Wie Berlins Architektur die Flügel verlor

Baukultur Was wir von Hans Stimmann gelernt haben

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Bis zu vier Kilometern Entfernung ist ein Fahrrad das schnellste Verkehrsmittel in der Stadt!“ dröhnt Hans Stimmann im September 198? über den Verkehr am Theodor-Heuss-Platz. Als Assistent am Lehrstuhl Stadtplanung der TU-Berlin führt Stimmann uns Erstsemester-Studenten in die reich bestückte Architektur- und Siedlungslandschaft der Inselstadt ein. Sieben Jahre später soll er ein „mächtiger Mann“ werden....

Ob Fahrrad oder ÖPNV: Morgens können wir in der Villenkolonie Westend lustwandeln, mittags die frühe Moderne der Hufeisensiedlung skizzieren und nachmittags in die gerade wiederentdeckte Kreuzberger Mischung schnuppern. Im Märkischen Viertel können wir uns vor einer Großsiedlungen gruseln, in Dahlem den FU-Campus und die Philosophiestudenten in einem ätherischen Märchenschloss (Inken und Hinrich Baller) besuchen, auf dem behaupteten Kulturforum die Nationalgalerie als Inkunable der klassischen Moderne (Mies van der Rohe) bestaunen und abends in die Schaubühne (Erich Mendelsohn) oder in die Berliner Philharmonie (Hans Scharoun) gehen, soweit es der Geldbeutel zulässt.

Artenreich auch das Soziotop der Lehrstühle und Dozenten: Öko-, Lehm- oder Solaraktivisten, Vertreter des industriellen Bauens mit vorgefertigten Bauteilen, pragmatisch-gemäßigte Modernisten und postmoderne Baukünstler, die Gestaltungsprinzipien der vormodernen Architektur wieder entdecken. Die Mauerstadt richtet gerade eine internationale Bauausstellung (IBA 1984-1987) aus, die nicht nur den Neubau von Wohnungen und Stadtvillen propagiert, sondern auch Bestandverbesserung thematisieren soll: Behutsame Stadterneuerung setzt auf Beteiligung, Interessenausgleich und Sicherung des sozialen Friedens.

Hans Stimmann rechnen wir der Kaste der Alt-Achtundsechzigern zu, die ihre Reviere gelegentlich markieren mit Bemerkungen wie „Wir haben damals die Bibliothek hier besetzt, was ist bloß heute mit den Studenten los“ ....die immatrikulierten Aktivisten der Hausbesetzer-Szene sind in den Lehrveranstaltungen aber nur selten anzutreffen.

Wir besuchen die Vorprüfung eines IBA-Wettbewerbs, Stimmann erläutert die Arbeiten im konzentrierten Durchgang: „... die Anschlussfassaden rechts und links sind nicht dargestellt, da zeigt sich das geringe Interesse an der städtebaulichen Einpassung ...“

Neben dem Leitbild der Altbau-IBA Behutsame Stadterneuerung etabliert der Planungsdirektor der Neubau-IBA Josef Paul Kleihues das paradoxe Mantra Kritische Rekonstruktion, das noch viele Jahre die Berliner Saalschlachten der Bautheoretiker beherrschen soll. Kleihues bezeichnet sich selbst als poetischer Rationalist, auch diese dialektische Begriffspaarung spiegelt das Spannungsfeld zwischen den beiden Polen der Architektur: Die Rationalisten behaupten, dass Wahrheit in geometrischer Schönheit zu finden ist, die Romantiker suchen Freiheit, um die Phantasie zu behausen.... Westberlin, im Besonderen die Südliche Friedrichstadt wird ihr Schlachtfeld, rats against romantics.

Oswald Mathias Ungers, Aldo Rossi, Peter Eisenmann, John Hejduk, Charles Moore, Arata Isozaki, Herman Hertzberger, Alvaro Siza und viele andere bekannte Namen.... Rob Krier führt die ironischen Zitate einer postmodernen Architektursprache in die Berliner Debatte ein, Daniel Libeskind gewinnt mit rätselhaften, labyrinthischen Zeichnungen den Wettbewerb für einen Wohnblock im sozialen Wohnungsbau (leider absolut unrealisierbar), Peter Eisenmann übt mit dem Haus am Checkpoint Charlie den Dekonstruktivismus, der später im Holocaust-Denkmal gerinnen wird, in der Nachbarschaft des Grenzübergangs imaginiert das Office for Metropolitan Architecture (OMA) ein Vorstadtidyll mit einem Teppich von Patiohäusern im stillen Winkel zwischen Friedrich- und Kochstrasse (nicht realisiert), Zaha Hadid plant ein Frauenhotel (sie zieht ihren Namen zurück, bevor das Gebäude fertig gestellt wird)... junge Berliner Architekten lancieren erfolgreich Konzepte zur Umsetzung, so auch Hans Kollhoff, den ich in den Achtzigern an der Hochschule der Künste (HdK) als motivierenden Lehrer erlebe.

