Wohnen ohne zu arbeiten

IBA 2020 Der Berliner Senat hat die Mittel für die Internationale Bauausstellung gestrichen. Wir sollten daraus lernen: Nicht für die Macht bauen, sondern gegen die Ohnmacht!

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Wohnen ohne zu arbeiten

Illustration: Aus der Dokumentation der Vorbereitung zur IBA 2020

Regula Lüscher, die Berliner Senatsbaudirektorin mit dem dezenten Schweizerakzent darf das Trauergedenken im Haus der Friedrich-Ebert-Stifung am 25.06.2013 eröffnen. Vor geraumer Zeit war die Veranstaltung auf den Weg gebracht worden, und wohl nur dem blinden Zufall mag die ironische Pointe zu verdanken sein, dass der Berliner Senat am Tag zuvor die Mittel zur Fortsetzung der IBA-Vorbereitungen in Berlin vollständig gestrichen hat, ein Budget von 50 Millionen Euro.

Die Themen bleiben, wir machen weiter, so lautet Frau Lüschers autosuggestives Mantra.... dankbar applaudiert das Publikum, von der Senatsbaudirektorin als IBA-Community angesprochen: Viele Gesichter kenne ich schon von den bisherigen Veranstaltungen, grüßt sie aufmunternd in die Runde, etwa 300 IBA-Gefolgsleute haben trotz der schweren Regengüsse in das Auditorium der SPD-nahen Stiftung gefunden. Ob sie heute bereut, jemals das verflixte Drei-Buchstaben-Wort „IBA“ auf das seinerzeit noch projektionsoffene Tempelhofer Feld geworfen zu haben?

Wanderjahre einer Ausstellung

Schließlich hoffte man seit dem Jahr 2008 auf die Zauberformel Internationale Bauausstellung (IBA) 2020, als die weite, leere Stadtsteppe in die Verantwortung des Berliner Senats entlassen wurde, die Berliner sich gegen den starrsinnigen Widerstand der zuständigen Senatsstellen den Zugang zum Tempelhofer Feld eroberten und die Vorstellungskraft der personell wie konzeptionell geschrumpften Planungskompetenz des Landes Berlin mit dem gewaltigen Maßstabssprung sichtlich überfordert war. In Kolloquien, Foren und Podiumsdiskussionen wärmten sich IBA-Hoffende wie IBA-Erfahrene über viele Monate und schließlich präsentierte das gut alimentierte Prä-IBA-Team im Jahr 2010 drei neue claims: RaumStadt, SofortStadt und HauptStadt, verortet nicht mehr auf dem ehemaligen Flughafenflächen, sondern in die Gesamtfläche Berlins diffundierend... Das Team begab sich auf die Suche nach Stadtkapital: die intellektuellen Verwüstungen der Bankenkrise und die Einspar-Purgatorien des Berliner Finanzsenators haben tiefe Spuren in die Gedankengebäude und Exzerpte der IBA-Protagonisten gekerbt: Stadtkapital als Haltung! postulierten die Strategen frohgemut wie sinnentleert.

Weitere Experten stellten andere Konzepte zur Diskussion, Radikal Radial! heißt das Konzept von Think Berlin... Mit dem Sommerfest 2011 verabschiedete sich die IBA 2020, ohne die wichtigste Frage zu beantworten: Für wen sollen wir bauen?

Mut zur Masse

Nach den Berliner Wahlen im Herbst 2011 muss sich Michael Müller als frischgebackener Bausenator in die Thematik einarbeiten, die neue Koalition in Berlin setzt ehrgeizige politische Ziele, um den Bau neuer Wohnungen zu fördern. Es ist erkennbar, dass die Einwohnerzahl Berlins wieder wächst... die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt weckt mit drei Symposien Schlafende Riesen: Die zweite Veranstaltung in einer Reihe, die sich mit den Schwerpunktthemen der IBA Berlin 2020 – Wirtschaft, Wissen und Wohnen – auseinandersetzt, lenkt den Blick auf Großwohnsiedlungen.

