Das Freiheits- und Einheitsdenkmal sollte in Berlin an die friedliche Revolution im Jahr 1989 und die Wiedererlangung der Deutschen Einheit erinnern. Jetzt hat der Haushaltsausschuss des Bundestag beschlossen, die Planungen zu stoppen, teilt die Staatsministerin für Kultur und Medien auf der Internetseite des Ministeriums mit. Am 13.04.2016 kippt die Bundestagsfraktionen den Parlamentsbeschluss zur Realisierung des Entwurfs, der auf den Tag genau fünf Jahre zuvor als Sieger der Endrunde bekannt gemacht worden war.
Ein Trauerspiel, so befindet Bernhard Schulz im Berliner Tagesspiegel. Die mangelnde Begeisterung für das Projekt schreibt er nicht nur den kleinlichen Krämerseelen der politisch Verantwortlichen zu, sondern auch dem Unvermögen der Autoren und ihrer Konkurrenten im Wettbewerb: Die zeitgenössische Kunst hat keine Formen mehr, die einem geglückten Moment der Geschichte Ausdruck zu geben vermöchten. Kunst wie Politik hätten versagt, weil es ein positives Denkmal nicht geben dürfe, der deutsche Selbsthass erlaube keine Hochgefühle: Schämen wir uns der Freude, die nach dem 9. November ein ganzes Land, pardon: eine ganze Nation, erfasst hatte?
Keine Hoffnung also mehr auf eine Berliner Freiheitsstatue, auf einen gefrorenen Moment derGlückseligkeit, auf eine allzeit beständige Erinnerung an die Euphorie der gewaltlosen Mauerstürmer? Möglicherweise ist das werdende Werk auch an den überfrachteten Erwartungen eingegangen: Glück lässt sich bekanntermaßen nicht konservieren. Verdächtigerweise zeigt sich schon im Doppelnamen eine gewisse Überdehnung des Auftrags: Freiheits- und Einheitsdenkmal.
Zu viel Geschichte. Zu viele Schichten an einem Ort, wie am 9. November, dem Tag, an dem die Mauer sich öffnete, dem Datum der Reichspogromnacht und der Novemberrevolution von 1918. Wollte man an all das vielleicht auch an einem Ort erinnern, mit einem Denkmal? schreibt Rüdiger Schaper im Berliner Tagesspiegel unter dem Titel Der schwere Grund.
Einheitsdenkmal gekippt: Preußen siegt, kommentiert Stefan Berg fröhlich geschichtsklitternd: Die Demokratie beschloss die Rekonstruktion des Schlosses ohne Rekonstruktion Preußens…. Zum Ausgleich für diese Ehemaligenverehrung beschloss der demokratische Bauherr Bundestag auch die Demokratie in Berlins Mitte mit einem Bauwerk zu würdigen. Nach dem Planungsstopp bliebe der Platz vor dem Schloss nurmehr der Preußenverehrung vorbehalten, die DDR-Verehrung könnte unweit davon im Fernsehturm fortgesetzt werden.
Aus dem Haushaltsausschuss ist zu vernehmen, dass die verbliebenen Mittel nicht umgewidmet werden, über 6 Millionen Euro sind bisher in Planung und Vorbereitung geflossen, nicht zuletzt in die bauliche Sanierung der denkmalgeschützten Gewölbe im Untergrund. Wie abzusehen musste die architektonische Konzeption zur baulichen Umsetzung der poetischen Idee Bürger in Bewegung deutlich Federn lassen, die stabilen Geländer sind auf den aktuellen Visualisierungen schon zu erkennen.
Die Diskussion ist neu eröffnet: Wird dem Brandenburger Tor endlich der wohlverdiente und in Jahrhunderten zäh erarbeitete Ehrentitel Freiheits- und Einheitsdenkmal zugesprochen oder wird der Wettbewerb für dieses obskure Denkmal eine dritte Neuauflage erleben?
Das wiederaufgebaute Schloss darf nicht von Ödnis und Leere umgeben sein, zitiert der Tagesspiegel Stefan Evers, den Sprecher für Stadtentwicklungspolitik der Berliner CDU… bei derartigen Befürchtungen möchte man gerne das Berliner Flussbad-Projekt als Freiheitsdenkmal empfehlen: Bürger in Bewegung!
