Das Büro hat ihm die Liste der angestellten Mitarbeiter gefaxt. Seine Bitte nach einer E-mail irritiert die Sekretärin: E-mails schreiben wir nicht..... für die Computer ist Herr Karski zuständig, der ist Ingenieur!
Die Sekretärin heißt Kristin Radomsky, kann er auf der Liste lesen. Am Telefon meldet sie sich nur mit dem Firmenname: Bauprojekt Quedlinburg, grußlos wartet sie auf eine Angabe zur weiteren Vermittlung. Jedes Mal, wenn er anruft, fragt er nach: Frau Radomsky? Sie antwortet immer: Ja!
Zwei Tage sind vereinbart, die Mitarbeiter des Büros kennen zu lernen. Geschäftsführer Kobold führt ihn durch die einzelnen Zimmer: Wir haben die ganze Siedlunggeplant, auch dieses Haus..... Bauprojekt hatte damals sechzehn Mitarbeiter, wir haben diese Büros genau passend geplant..... hier ist die Abteilung Hochbau, da drüben sitzt der Tiefbau... Alle Türen sind sorgfältig beschriftet.
Kobold redet schnell, es gab Veränderungen: Frau Mantey, die Architektin, kann ich Ihnen leider nicht mehr vorstellen, sie hat gekündigt.... sie will sich selbständig machen. Kobold zeigt einen kleinen Raum mit einem leeren Schreibtisch.
Zwei Arbeitsplätze sind in vielen Zimmern vorgesehen. Auch wenn zwei Namen an der Tür stehen, ist oft nur ein Schreibtisch besetzt. Vielfarbige Aktenordner und farblose Topfpflanzen verteilen sich raumgreifend in allen Büros.
Hier sitzt Herr Obermeyer, der Leiter der Hochbauplanung, sagt Kobold und öffnet die nächste Tür, Wolfgang, ich komme mit dem neuen Geschäftsführer, er hat früher in Leipzig gearbeitet... Oh, dann bauen wir jetzt für die Olympischen Spiele... sagt Obermeyer und lächelt fein.
Durch eine offene Verbindungstür in Sicht- und Hörweite sitzt die Bauzeichnerin Frau Förster im Raum nebenan, der zweite Schreibtisch ist leer: Erika, hier ist der neue Geschäftsführer! Sie grüßt scheu.
Im nächsten Raum stellt Kobold den zukünftigen Chef bei der Architektin Frau Keyser und beim Ingenieur Herrn Karski vor. Während Karski nur kurz vom Bildschirm aufschaut, wagt Frau Keyser sich in ein Gespräch mit dem Neuen: Sie kennt Leipzig gut, war auch oft in Berlin, das möchte sie gerne kommunizieren und ist dabei sehr lebhaft.
Über den Flur dringt ein Hilferuf: Dieter... Absturz! Karski stöhnt auf und verlässt den Raum...... Herr Karski ist für alle Computer und für das Netzwerk zuständig, erklärt Kobold, bei einem Problem wird er gerufen! Frau Keyser wünscht dem Neuen noch viel Erfolg und äußert die Hoffnung auf eine gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Frau Keyser ist immer etwas aufgeregt, sagt Kobold auf dem Flur leise, besonders seitdem die andere Architektin gegangen ist, sie waren befreundet, glaube ich... Er weist auf eine geschlossene Tür: Der Raum da drüben ist leer, früher hatten wir dort eine Zeichnerin, im letzten Monat saß dort noch der Leiter Tiefbau.... er steht auf Ihrer Liste, ich musste ihn aberentlassen... Der Neue fragt nach. Die Auftragslage im Tiefbau ist nicht so gut, außerdem hat er zu viele Fehler gemacht.... sagt der alte Geschäftsführer nervös. Das Thema ist ihm offensichtlich unangenehm. Er öffnet die nächste Tür.
