Von der Wiege...

Ostharz: Kaffeestunde mit Arbeitsmodell - ein Roman in Fragmenten

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Die Bürgermeisterin lässt sich entschuldigen..... heute abend stellt der Chef des Planungsbüros den Entwurf für den Kindergarten vor, versammelt hat sich der Vorstand des Paritätischen Arbeiterbunds, Ortsverein Thale. Auch Achim Schilling ist mitgekommen, der bei dieser Auftragsanbahnung den Kontakt hergestellt hat... er vertritt die Baufirma und hat vorsorglich ein Pauschalangebot zum Entwurf des Architekten mitgebracht.

Der Verein betreibt eine Seniorentagesstätte.... bundesweit ist der Arbeiterbund als Wohlfahrtsverband und Hilfsorganisation politisch und konfessionell ungebunden tätig.Der Tisch des Speiseraums ist noch von der Kaffeestunde eingedeckt, auf geblümten Tellern langweilt sich trockenes Waffelgebäck in kleinen, gemischten Gruppen...

Geschäftsführer Wohlthat begrüßt Vorständlerinnen, Vorstände und die Gäste des Abends.... Sie haben sich überlegt, ob wir den alten Kindergarten nutzen können, den die Stadt uns verkaufen will....

Zunächst zeigt der Architekt Grundrisspläne und Ansichten für die Umnutzung: Sie sehen, dass nicht mehr als vier Zimmer in jedem Geschoss hergerichtet werden können, natürlich alle rollstuhlgerecht, Sie möchten schließlich betreutes Wohnen für Senioren anbieten... hier der Aufzug wie gewünscht, aber auch notwendig, ...er fährt mit dem Finger über die Pläne, die auf dem Tisch liegen, und im Erdgeschoss der Raum für die offene Begegnungsstätte, die Sie einrichten wolle, weil es dafür besondere Fördermittel gibt...

Dann redet Schilling, er redet über die Ausstattung und über die Baukosten: Der Aufzug macht das Vorhaben so teuer, sagt er mit aufrichtigem Bedauern, leider ist die alte Villa nur so groß, dass wir vier, maximal fünf Zimmer in jedem Geschoss herrichten können....

Die Gastgeber sind enttäuscht, im Kopf hat der Geschäftsführer des Vereins gleich die erzielbaren Mieten hochgerechnet, man konnte das Delta zur Kostendeckung gut erkennen..... Wir arbeiten mit ehrenamtlichen Helfern, sagt er dann, trotzdem kann sich der Verein nicht erlauben, eine unwirtschaftliche Lösung zu unterhalten.... auch wenn uns die Stadt den alten Kindergarten preiswert geben will....

Jetzt ist der richtige Moment gekommen, denkt der Architekt und zieht das kleine Arbeitmodell aus dem Karton: Mir ist bewusst, dass der Verein nicht über viel Geld verfügen kann, Sie haben an eine kleine Lösung im Bestand gedacht.... nur zur Probe habe ich noch einen anderen Entwurf vorbereitet, der Garten der Villa ist sehr groß, wie Sie wissen, das Grundstück ist nur zu einem kleinen Teil bebaut, viele Obstbäume stehen drauf....

Er hat das Arbeitsmodell mitten auf den Tisch gestellt, die Vorständler schauen erstaunt auf die kleine Pappskulptur.....

Das Treppenhaus angeordnet als Bindeglied zwischen Altbau und Neubau, die Erschließung über einen geschützten Laubengang, erläutert er das Konzept, die Anzahl der Wohnungen wird drei mal so groß...

Die schönen Bäume, entfährt es einer älteren Dame des Vorstands, wahrscheinlich hat sie schon als Kind drunter gespielt.... aber die Zahlen im Kopf des Herrn Wohlthat purzeln gleich viel munterer: Aber dürfen wir denn so ein großes Haus dazu bauen? fragt er zweifelnd....

Wir könnten eine Bauvoranfrage für Sie stellen, sagt der Architekt schnell, dieses Bauvorhaben ist allerdings erheblich teurer, vielleicht sprengt es Ihr Budget....

Eine halbe Sunde später sind sich die Vereinsmitglieder einig: das Planungsbüro soll einen Antrag vorbereiten.


Jetzt hast Du Ihnen den Mund wässrig gemacht, tadelt Schilling später beim Bier den Architekten, die haben doch gar nicht genug Geld für so ein großes Vorhaben.... und die Idee mit der Turmstube ist auch eigenartig.... die kann man nicht rollstuhlgerecht ausbauen, der Aufzug geht nicht ins Dachgeschoss, das wird zu teuer.

Der Architekt verteidigt sich...... aber Schilling hat noch etwas zu besprechen: Bohr hat gesagt, dass Du den Controlling-Auftrag für Alexisbad gekündigt hast? Warum denn das?

Herr Grau ist drei Tage die Woche absorbiert, sagt der Architekt, aber es ist nur ein Tag kalkuliert.... Er sagt nicht: Herr Grau ist halb krank vor Angst, weil er dem Bauherrn Eure überhöhten Nachträge erklären soll.

Schilling betrachtet jetzt die Pläne für den mächtigen Anbau an den Kindergarten, er glaubt nicht, dass es genehmigt wird.... aber ein klasse Projekt wäre es schon, murmelt er und meint dann: Im Keller müsst Ihr aber noch einen größeren Kühlraum vorsehen, das ist bei allen Seniorenwohnanlagen wichtig, da zieht ja keiner mehr freiwillig aus....


Hier endet der 324. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

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