Unheimliche Qranqheit

Baukultur Die Einwohner sind zu Sqlaven der alten Stadt mutiert....

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Die Quedlinburger Hausordnung bestimmt die Unteilbarkeit des ostfränkischen Reiches seit dem Jahr 929. Und auch heute noch beobachten die Quedlinburger argwöhnisch den Schlossberg mit der Stiftskirche über den spitzen Dächern und Türmen ihrer verwinkelten Stadt und ahnen sorgenvoll, dass jenes zermürbte Sandsteinmassiv ihr Erbe eines Tages vernichten wird.

Im Jahr 1589 wurden in Quedlinburg an einem Tag 133 Hexen verbrannt: Ob man den alten Texten glauben darf?

Hauptrisikofaktor für eine Demenz ist das hohe Lebensalter, besagt der Eintrag bei Wikipedia, und auch: Depressionen werden als Risikofaktor für die Entwicklung einer Demenz angesehen. Sie treten vor allem in frühen Demenzstadien gehäuft auf und können einer Demenz auch vorausgehen.

Aber die viel gerühmte Stadt und ihre stolzen Bewohner leiden nicht an Gedächtnisstörungen, nein, ganz im Gegenteil. Schließlich residiert man im größten Flächendenkmal Deutschlands, geehrt durch das Siegel der UNESCO-Welterbekommission und viele Jahre gehegt dank reichen Spendenzustroms von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und Mitteln der Öffentlichen Hand. In unsicheren Zeiten lockt nostalgisch verklärt der Hafen der Vergangenheit. Der Gebäudebestand ist inzwischen zu etwa 80% saniert. Investoren können den besonderen Aufwand für die Rekonstruktion eines Denkmals steuerlich geltend machen, aber die Invasion der Investoren steht noch aus. Im Sanierungsgebiet steht jede sechste Wohnung leer.

Im Jahr 1913 führt das Jahrbuch der Millionäre in Sachsen (Provinz) an erster Stelle einen Großgärtner aus Quedlinburg, den Ökonomierat Fritz von Dippe, gefolgt von weiteren Familienmitgliedern. Die Firma der Gebrüder Dippe ist zu jener Zeit einer der größten Saatgutbetriebe der Welt, das Vermögen der Familie ist mit 76 Millionen Mark dreimal höher als das Vermögen des sächsischen Königs Friedrich August III. Bis zum ersten Weltkrieg prosperieren Stadt und Region dank der fruchtbaren Böden und des milden Klimas im Regenschatten des Harzes, Quedlinburg ist bekannt als die Blumenstadt Deutschlands Über 40 Zucht- und Samenbetriebe gibt es in der Region, bis zur Wende in den EU-Subventionskapitalismus prägen Produktion und Vermehrung von Samen und Saatgut das wirtschaftliche Leben und die bürgerliche Identität der kleinen Stadt.

Die frühere Bundesanstalt für Züchtungsforschung ist aus der Dippe-Villa in einen neu errichteten, weitläufigen Gebäudekomplex am Stadtrand gezogen, in den ehemaligen Anlagen der Gebrüder Dippe residiert heute die ARGE als größter Brotgeber der Region.

Gegen die Zumutungen der Zeit sind Häuser und Bewohner der Stadt Quedlinburg scheinbar resistent. Wie in einem Korallenriff nisten die Geschichten der Generationen in den Rissen der Fachwerkbalken und in den Mörtelfugen, Tränen, Seufzen, Flüstern und Lachen gespeichert in den Gehäusen aus Holz, Lehm und Stein. Alle Erzählungen, die gesamte mündliche Überlieferung beginnt wortreich mit der Formel: „Da, wo früher.....“ Alle Wege sind ausgetreten, die Gedanken finden kein neues Ziel.

Heute ringt der Stadtrat mit den Auflagen der Kommunalaufsicht. Die Haushaltslage ist hoffnungslos defizitär, auch die Stabilisierung des porösen Schlossbergs ist eine Aufgabe, mit der die Stadt und ihre Bürger überfordert sind.

„Quedlinburg ist ein Geschenk an die Welt!“ rief der Bauhaus-Direktor Omar Akbar den Quedlinburgern zu, als er die Stadt bei seinem ersten Besuch zur Teilnahme an der Internationalen Bauausstellung IBA Stadtumbau 2010 motivieren wollte. Mit leichtem Augenzwinkern ließ er durchblicken, der gesellschaftliche Konsens über den hohen Stellenwert des Denkmalschutzes hierzulande sei zwar bewundernswert, könne angesichts der urbanen Problemstellungen andernorts aber als deutscher Sonderweg betrachtet werden.

Die Teilnahme an der IBA könnte eine herzhafte Frischzellenkur für das bürgerliche Selbstverständnis der Quedlinburger initiieren, aber eine Kurskorrektur ist nicht zu erwarten: zunächst ventilierte man das Motto Welterbe - Lust oder Last, das inzwischen der schlichteren Formel Perspektive Weltkulturerbe weichen musste. Im nächsten Schritt wird bis 2012 ein Managementplan zur Steuerung des Weltkulturerbes entwickelt, angestrebt wird auch eine Qualitätsoffensive für die Gaststätten und Herbergen.

Sollte man der Stadt ein Erdbeben wünschen oder einen verrückten Nero, der die Vergangenheit erbarmungslos niederbrennt?

Quäl Dich durch: mit diesem Spottnamen belegen die Berufskraftfahrer die ehrwürdige Stadt an der Wilden Bode. Die Quedlinburqer haben vielleicht versäumt, durch eine vorsorquende Erhaltunqszucht in ihren Mauern die Schädlinqsresistenzen zu stärquen. Eine unheimliche Qranqheit frisst sich durch Dielen und Quewölbe, durch Schränqe und Truhen, quefährlicher als der Echte Hausschwamm.....

Die Einwohner sind zu Sqlaven der alten Stadt mutiert, das Leichenquift des Stadtquadavers quannibalisiert ihre Quedanqen und Quörperqräfte.

Und auch heute noch beobachten die Quedlinburqer arqwöhnisch den Schlossberq mit der Stiftsquirche über den spitzen Dächern und Türmen ihrer verwinquelten Stadt und ahnen sorqenvoll, dass jenes zermürbte Sandsteinmassiv ihr Erbe eines Taqes vernichten wird.


Hier endet der 62. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

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