Hier ist die Abteilung Tiefbau, Herr Gräbermann ist Ingenieur, Cornelia Müller heißt seine Zeichnerin, eine junge Mutti... sie hat bei uns gelernt, da war sie noch die Conny.... stellt Kobold die beiden vor. Herr Gräbermann ist hinter mächtigen Papierstapeln nahezu verschwunden, Frau Müller kommt aus dem Nebenraum. Der Neue weckt freundliches Interesse.
Vom Tiefbau weiß ich noch nicht viel, sagt er, da können Sie mir bestimmt was beibringen. Herr Gräbermann lacht heiser und hebt die Hand. Seine Finger sind dunkelgelb, er scheint ein starker Raucher zu sein. Frau Müller zieht den Kopf leicht zwischen die Schultern, sie lacht nicht.
Hinter der nächsten Tür arbeitet Frau Bollmann, sie ist für die Ausschreibungen zuständig. Ihr Gruß ist nahezu unhörbar, ihre Mine unergründlich. Drei Namen stehen an ihrer Tür, zwei Schreibtische stehen leer.
Hier sitzt Herr Grau, Kobold öffnet die letzte Tür am Flur, er macht die Bauleitung! Grau entknittert sein zerfurchtes Gesicht zu einem gequälten Lächeln und nuschelt einen kurzen Gruß, bevor er den Kampf mit der Tastatur des Rechners wieder aufnimmt. Der Boden des Büros ist bedeckt mit Papierstapeln.
Herr Grau hat sehr viel zu tun? fragt der Neue leise, als die Tür wieder zugefallen ist. Kobold überlegt einen Moment, bis er antwortet.
Ja, leider.... wir hatten noch einen anderen Bauleiter, er hat vor drei Monaten gekündigt, er steht nicht auf Ihrer Liste..... aber irgend jemand wird es Ihnen ja sowieso erzählen: Er hat ein eigenes Büro aufgemacht.... Frau Mantey, die Architektin, die hier gekündigt hat, fängt vielleicht bei ihm an...
Im Vorraum des Geschäftsführerbüros sitzt Frau Radomsky. Kobold stellt sie nicht vor, er geht schnell an ihr vorbei in sein Zimmer. Guten Tag, Frau Radomsky, sagt der Neue, wir kennen uns ja schon vom Telefon!
Langsam dreht sie sich um und fixiert ihn. Ein Lächeln breitet sich über ihr Gesicht, unaufhaltsam. Sie steht auf und streckt ihm die Hand entgegen.
Kommen Sie, ruft Kobold aus seinem Büro, bring uns zwei Kaffee, Kristin!
Milch und Zucker? fragt Frau Radomsky noch hinter ihm her.
Als der Kaffee vor ihnen steht, redet der bisherige Geschäftsführer über die Zukunft. Sie brauchen nichts zu ändern, hier kennt jeder seine Aufgabe! sagt Herr Kobold energisch, Bauprojekt Quedlinburg hat dreißig Jahre Erfahrung, nach der Wende waren wir lange das einzige Planungsbüro in Quedlinburg!
Der Neue nimmt sich die Liste vor. Er überlegt kurz, ob er sich in Zeile 13 eintragen soll, aber seit der Aufstellung hat sich die Anzahl der Mitarbeiter reduziert..... und Herr Kobold wird bald von Bord gehen. Dann sind wir zehn, denkt er. Auf der Liste ist Eintrittsdatum und Geburtstag aller Betriebsangehörigen vermerkt, die meisten sind Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre dazu gekommen. Die Tiefbauzeichnerin ist etwas jünger, auch Dieter Karski.
Als ihm auffällt, dass die Anderen auf der Liste älter sind als er selbst, wird er sehr nachdenklich.
Hier endet der 175. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:
Ich schreibe um unser Leben. Bitte bleib dran.
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Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:
Ich schreibe um unser Leben. Bitte bleib dran.
Kommentare 22
Lieber archie
danke. Toll geschrieben. Du fängst da mit tolle Worten ein, was heute wirklich so läuft. ...und Vieles davon ist nicht schön.
Die Nachdenklichkeit gefällt mir gut. Toller Text.
Ich bin wirklich begeistert über Deine Art wie Du das eigentlich Unbeschreibliche , was in den Betrieben so abgeht, postest.