Die Berliner Denkmaltopograhie hat diverse Wanderungsbewegungen erfahren und damit auch neue Zuschreibungen, die erinnerungswürdige Aufladungen ermöglichen: Die Siegessäule steht ebenso wenig am Errichtungsort wie der Neptunbrunnen, die Quadriga erzählt noch heute von der Reise nach Paris, die Königskolonnaden säumen keine Brücke mehr und im Liebknecht-Portal öffnet sich nicht das Schlosstor… et voilà, es wird Zeit, einen neuen Namen zu finden für das Marx-Engels-Forum, die beiden Herren warten schon, und das Schloss ist nur einen Steinwurf über die Spree entfernt!
Nachtrag zum Eintrag vom 04.10.2014: Wir nehmen Kurs auf eine neue Welt im Blog archinaut: Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO.
Quellen:
http://www.tagesspiegel.de/kultur/berlins-streitbauten-der-schwere-grund/13455328.html
http://www.bz-berlin.de/artikel-archiv/quadriga-schaut-in-die-richtige-richtung
http://www.flussbad-berlin.de/
Wir nehmen Kurs auf eine neue Welt im Blog archinaut: Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO.
Kommentare 18
In allen Ehren mein lieber Archinaut, das soll ja aber auch der Steuerzahler zahlen:
..."Glauben Sie mir, kein Politiker, kein Flughafendirektor und kein Mensch, der nicht medikamentenabhängig ist, gibt Ihnen feste Garantien für diesen Flughafen."...
Aber was ist da schon ein Flughaefchen gegen einen "Freiheits- und Einheitsdenkmal"...
(....und halte schon den Schnabel mein lieber Archinaut...)
lieber archie,
500 km distanz zu der erklecklichen sammlung zentraler bauten in der sogenannten hauptstadt sind wohl zuviel. ich kann da nicht genau hinsehen. im dunst der ferne verschwimmen die konturen. frage mich nach den beweggründen, abstrakta wie freiheit und einheit in stein zu hauen.
in 500 km entfernung brauche ich sowas natürlich nicht. die bretter vor den köpfen sind nah genug, um sie nicht zu bemerken. welche distanz ist richtig für den klaren blick?
habe leider nur solche fragezeichen zum treiben in der metropole.
lg hy
Vielleicht dient das Manöver ja dazu, Sponsoren auf den Plan zu rufen, lieber tlacuache, gegen den Flughafen oder das Schloss ist das geplante Denkmal ja recht wohlfeil zu haben...
Fröhliche Grüße sendet
archie
Wir müssen hinsehen, lieber hy,
auch wenn der Dunst den Blick trüben soll:
In Stein gehauen ist schon halb verloren!
Herzlichst
archie
An mir sind die Debatten irgendwie ziemlich vorbeigegangen. Also: Alles auf der Kippe mit der Wippe. Wäre eigentlich ganz schön gewesen. Vielleicht kriegen sie das ja auch noch hin.
>>...friedliche Revolution im Jahr 1989...<<
Anfang '89 dachte ich auch noch: „interessante Reformen, die sie dort düben anstreben. Davon können dann die verschnarchten BRD-Untertanen was lernen.“
Aber damit war es es ja bald vorbei: Anschluss, fertig, aus.
Im Westen weiterschnarchen, im Osten wohl ein etwas unangenehmes Erwachen.
An was genau soll das Denkmal erinnern?
Hatte gestern Besuch, feine Annekdote:
Ja, das Geld wird an anderer Stelle nötiger gebraucht: Freilegung der Lutter in Bielefeld: "...dass das Becken 6.000 statt 3.000 Kubikmeter fassen muss, um das als Minimum geforderte Überflutungsrisiko von ein Mal in fünf Jahren zu schaffen. Damit würde die Variante neun statt 4,8 Millionen Euro kosten." so die Neue Westfälische.
Um ein wenig mediterranes Flair zu versprühen.
Die Lutter ist in Hochwasserzeiten ca. 3 cm hoch, einen Meter breit. In normalen Zeiten nicht sichtbar.