Innerhalb von drei Jahren hat die IBA viele Leitthemen ventiliert und den Fokus von einer neuen Stadtentwicklung auf der innerstädtischen Sehnsuchtsfläche verschoben auf die bestehenden Großsiedlungen außerhalb der zentralen Stadtlagen, verbal (vielleicht unbeabsichtigt) stigmatisiert durch das Begriffspaar Drinnenstadt-Draußenstadt ... kein Wunder, dass die Geldgeber zurückhaltend agieren, so zum Beispiel das Bundesministerium für Bauen und Wohnen, das für die Blähungen der Hauptstadt stets ein offenes Ohr hat.

Leere im Herzen

Im Frühjahr 2013 schließlich wirft der neue Kronprinz der SPD eine weitere Nebelbombe in den Ring: Eine Internationale Bauausstellung (IBA) zur Rekonstruktion der historischen Mitte vor dem Roten Rathaus, zwischen Fernsehturm und geplantem Schlossneubau – so fordert es Berlins SPD-Chef Jan Stöß. Bereits zwei Mal fanden Bauausstellungen in Berlin statt: die Interbau 1957 und die IBA 1987. Beide widmeten sich dem Bau von Wohnungen. Und in beiden Fällen konnten führende internationale Architekten ihrer Zeit in die damals geteilte Stadt geholt werden.

Ein Gesamtkonzept für die historische Mitte habe noch keiner, so zitiert der Tagesspiegel den gelernten Anwalt und aufstrebenden Politiker Stöß, der damit alte Forderungen des eigenen Patriarchen Wowereit wie auch des politischen Partners aufgreift...

Letzte Worte

Grüßen soll ich Sie von meinem Senator, der voll hinter mir steht, beschließt die Senatsbaudirektorin ihre Ansprache (mit leicht vorgerecktem Kinn), aber leider kann Senator Müller selbst heute nicht dabei sein. Nachdem der Beifall für Frau Lüscher verebbt ist, kommen Mitglieder des IBA-Kuratoriums in kurzen Statements zu Wort, danach weitere Kombattanten ihres IBA-Gefolges, die Bestätigung und/oder Enttäuschung zum Ausdruck bringen....

Das Publikum sekundiert zunächst, dann melden sich kritische Stimmen: Das Konzept der IBA 2020 sei nicht ausgereift, finde keine Antworten auf die Angst vor Gentrifizierung oder Verdrängung, keine Ansätze zu bezahlbarem Wohnraum, keine Perspektiven zur sozialen Entwicklung in den Innenstadtbezirken, jemand wünscht sich Quartiere zum Wohnen und Arbeiten.... schließlich meldet sich IBA-Urgestein Franziska Eichstädt- Bohlig zu Wort, Architektin und Stadtplanerin in Berlin-Kreuzberg, Stadträtin vormals, Abgeordnete im Bundestag und im Berliner Abgeordnetenhaus: Sie habe oft auf die Schwächen der Konzept für die IBA 2020 hingewiesen... sie bedauere sehr, dass die geplante Bauausstellung jetzt durch die Rivalität von zwei politischen Größen der SPD zerrieben worden sei.... Nein, sie will keine IBA mehr, weil dringende Aufgaben der Stadtplanung durch die zuständigen Senatsstellen gelöst werden müssten... eine IBA binde zu viel Kraft der Verwaltung und so entstehe eine Konkurrenzsituation zwischen Alltagsgeschäft und Experiment...

Hauptstadt der Bulette

In der Pause bestreitet man aus gut informierten Kreisen entschieden, dass der Machtkampf zwischen Parteichef Stöß und Senator Müller Grund für das Scheitern des IBA-Konzepts gewesen sei: Wie kann man denn nur so bescheuert sein, von „Drinnenstadt“ und „Draußenstadt“ zu reden? Sowas können sich nur Architekten ausdenken, haben bestimmt nicht mal was Schlimmes dabei gesehen...Diese Strategie bedeutet doch die Kapitulation vor den Kräften des Marktes: Wer es nicht mehr schafft, eine Wohnung innerhalb des S-Bahn-Rings zu bezahlen, soll dann in die aufgehübschte Großsiedlung am Stadtrand ziehen?.... Der Klaus hat schon vor Monaten gesagt, dass so ein Konzept kein Geld kriegt....