Das sind sie 10er Jahre ( auch wenn´s davor auch schon so war)
Das ist die neue gesellschaftliche Solidarität in den Betrieben.
Herzliche Grüße
por
Lieber por,
es freut mich sehr, wenn das so bei Dir ankommt:
"das eigentlich Unbeschreibliche , was in den Betrieben so abgeht," für's Lesen bedanke ich mich also herzlich (heute keine Süßigkeiten) und natürlich für Deinen langen, engagierten Kommentar!
Bei solchen Texten aus der Alltäglichkeit bin ich immer etwas unsicher, wie sie aufgenommen werden...
Herzliche Grüße in den Westen
archie
Lieber archie,
da hast Du gar keinen Grund unsicher zu sein.
Für eine Leserschaft, die Nachrichten aus der Arbeitswelt interessieren, wobei man hier in der FC eigentlich ausgehenkönnte auch wenn da die Interessen natürlich und selbstverständlich unterschiedlich sind ist das eine ungemeine Bereicherung.
Ich staune darüber, welche treffenden Worte Du das findest.
Ich war auch mal ein Jahr Quereinsteiger im Bau , auchg wenbn ich aus einer anderen Ecke komme. Habe mnich da leider nicht durchsetzen können und arbeite heute weiter unter meiner Ausbildung, auch wenn ich sehr froh bin einen Job zu haben.
Schreib docvch mal ein Buch darüber. Sorry. Ich weiss. es ist ätzens, wenn andere Leute schreiben , was man tun sollte, aber vielleicht bist Du bei mir nicht ganz so streng.
Da würden sich bestimmt viele Leute wiederfinden und ein gutes Literaturniveau hast Du ja sowieso.
Und Wenn Du dann Deinen ersten Erfolg hattest , musst Du mir schreiben wie das geht. :)
Sorry der letzte Satz ist nur ein Witz. :)
Herzliche Grüße
por
Ich habe es gerne gelesen. Es erinnert mich an meine früheren Zeiten bei der Stadtverwaltung. Die Typen im Bauamt waren den Protagonisten dieser Geschichte hier doch sehr ähnlich. Gibt es eine Fortsetzung?
Lieber por,
jetzt schreibst Du mir schon wieder so viele schöne Komplimente, dass ich glatt eine rote Jacke kriege (sieht man ja am Foto..... o.K., jetzt habe ich gleich mal mit einem Witz angefangen, aber das mit den Komplimenten ist schon ernst gemeint!)
Mit dem Bücherschreiben versuche ich's schon länger. Mein erstes Buch habe ich mit elf oder so angefangen, eine Seeräubergeschichte... leider ist sie nicht fertig geworden.
Das Zweite Buch habe ich etwas später geschrieben, eine Weltraum-Romanze (mit Schreibmaschine)..... das Buch ist zwar fertig geworden, hat aber leider keine 40 Seiten.
Beide Werke sind verschollen, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass ich mich thematisch nicht viel weiter entwickelt habe..... ich schreibe irgendwie immer noch über Piraten, Raumfahrt und Liebe ;-)
Für gute Tips bin ich immer dankbar
(Dir natürlich sowieso, keine Bange!),
auch wenn ich leider nicht alle befolgen kann....
Herzliche Grüße
auch an Deine Schutzengel
archie
Hallo liebe S. Steinebach,
versprechen kann ich es nicht,
sonst würde ich zuviel verraten....
aber ich freue mich sehr über die Nachfrage ;-))
Herzliche Grüße
Archie Naut
@ archinaut - "Bei solchen Texten aus der Alltäglichkeit bin ich immer etwas unsicher, wie sie aufgenommen werden..."
Ich habe heut früh schon gelesen. Sowas ist immer gut. Hier sind so wenig Texte, die was beschreiben, sondern alle behaupten, dekretieren, "stampfen stilistisch mit dem Fuß auf" und dazwischen immer mal ein paar Tagebuch-Sachen, ein bisschen Normales, ja auch schwieriges Leben.
