Schlossfreiheit II - Der fliegende Holländer

Vom Bauen: Die Zeit der architektonischen Ordnungen ist abgelaufen, das Delirium regiert

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Dieser Blog kommt aus der Zukunft. 15.07.20?? „Dass zwei deutsche Republiken so leichtfüssig verschmelzen konnten....“ sinniert Rem Koolhaas, er sitzt mit Jünger und Mies am Geländer der Schlossfreiheit. Schweigend betrachten die Kollegen ihre Angeln und die Blinker auf der trüben Spree. „Süßwasserfische leben in ihrem Element..... sie müssen nicht trinken, das notwendige Wasser diffundiert durch den osmotischen Druck in ihre Körperzellen......im salzigen Meer können sie nicht existieren, die Reviere der Süßwasserfische sind begrenzt durch das spezifische Milieu ihres Lebensraums.“

„Sie haben es doch schon mal in einem Interview zum Schloss gesagt: der Versuch, eine historische Epoche auszuradieren – und gleichzeitig den Menschen in Ostdeutschland zu zeigen: Eure Leben waren nutzlos! Tierfabeln helfen uns nicht weiter, verehrter Koolhaas!“ wirft Jünger ein, aber Rem lässt sich nicht beirren:

„Die Entgrenzung zwischen den beiden deutschen Hemisphären hätte man sich als blutiges Drama vorgestellt, ein Kampf auf Leben und Ehre wie bei den Nibelungen - Intrigen, Wut und Vergeltung.....“ verfolgt Rem seinen Gedankengang wie ein noch ungeschriebenes Drehbuch, „zwei Generationen wurden nebeneinander, vielleicht sogar gegeneinander erzogen.....“

Jünger lächelt fein: „Aber so ist es doch, Intrigen, Verrat und Verzweiflung, wo man auch nachfragt, Raubfische im Karpfenteich..... Menschen wie Aale, die jede Wasserqualität überleben...,“ er scheint jetzt Gefallen an dem Bild zu finden. „Oder Lachse!“ greift Mies den Faden auf, „die zurück an ihren Ursprung wandern..... Lachse in Berlin, die Spreefischer wären begeistert!“

„Als die Holländer im 13. Jahrhundert in diese Gegend kamen, gab es in der Spree bestimmt noch Lachse.... die Siedler befestigten hier eine Kolonie der Askanier, lange bevor die Kurfürsten Neubürger aus den Niederlanden nach Preußen holten...“ extemporiert Jünger die Besiedlung der Sumpfgebiete an Spree und Havel.

„Die Botschaft ist wunderschön...“ murmelt Mies, „ habe ich Dir das eigentlich schon mal gesagt, lieber Rem?“ Jünger ist irritiert, daher ergänzt Mies: „Das Haus der Niederländischen Botschaft, es liegt nur eine kurze Strecke spreeaufwärts.....für die Architekturgeschichte sollte es so wichtig werden wie meine Galerie am Kulturforum....“ Rem widerspricht: „Sie werden es vernutzen oder schleifen, master Mies, wie sie es am Checkpoint auch gemacht haben.... in Berlin lieben sie meine Arbeit nicht, aber Berlin ist Vergangenheit, ich beschreibe eine neue Schönheit der Wahrheit an den Grenzen der Welt: there is nothing left between chaos and celebration!“

„Wir leben unter Kannibalen, freut Euch, dass die Zeit so hungrig ist, räumt das Schussfeld frei, nehmt Euer Ziel klar in’s Auge...“ stichelt Jünger und setzt noch ein Zitat von Buckminster Fuller nach: „You never change things by fighting the existing reality. To change something, build a new model that makes the existing model obsolete.“

„Du hast mich neulich gefragt, warum ich zur Nazizeit fort gegangen bin,“ richtet Mies sich weiter an Rem, „jetzt möchte ich Dich gerne fragen, warum bist Du hier bei uns auf der Insel? Willst Du Berlin auf die Couch legen?“

Rem lacht auf: „Die Braut ist heiß, Monsieur, nein, nein, keine Angst, für eine Analyse gibt es nicht genügend Geheimnisse mehr. Du musst Dir nur die Große Halle von Speer für Führers Germania anschauen...... die Deutschen werden voluminöse Milchbrüste aufrichten, bis sie sich den Himmel erobert haben.... natürlich nicht in Gedenken an Sigmund Freud, sondern im Namen des Wirtschaftswunders, der Großen Amme......“

„Das ist jetzt aber undifferenziert und geschmacklos,“ wirft Jünger ein, „wo bleibt der wissenschaftliche Kontext?“ Rem lächelt unverschämt: „Der deutsche Michel sprengt das Schloss seines Vaters, um seine Mutter zur Königin zu machen.... so in der Art vielleicht? Wäre es pervers, den Palast der Mutter zu schleifen, um wieder in den Schoß des preußischen Vaters zu kriechen?“

Dann erzählt er die Legende der Reichstagskuppel: Weit über tausend Beiträge gab es zum Wettbewerb für den Regierungssitz des Bundes in Berlin, gekürt wurde ein Entwurf mit einem fliegenden Dach, dass sich auf schlanken Stützen über den historischen Bau spannte, erdacht im Büro eines britischen Architektur-Lords. Ein Dach dieser Struktur gibt es bisher nicht auf der Welt, Marketingleute bezeichnen so etwas als Alleinstellungsmerkmal. Die vielköpfige Bauherrschaft hat diese Erfindung nach der Entscheidung als Tankstellendach verhöhnt und den Lord einem ausführlichen Erziehungsprozess unterworfen, bis er seine Gehilfen gegen seine eigene Überzeugung anwies, eine Kuppel zu zeichnen. Als Lernerfahrung für das deutsche Parlament schlug er allerdings vor, die Kuppel öffentlich zugänglich zu machen, damit die Abgeordneten immer wissen, wen sie über sich haben. Am Wettbewerb für das Humboldtforum hat der britische Lord nicht mehr teilgenommen.

„Lernen wir also daraus, dass die Zeit der architektonischen Ordnungen abgelaufen ist. Die Entscheidung zwischen Hybris und Ohnmacht wird uns Städtebauern und Architekten abgenommen, das Delirium regiert!“

Peggy klatscht in die Hände, sie ist vom archinaut: herübergekommen, um zu sehen, ob die Männer was Essbares gefangen haben: „Seid ihr schon wieder im politischen Diskurs? Wer hat heute gewonnen, Kapitalismus oder Sozialismus, Ost- oder Westdeutschland? Friedfisch oder Raubfisch? Wir haben Hunger!“

„Ich hasse Klischees,“ versucht Jünger sich zu wehren, „und ich esse keinen Fisch aus ungeklärten Gewässern........“

„Gewonnen hat der Surrealismus, Madame: Schönheit ist die zufällige Begegnung zwischen einem Regenschirm und einer Nähmaschine auf einem Seziertisch.“



Hier endet der 22. Eintrag: Dieser Blog ist fiktiv und getrieben von automatischer Niederschrift. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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