das vierzehnte Buch?
Offen die Linden nach Osten,
Dein Weg in die Zukunft:
Gesprengt das Schloss,
planiert der Palast,
Freie Rede, Freie Sicht!
Auf der Schlossinsel sehe ich einen Platz, begrenzt von zwei Wasserstraßen und zwei Verkehrsadern, aber ohne Wände. Es gibt ein paar Stämme, sie tragen ein Laubdach, darin die Nester der Singvögel. Man lagert auf Steinen, die sprechen, wenn man lesen kann. Die Bäume bilden kein Muster, dazwischen wandeln Menschen.
Und hören zu.
Hier endet der 75. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion mit Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:
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Dieser Blog mischt Fiktion mit Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:
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Kommentare 10
Danke für die schöne Zusammenstellung mit den höchst beeindruckenden Zitaten.
Dieses als Beispiel für viele: "Denn in dieser Zeit geschah das Wunder, dass die Kunst in Preußen den Weg zu sich selber zurückgelegt hatte, indem sie Natur zwar im Gesetz der Antike sah, aber mit eigenen Augen." - Toll gesagt.
Eine edle Sprache, wirklich. Mir ist auch aufgegangen, wie viele Architekten und Künstler beteiligt sind an den Linden.
Ja, stimmt und nun müsste es weitergehen mit den "Linden".
Wie geht der Vers:
Blamier' mich nicht, mein schönes Kind
Grüß' mich nicht unter den Linden
In der "Berliner Zeitung" sind immer ganz interessante Überlegungen dazu. Und manchmal finde ich die Senatsbau-Verantwortliche Regula Lüscher auch ganz vernünftig. Ich weiß aber nicht, wie Du sie siehst, Du bist ja mehr in der ganzen Szene drin.
Gruß Magda
Lieber archie,
danke für den schönen superguten Blog mit der beeindruckenden Sicht auf den Mythos Mitte, wobei mir das Ende am besten gefallen hat.
Herzliche Grüße
rr
Liebe Magda,
Frau Lüscher könnte bestimmt eine würdige Nachfolgerin der Dorothea werden (die auch Namenspatronin der frühbarocken Berliner Stadterweiterung Dorotheenstadt ist) - wenn die Zeicen denn auf Wachstum, Stadterweiterung etc. stehen würden. Die Zeit scheint aber für's erste vorbei zu sein, jetzt ist qualitativer Stadtumbau und Sicherung der sozialen Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen trotz Wirtschaftsdepression gefragt.
Sehr sympathisch finde ich, dass Regula Lüscher sich endlich von den alten Konzepten des "Übervaters" Hans Stimmann (Senatsbaudirektor a.D.) emanzipiert, etwas Luft und ein paar unverbrauchte Visionen vor dem Roten Rathaus können wir doch wirklich gut gebrauchen:
www.tagesspiegel.de/berlin/Mitte-Rathausforum-Leserdebatte-Marienviertel;art270,2977561
Versuch's nochmal
www.tagesspiegel.de/berlin/Mitte-Rathausforum-Leserdebatte-Marienviertel;art270,2977561
www.tagesspiegel.de/berlin/Mitte-Rathausforum-Diskussion;art270,2977561
Lieber rr,
Dein Interesse freut mich sehr,
diesmal behandelt der Text ja "nur"
den Berliner Bauchnabel
(Innenansicht:-)))
Herzliche Grüße
weit nach Westen
sendet archie
und noch eins, liebe Magda:
"Zwar der Soldatenkönig werkelte draußen in Potsdam..." - ist das nicht besonders köstlich?
Ruf und Charme der "Linden" war gewiss auch dem "basisorientierten", ständeübergreifenden Angebot zum Promenieren, Präsentieren, Akquirieren, (Anbandeln?) zu verdanken, wie Dein Heine-Zitat zeigt:
"Blamier mich nicht, mein schönes Kind. Und grüß mich nicht unter den Linden. Wenn wir nachher zu Hause sind, wird sich schon alles finden“.
.....aber ich frage mich natürlich,
warum mein Vater seiner Mutter im zweiten Kriegsjahr so ein Buch geschenkt hat.
Vielleicht, weil es was Würdiges, Gutes sein sollte?
Bei der Gelegenheit, der Link funktioniert mit Copy und Paste.
Ich freue mich, dass Du meine Einschätzung über Frau Lüscher bestätigst. Du kennst Dich da ja aus, ich habe das nur so in der "Berliner Abendschau" verfolgt und fand immer, dass die sich sehr nobel äußert. Und dann habe ich noch verfolgt, wie man sich bemüht hat, sie anzuschwärzen und zu mobben. Du liebe Güte. ein Piranha-Tank ist diese ganze Berliner Szene. Aber, ich glaube, die lässt sich nicht so schnell erschrecken.
Piranhas sind zum Glück keine Haifische:-))