Jedenfalls: Einer, der nicht Recht haben will, sondern nur Interesse finden, findet immer Leser.
Quedlinburg - Du hattest es ja öfter schon beim Wickel mit allen Problemen, die da sind. Und ein bisschen "ostmäßig" gehts da auch noch zu. Mit dem Fax und E-Mail. :-))
Gruß
Magda
Liebe Magda,
wie schön von Dir zu hören,
und dazu noch mit einem so freundlichen Kommentar!
Quedlinburg ist überall, im Guten wie im weniger Guten:
die Melancholie der Provinz, der dringende Wunsch, auch in der "großen Welt" wahrgenommen zu werden, und nicht zuletzt eine archetypische Keimzelle deutscher Bürgerlichkeit seit über 1000 Jahren....
Dieser Blog kommt wahrscheinlich nicht aus der Zukunft, sondern aus der Vergangenheit, als Leipzig noch Olympiastadt werden wollte (vielleicht kam dieser Blog sogar per Fax, wer weiß ?-))
Herzlich grüßt
archie
Ich warte... :-)
Ach wie schön,
eine geduldige Leserin zu erleben!
(Oder höre ich schon die Fingernägel tapsen?)
Dann möchte ich zur Erhöhung der Vorfreude noch zwei Links spendieren,
zur Liebe (Achtung Zuckerwatte):
www.freitag.de/community/blogs/archinaut/eine-bibliothek-der-liebe
und zum (lieben?) Geld:
www.freitag.de/community/blogs/archinaut/im-land-des-laechelns
Übrigens kann man diesen Blog vorwärts und rückwärts lesen, einfach über NEXT oder BACK durchklickern (ganz unten zu finden), außerdem darf man überall reinzappen.... ich antworte auch in den älteren Texten, die hier langsam reifen, soweit die Technik mich informiert und meine Zeit es erlaubt ;-))
- dito -
:)
Der Ingenieur als einziger Kundiger der Internetkommunikation - ist schon ne Weile her, das Geschehen, nicht?
Danke, und weiter so, denn jetzt wird's spannend... :)
"Bei solchen Texten aus der Alltäglichkeit bin ich immer etwas unsicher, wie sie aufgenommen werden..." - Ein ganz wunderbarer Text, der mich neugierig macht auf die angedeuteten Biographien, z.B. auf Herrn Gräbermann und die scheuen Bauzeichnerinnen.
"...jetzt wird's spannend... :)"
wird ja auch Zeit, dies war der 175. Eintrag ;-))
Hallo goedzak,
freu mich über Deine Visite!
Ein ganz wunderbarer Kommentar, freundlicher koslowski,
der mir den Mut stärkt, auch weiterhin belanglose Alltäglichkeiten zu bloggen...
freue mich über deine Neugier!
Jetzt bekommen wir doch bald erzählt, wie sich der neue Geschäftsführer im Kreise der neuen Kollegen im kleinen Provinzspielzeugstädtchen Quedlinburg bewährt, dachte ich? - Wenn das wirklich schon die 175. Folge dieser 'Alltags-Soap' war, dann würde ich tatsächlich sagen: recht lang, die Introduktion! :))
Ich bin immer da, auch wenn man mich nicht sieht!
Sehr geehrter Herr Goedzak,
Ihre Anregung
"wie sich der neue Geschäftsführer im Kreise der neuen Kollegen ... bewährt" werden wir an das Kreativ-Komitee weiterleiten.... ;-))
Bitte bleiben Sie uns gewogen
gez. Archie Naut
Oh, dann freue ich mich noch mehr
- über das Immer-da-Sein!
Hier sind so wenig Texte, die was beschreiben, sondern alle behaupten, dekretieren, "stampfen stilistisch mit dem Fuß auf" und dazwischen immer mal ein paar Tagebuch-Sachen, ein bisschen Normales, ja auch schwieriges Leben.
Ein wenig verspätet, aber dieser Aussage von Magda kann ich mich nur anschließen.
In diesem Blog schlägt keine Stunde,
daher kann niemand sich hier verspäten,
liebe Maike Hank ;-))