Liebe Magda,
beide Wettbewerbsausstellungen habe ich mir damals angesehen aber leider nichts Aufregendes gefunden, viele ironische Beiträge im ersten Anlauf (Banane und Schlümpfe..), ein paar Peinlichkeiten, Bombast und déjà-vu....
Die prämierte Wippe hat konzeptionelle Qualitäten, das gebe ich gerne zu... die sich aber nur schwer in Ausführung und Betrieb überführen lassen. Auch der (gesetzte) Ort vor dem Schloss-Zombie konterkariert das Motto "Bürger in Bewegung"
„Wahrscheinlich lässt sich ein solches Denkmal mit Bewegung hierzulande auch gar nicht realisieren“, sagte Kruse. „Typisch deutsch“ habe eine Fülle von Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen, so dass vom filigranen Anfangsentwurf am Ende nicht mehr viel übrig geblieben sei, steht im Tagesspiegel
Herzliche Grüße
archi
Zum Auftrag des denkmals gibt es eine Vorgabe, liebeR GELSE,
aber wahrscheinlich keinen gesellschaftlichen Konsen:
Ein heroisches Denkmal erzählt von einem Sieg
- wie das Brandenburger Tor.
Ein warnendes Denkmal erinnert an eine Niederlage
- wie das Holocaust-Mahnmal.
Wer hat gewonnen?
Herzliche Grüße
archie
Flüsse freizulegen ist ein teures Hobby, liebeR SCHOEN,
aber preiswert in der Bewirtschaftung...
(früher hat man für das Geld Freibäder gebaut)
Herzliche Grüße
archie
Ja, nur glaube ich, dass die Zeit für teure Hobbies vorbei ist. Es gibt nämlich auch teure Pflichten. Die werden nur immer wenige bedient...
Stellt sich also die Frage beim Freiheits- und Einheitsdenkmal:
Kür oder Pflicht?
Gibt es doch möglicherweise nur eine einzige autorisierte Reliquie der deutschen Einheit...... die Berliner Mauer, deren gesprengte Fragmente in zahllose Sammlungen rund um die Erde verstreut an den kurzen Glücksmoment der Möglichkeiten erinnern.
Sogar internationale Ausstellungen, Reste der Mauer in Berlin, einen Feiertag in Deutschland. Das könnte ausreichend sein, zu Pilgern und zu Gedenken. Was macht ein Denkmal? Es steht `rum. Die Berlintouristen laufen ja eh zu den Mauerresten. Mir reicht das, wenn jemand Geld übrig hat, nachdem die Renten in Deutschland finanziert, Sozialreformen umgesetzt, die Steuerlasten gerecht verteilt und die Reste der Demokratie eingesammelt sind, dann kann man sich um die nutzlose Ausweitung von Mahnmalen, Gedenktafeln und anderen Symbolen Gedanken machen.
Nur mal so als erstes Bauchgefühl am Morgen ;-)
Bleiben wir also bei der Frage:
"Wer hat gewonnen?"
Wenn man sich ernsthaft damit befasst, könnten interessante Antworten herauskommen...
ich denke, daß die freude
über das ende der trennenden mauer,
nicht fordert das bekenntnis zu einer
volks-gemeinschaft.
Ja, es ist noch viel zu tun, liebeR schoen,
um Einheit und/oder Freiheit zu erhalten.... Tag für Tag!
Einen schönen Abend wünscht
archie
Wir möchten unser Gedächtnis gern als etwas begreifen, das durch das Bewahren, Dazulernen gekennzeichnet ist. Doch die wichtigste Aufgabe des Gedächtnisses ist es, zu vergessen.... sagt der Psychologe Draaisma (hier).... Vor allem eines bleibt Menschen ein Leben lang in Erinnerung: wie es sich anfühlt, gedemütigt zu werden.... Die Erinnerung an Ärger mit unseren Bekannten und Freunden vergeht..... und wir können einen Weg finden, wieder zueinanderzukommen.
Ein Einheitsdenkmal müsste also (auch) das Vergessen stimulieren, damit es wirksam wird.... ?
Ja, liebe Denkzone8,
der Doppelname Einheits- und Freiheitsdenkmal fördert nicht das Verlangen nach dem Ding....
Herzliche Grüße
archie