Verlorene Schlachten

Schlossfreiheit - zur Kritik der Rekonstruktion

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Landesweit gibt es kein Bauvorhaben seit dem Krieg, das unter einem derart ungünstigen Stern gestanden hätte, eröffnet im Berliner Tagesspiegel Falk Jaeger eine Philippika unter dem Titel „Zurück auf Los“ am 30.09.2009:

Liebevoll und gewissenhaft zählt Jaeger die wichtigsten Rechtsverstöße und Skandale in der Genese des Prachtstücks auf, der Mogelpackung, wie er schreibt, schließlich ist sich die Fachwelt einig: Nach der Rüge des Kartellamtes gehört das Projekt Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses in das Archiv der zu Recht ungebauten Visionen.... nicht jeder goldbekränzte Historientraum verträgt die scharfe Reinzeichnung im Licht der Realität: Baurechtsexperten erwarten nicht, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf dieses Verdikt kassieren wird. Die teure Revision hätte sich Tiefensee sparen können.

Kenntnisreich fasst Jaeger auch den vollmundigen Finanzierungsplan der großzügigen Spender zusammen:

Der Förderverein mit dem Geschäftsführer Wilhelm von Boddien, der das Geld aufbringen will, hat die Erwartungen bisher nicht erfüllt. 11,3 Millionen Euro hat er gesammelt und einen Teil davon wieder ausgegeben, unter anderem für Planungsaufträge an den früheren stellvertretenden Fördervereinsvorsitzenden, den Architekten Rupert Stuhlemmer. Und da Spenden für den Staat nicht kostenfrei sind, sondern bereits Steuermindereinnahmen von 6,5 Millionen Euro mit sich brachten, hat der Steuerzahler die Spendenaktivitäten mitfinanziert, wie Friedrich Ochs in der „Deutschen Bauzeitung“ ausgerechnet hat.

Selbst Wikipedia weiß inzwischen: Die drei Hauptanforderungen an Architektur sind nach Vitruv: Firmitas (Festigkeit), Utilitas (Nützlichkeit) und Venustas (Emotion, Schönheit). Unter dem Begriff „venustas“ (Anmut, Reiz oder Schönheit) fasst er die Ästhetik der Architektur zusammen und unterteilt sie in sechs Grundbegriffe: „ordinatio“, „dispositio“, „eurythmia“, „symmetria“, „decor“ und „distributio“..... "Distributio" meint einerseits die angemessene Verteilung der Materialien und der Ausgaben für den Bau, zum anderen die dem jeweiligen Bewohner angemessene Bauweise... wird in dieser Unterkategorie auch die Frage nach den angemessenen Kosten aufgeworfen?

Der Umgang mit harten und weichen Terminen wird in Vitruvs Schriften allerdings nicht behandelt, und man möchte fragen, ob in den Zeiten Augustus die Bauzeitenpläne vom Orakel zu Delphi wahrgelogen wurden:

Falsches Spiel betrieb Minister Tiefensee mit den Terminen. Die von ihm angekündigte Eröffnung 2014 halten selbst seine eigenen Gutachter nicht für machbar; sie stellten bei günstigstem Verlauf 2016 in Aussicht. Allein der Bau der historischen Hülle lässt sich nicht beschleunigen, denn es gibt zu wenig Steinmetze für diese Aufgabe (man würde deshalb wohl ohnehin warten müssen, bis das Potsdamer Schloss fertiggestellt ist). Das aber bedeutet weitere, kaum kalkulierbare Kostensteigerungen. Wenn der Bundestag die bewusst gedeckelte Bausumme von 552 Millionen Euro nicht kräftig aufstockt, ist das Projekt Wiederaufbau Stadtschloss gescheitert, schreibt Falk Jaeger im September 2009.

Sein Artikel schließt mit einem friedvollen Ausblick auf das Projekt Central Park Berlin von Christoph Ingenhoven: Es ist derzeit das einzig realistische für die Mitte Berlins.

Vor Gericht und auf hoher See sind wir alle in Gottes Hand.... war es möglicherweise der alte Graubart, der seine schützenden göttlichen Hände über die Mogelpackung hielt, als das OLG Stuttgart Ende 2009 den Antrag gegen die Beauftragung der Bauplanung zurückwies und die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Antragstellerin auferlegte?

Gewiss werden die Kosten des Stadtschlosses dereinst nicht von den verantwortlichen Richtern getragen, sondern vom listigen Gott der Baulügen höchstpersönlich....

Link zum Artikel von Falk Jaeger

www.tagesspiegel.de/kultur/stadtschloss-zurueck-auf-los/1608574.html

Hier ein paar Links zu zeitgenössischen Problemlagen

www.tagesspiegel.de/meinung/ber-kein-einzelfall-der-staat-als-bauherr-immer-teurer-immer-spaeter/6667226.html

www.tagesspiegel.de/berlin/teurer-spaeter-chaotisch-diese-bau-projekte-sind-zu-gross-fuer-berlin/6657556.html

www.tagesspiegel.de/berlin/flughafen/geplatzte-eroeffnung-des-hauptstadtfughafens-ramsauer-verteidigt-ber-aufsichtsraete/6657624.html

www.tagesspiegel.de/berlin/staatsoper-eroeffnet-erst-2015-berlin-verschiebt-die-naechste-premiere/6677452.html

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Geschrieben von

archinaut

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