50 Millionen für die IBA werden gestrichen, aber 350 Millionen sollen im Haushalt des Landes Berlin für den Einsatz im Wohnungsbau reserviert werden, wie man hört. Wir dürfen also erleben, wie durchsetzungsstarke Parteiprominenz Stadtentwicklungspolitik nach Gutsherrenart betreiben: vor dem Roten Rathaus bauen sie sich ein neues Stadtquartier, damit sie in der Mittagspause eine reichhaltige Auswahl für den kleinen Appetit finden und abends noch schnell ein effektives Seilschaftstreffen zwischen Chianti und Molle verabreden können.

Alle Pläne der freundlichen Senatsbaudirektorin wurden Makulatur, nicht zuletzt wohl, weil Bauen in Berlin Männersache ist, in bekannter Hauptstadt-Tradition autoritärer Bauherrschaft von Walter Ulbricht bis Hans Stimmann, der sich immer wieder gern zu Wort meldet, mit Antworten selbstverständlich! In der Hauptstadt der Bulette gibt man eine Provinzposse à la Parkhotel Dallgow: der Bürgermeister verkaufte den Dorfplatz für einen VW Golf, hörte man damals...

Dabei sind so viele Fragen zu stellen:

Gibt es ein Recht auf Wohnen?

Können wir Partizipation ersetzen durch Empowerment?

Werden die Erben unserer Stadt die Polyphonie der Ethnien und Religionen gewaltlos in das Stadtgefüge einschreiben?

Wie werden wir wohnen, wenn die Erwerbsarbeit immer weniger zum Lebensunterhalt beitragen kann?

Wie werden wir den sozialen Frieden bewahren, wenn das Menü in einem angesagten Restaurant soviel kostet wie der Monatssatz eines Hartz-IV-Empfängers?

Welche Instrumente benötigt die Stadtplanung, wenn die Streifräume der Jugendlichen und die Weidegründe der mobilen Konsumenten von kommerziellen App-Anbietern orchestriert werden?

Wie zeigt sich die Solidarität der urbanen Zivilgesellschaft, wenn der nächste Winterfrost das Flüchtlingscamp am Oranienplatz bedroht?

Und wie werden wir unsere Toten begraben, wenn niemand da ist, um Abschied zu nehmen?


Zum Thema auch:

Wie sollen wir bauen?

Wie werden wir bauen?


Blick in die Presse

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/iba-2020--die-iba-ist-tot--es-lebe-die-iba-,10809148,23515306.html

http://www.tagesspiegel.de/berlin/masterplan-fuer-berlins-historische-mitte-eine-bauausstellung-fuer-die-buerger/8099998.html

http://www.tagesspiegel.de/berlin/vergangenheit-hat-zukunft/8097752.html

http://www.tagesspiegel.de/berlin/internationale-bauausstellung-rueckzug-vom-tempelhofer-feld/7359514.html

http://www.tagesspiegel.de/berlin/architekturdebatte-3-diese-stadt-ist-keine-insel-mehr/4347514.html

http://www.tagesspiegel.de/berlin/mehr-herz-fuers-zentrum/7329390.html

http://www.tagesspiegel.de/meinung/kommentare/klaus-wowereit-berlins-mitte-hier-baut-der-chef/1796392.html

http://www.berliner-zeitung.de/kultur/gentrifizierung-in-berlin-bezahlbares-wohnen---bezahlbare-lebensqualitaet,10809150,15233032.html

http://www.berliner-kurier.de/archiv/sprengung-weil-walter-ulbricht-von-einem-paradeplatz-traeumte--konnte-erich-im-palast-mit-seiner-margot-walzer-tanzen-vom-schloss-zum-palast,8259702,4131658.html

http://www.welt.de/regionales/berlin/article2739231/Neuer-Streit-ist-ein-Stueck-aus-dem-Tollhaus.html


Nachtrag zum 244. Eintrag vom 15.01.2012: Hinter uns liegen die Chronolysen (in vier Akten)... die Timeline im Blog archinaut: ist inzwischen justiert. Dieser Blog berichtet aus Deiner Welt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

Ich werde Euch nicht schonen. Öffne Deine Augen.

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archinaut

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