Die Sprache des Ingenieurs ist die Zeichnung, heißt es, den Bildertanz der IBA zu beschreiben macht wenig Sinn. Im Sommer vor dem Wendeherbst erscheint kometengleich Ein erregendes Stadtzeichen (Süddeutsche Zeitung), schlägt in der Südlichen Friedrichstadt ein, „hat weder Sockel noch Dach, weder Portikus noch ablesbare Geschosse. Es ist eine Gebäudeskulptur. Wie ein erstarrter Blitz....“ (Falk Jaeger, Gast im Preisgericht zum Erweiterungsbau Jüdisches Museum Berlin, 1.Preis für Daniel Libeskind).


romantics beat rats? Die Entscheidung fällt erst in der großen Bauwut nach der Wende. Die Rationalisten gewinnen den Streit.

Haben sie die klügere Theorie? Nein, sie bauen auf die Ahnen Palladio, Schlüter, Schinkel....

Haben sie die bessere Kondition? Nein, es spart Energie, einen Entwurf in ein anderes Grundstück einzupassen, anstatt für jedes Grundstück ein neues Konzept zu entwickeln.

Haben sie die leistungsfähigeren Rechner? Nein, es ist effizienter, ein Fenster hundert Mal zu kopieren als zehn verschiedene Fenster zu entwickeln.

Können sie preiswerter liefern? Wer ökonomischer plant, hat mehr Luft bei der Honorarverhandlung (oder einen höheren Reingewinn).

Haben sie die potenteren Bauherren? Ja...Macht kleidet sich gern klassisch.

Als Hans Stimmann 1991 zum Berliner Senatsbaudirektor berufen wird, gewinnt das Schlagwort der Kritischen Rekonstruktion den Status einer unangreifbaren Konfession und stellt Weichen für die nächsten zwanzig Jahre: Wiederherstellung der historischen Straßenprofile, kein Haus höher als die Berliner Traufhöhe, so lauten die beiden wichtigsten Maximen (begründete Ausnahmen bestätigen die Regel). Legendär ist ein Streit zwischen Stimmann und Rem Koolhaas, dessen Ausgang den Ehrgeiz aller Himmelsstürmer dämpft: Koolhaas verlässt wutschnaubend das Preisgericht.

Als Leitwolf der Berliner Architekten kann sich Hans Kollhoff mit einer unerwarteten Wendung zur Retro-Architektur behaupten, erstmals zu beobachten im Wettbewerb zum Potsdamer Platz 1991, später wird ein Hochhaus nach seinen Plänen realisiert: Dunkler Hartbrand-Klinker, kolossale Säulenordnungen, Pfeiler und Fenster im Gleichschritt, Bronze und Messing wie aus dunklen Erinnerungen: Im Konzert der internationalen Architekten, die in Berlin aufspielen, hat Kollhoff seine Tonart als teutonischer Neoklassizist gefunden. Mit soliden, verlässlichen Geometrien entwickelt er eine Handschrift, von Schülern und Epigonen leicht zu kopieren, gut geeignet zur erfolgreichen Durchsetzung im (anonymen) Wettbewerb.

Als Kollhoff 1991 den Vorsitz der Jury in der Nachwuchskonkurrenz EUROPAN übernimmt, werden einige Kollhoff-Klone mit Preisen bedacht. Mein Beitrag ist wahrscheinlich zu romantisch...... Aber nachtragend bin ich nicht. Lange wohnen wir in einem Haus, das sein Büro für die IBA geplant hat.

Bald bauen sie ein Schloss in Berlin. Ob Hans Stimmann sich als Erbe des preußischen Baudirektors Schinkel verstehen will, wenn er den Zweiflern das Apodiktum „Ein Stück aus dem Tollhaus entgegenwirft?

Kirche und Stadt – die Wiedergewinnung der Mitte

wird der Vortrag von Prof. Dr. Hans Stimmann, Architekt und Stadtplaner, ehem. Senatsbaudirektor als Mitglied der SPD, für den 7. Juni 2010 angekündigt, um 18.00 Uhr beginnt die Andacht im Berliner Dom.........



Hier endet der 92. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

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